Berlin. Für die Vorbereitung, sagt Niklas Stark, ist der Kopf genauso wichtig wie der Körper. Situationen vorempfinden, bestimmte Szenarien in Gedanken durchspielen, wissen, wie sich der Gegenspieler verhält – das alles gehört dazu. Um bereit zu sein für den Ernstfall. So wie am Freitagabend in Köln (20.30 Uhr, Sky und im Liveticker bei immerhertha.de), wenn Stark erstmals seit Ende September wieder in Herthas Startelf steht.
Das Smartphone hat sich für Stark inzwischen zu einer wichtigen Stütze entwickelt. Über eine App erhält der 20 Jahre alte Defensivspezialist detaillierte Informationen über seine Gegenspieler. Skifahrer rasen am Starthäuschen vor ihrem geistigen Auge die Piste hinunter, verfolgen den Streckenverlauf mit den Händen. Stark vergegenwärtigt sich Zweikämpfe, vor allem mit Kölns Topstürmer Anthony Modeste. Wie er mit dem Ball am Fuß auf ihn zustürmt; welchen Laufweg er im Strafraum sucht, wenn ein Mitspieler auf dem Flügel zur Flanke ansetzt.
„Das stelle ich mir genau vor“, erklärt Stark, „aber man muss damit aufpassen. Es darf nicht zu viel werden, man muss trotzdem locker bleiben.“ Am Ende, sagt er, komme es darauf an, dass der Kopf vor allem eins ist: frei.
Stark gilt als Herthas Innenverteidiger der Zukunft
Bisher ist ihm das gut gelungen. Starks Kopf, er gilt seit jeher als seine Stärke. In Nürnberg, wo er als 18-Jähriger in der Bundesliga debütierte, übernahm er früh Verantwortung, trug in der U17 die Kapitänsbinde. So wie später im U19-Nationalteam, mit dem er 2014 Europameister wurde. „Wenn man einen Titel gewinnt“, sagt Stark, „dann weiß man, dass es funktionieren kann als Anführer. Man wächst in die Rolle hinein und versucht sie fortzusetzen.“
Bei Hertha ist er bislang noch ein ganzes Stück entfernt von dem Posten als Führungsspieler. Trainer Pal Dardai griff in der Bundesliga neun Mal auf Stark zurück, sieben Mal wurde er eingewechselt. Kein Drama. „Mir war klar, dass ich erst einmal auf der Bank sitzen werde“, sagt der Sommerzugang. Er weiß: So lange es läuft, gibt es für einen Trainer wenig Grund, etwas zu verändern.
Nun, da sich Herthas Abwehrchef Sebastian Langkamp (28) an der Wade verletzt hat, zögerte Dardai aber keine Sekunde. Gegen Wolfsburg wurde Stark eingewechselt, hinterließ einen grundsoliden Eindruck und bekam prompt die Einsatzgarantie gegen Köln. Dardai hält große Stücke auf Stark. „So viel Rat kann ich ihm nicht mehr geben“, sagt der Ungar, „am meisten lernt er jetzt aus seinen eigenen Fehlern. Er braucht Spiele und muss Erfahrung sammeln.“
Trainer Dardai arbeitet bereits an der Zukunft
Dass Dardai ausgerechnet jetzt auf den Mittelfranken setzt, erfordert Mut. Gemeinsam mit Mitchell Weiser (21), John Brooks (23) und Marvin Plattenhardt (24) bildet Stark die jüngste Abwehrreihe der Liga. Nur Leverkusen setzt auf eine gleichjunge Viererkette.
Mit derart jungen Profis zu spielen, sei sicherlich ein Risiko, räumt Dardai ein, hat dabei aber die Gesamtentwicklung seines Teams im Blick. „Diese Erfahrung“, sagt er, „nehmen die Jungs mit für die Zukunft.“ Die Abwehrformation gegen Köln, sie ist eine fußball-gewordene Version von Jugend forscht.
Als Innenverteidiger wird Stark dabei im Zentrum stehen. Und: Er wird sich bewähren müssen. Männerfußball, betont Dardai beständig, sei etwas anderes als Jugendfußball. In Sachen Körperkontakt müsse Stark noch rigoroser werden. Die physischen Voraussetzungen bringt er mit. Mit 1,90 Metern und 81 Kilogramm ist er körperlich robust, dazu gleichermaßen kopfballstark und schnell. Eine Qualität, die er wohl von seiner Mutter geerbt hat, einer ehemaligen Sprinterin. Er selbst hält in seinem früheren Leichtathletikklub noch immer „ein, zwei Rekorde“.
Das, was ihn von anderen Hochveranlagten unterscheidet, war schon immer seine Reife. Mediengespräche absolviert er wie ein alter Hase, er ist eloquent, wirkt geerdet und meinungsstark. Eine Souveränität, die ihm auch auf dem Platz zugute kommt. „Im Fußball“, sagt Stark, „muss man eine starke Persönlichkeit ausdrücken, vor allem als Verteidiger. Brust raus, hier bin ich – diese Ausstrahlung ist wichtig.“ Keine Unsicherheit zeigen. Noch so eine Kopfgeschichte.
Die Berliner wollen den ersten Liga-Sieg des Jahres
Selbstvertrauen und Zusammenhalt, sagt Stark, seien mitunter mehr wert als herausragende Individualisten. Eine Erkenntnis, die sie sich bei Hertha aktuell wohl häufiger vor Augen halten. Mit Vladimir Darida (Gelbsperre) müssen die Berliner auf ihren Spielgestalter verzichten. Wer ihn ersetzt, ließ Dardai vorerst offen. Mit Alexander Baumjohann und Valentin Stocker verfügt er über zwei angriffslustige, mit Jens Hegeler über eine defensivere Option.
„Auf dem Papier“, sagt Dardai mit Blick auf die abwehrstarken Kölner, „sieht es nach einem 0:0 aus, aber das wollen wir nicht.“ Zum Auftakt der Englischen Woche käme der erste Liga-Sieg des Kalenderjahres grade recht. Eine Null reicht Dardai, nur sollte sie tunlichst in der Rubrik Gegentore auftauchen.
Ob dieser Wunsch in Erfüllung geht, hängt auch von Niklas Stark ab. Vielleicht hilft ihm ja nicht nur das Antizipieren der Zukunft, sondern auch die Erinnerung. Seinen ersten Berliner Bundesligaeinsatz von Beginn an bestritt er im Hinspiel. Hertha siegte 2:0.