Berlin. Es wird gerade viel geredet in der Deutschen Eishockey Liga (DEL). Über die neue Regel etwa, die mehr junge deutsche Spieler in die Liga bringen soll. Auch über die Folgeerscheinungen, denn für einige etablierte, ältere Profis ist plötzlich kein Platz mehr. Vor Wochen noch löste diese Verschiebung hier und da Skepsis aus, doch inzwischen ist sie der Verzückung gewichen. Drei 17-Jährige sind nun immer wieder das große Thema, weil sie überaus auffällige Talente sind. Weil sie die DEL in den Fokus der besten Liga der Welt rücken, wie es selten zuvor junge Spieler geschafft haben.
Die Späher aus der nordamerikanischen NHL sitzen mittlerweile an fast allen Spieltagen auf den Tribünen der DEL. Zuletzt in München waren es gleich vier, als die Eisbären Berlin dort spielten. In Bayern trafen auch John Peterka und Lukas Reichel aufeinander. Wenn die Berliner am Donnerstag in Mannheim antreten, steht Reichel dort Tim Stützle gegenüber. Auch in der Kurpfalz werden einige Scouts zuschauen, „weil die Spieler dann gut miteinander zu vergleichen sind“, sagt Stefan Ustorf, der Verantwortliche für Spielerentwicklung bei den Eisbären. Wenn die Berliner am Sonntag die Chicago Blackhawks aus der NHL zu einem Testspiel empfangen (19.30 Uhr, Mercedes-Benz Arena), bietet sich für Reichel sogar eine ganz spezielle Gelegenheit, sich zu präsentieren.
Mehr Spielmacher als Torjäger
Der Weg in die NHL ist gemeinhin sehr schwierig. Nur wenige, die davon träumen, kommen auch dort an. Ungewöhnlich offensiv aber verhalten sich die Eisbären bei Reichel. Noch bevor er sein erstes Spiel in der DEL absolviert hatte, legten sie sich fest. „Unser Ziel mit Lukas ist es ist, dass er gedraftet wird. Unser Traum wäre die erste Runde, aber wir wollen nicht zu viel Druck auf ihn machen“, so Sportdirektor Stéphane Richer. Die Aufgabe der Berliner sei es, entsprechend mit Reichel zu arbeiten.
Inzwischen liegen vier Partien hinter dem Talent, ebenso hinter Peterka und Stützle. Der Münchner traf dreimal, Stützle schoss ein Tor und gab drei Vorlagen. Reichel hat zwei Beihilfen in der Statistik. „Es macht einen Riesenspaß, ich bin ganz zufrieden, muss aber noch meine Chancen nutzen“, sagt Reichel. Vor allem in den Partien jüngst gegen Köln und München häuften sich die Gelegenheiten, kaum ein anderer EHC-Profi tauchte so oft vor dem Tor auf. Nur die Kaltschnäuzigkeit fehlt noch ein wenig. „Er wird seine Tore machen“, erzählt Ustorf, „obwohl er vom Typ her mehr ein Spielmacher als ein Torjäger ist.“
Viel Eishockey-Tradition in der Familie
Dass er überhaupt so schnell derart in Erscheinung tritt, spricht für seine Fähigkeiten. „Er ist ein kluger Spieler, der vor allem durch seine Schnelligkeit besticht und das Spiel gut lesen kann“, sagt EHC-Trainer Serge Aubin. Um zu gewährleisten, dass sich der Stürmer bestmöglich entwickeln kann, hat er ihm den NHL-erfahrenen Maxim Lapierre und Nationalspieler Leonhard Pföderl an die Seite gestellt. In dieser Reihe erhält das Talent viel Eiszeit, wirkt in Überzahl mit. „Er ist vielleicht ein junger Spieler, aber in seinem Kopf ist er schon sehr reif. Er lernt schnell, du musst nichts zweimal sagen, er versteht alles sofort“, erzählt Lapierre, der mit seinen 34 Jahren und seinen fast 700 NHL-Spielen wie ein Mentor auf und neben dem Eis agiert.
Neben seinem Tempo fallen immer wieder die Ideen auf, Reichel passt den Puck flüssig, läuft gut in Position oder erahnt Laufwege der Kollegen, er besitzt Übersicht und hat eine starke Technik. „Es lässt mich ein bisschen alt aussehen, an seiner Seite zu spielen, aber es macht Spaß“, flachst Lapierre. „Dahinter steckt immer viel Arbeit. Ich versuche, in jedem Training mein Bestes zu geben“, sagt der Rosenheimer, dessen Vater Martin deutscher Nationalspieler war. Onkel Robert gewann mit Tschechien sogar Olympiagold, war dreimal Weltmeister und NHL-Star. Auch Lukas, so Ustorf, „ist etwas Besonderes“.
Jede Woche sind Verbesserungen zu sehen
Daran hegt EHC-Trainer Aubin keinen Zweifel. Doch die ersten Schritte für den noch schmächtigen Youngster in der DEL sind bei allem Talent anstrengend. „Er geht in die Ecken gegen 30-Jährige, die ganz schön gemein sein können. Aber er duckt sich nicht weg, er kämpft, will vorankommen. Er fokussiert sich darauf, dass er gut spielt“, sagt Aubin, der sich manchmal wünscht, dass Reichel körperlich mehr dagegenhält. Mit etwas mehr Erfahrung und fortschreitendem Training dürfte auch dieses Defizit bald abgestellt sein. Fleiß und Ehrgeiz paaren sich bei Reichel mit seinem großen Talent. „Er wird von Woche zu Woche besser, das ist es, was man sehen will“, erzählt Ustorf.
Nächsten Sommer findet der nächste Draft, die nächste Wahl der besten 18-jährigen Talente in der NHL statt. Bis dahin werden noch viele der Scouts die Spiele der Adler Mannheim, von Red Bull München und auch der Eisbären anschauen. Es wird noch reichlich über diese drei 17-Jährigen in der DEL gesprochen werden auf der höchsten Ebene des Eishockeys. „Das ist sehr wichtig für unsere Liga“, sagt Sportdirektor Richer.
Auch Lukas Reichel registriert das alles. „Ich bekomme schon mit, was gesagt wird und was in den sozialen Medien los ist. Aber ich versuche einfach, Ruhe zu bewahren und nicht schon an nächstes Jahr zu denken“, sagt der junge Angreifer, der es sogar fertigbrachte, vor Saisonbeginn vier NHL-Späher zu einem Testspiel nach Berlin zu locken.