Es ist ein grandioses Panorama, das Silvio Kalmutzki momentan Tag für Tag von seinem Arbeitsplatz aus genießen kann. Schier endlos breitet sich der satt grüne Rasenteppich vor ihm aus, umsäumt von alten Bäumen in ihrer vollen Blätterpracht, begrenzt von blauem Himmel und weißen Schäfchenwolken. Der 90 PS starke Traktordiesel brabbelt monoton vor sich hin, das Radio rechts knapp über Kopfhöhe des 53-Jährigen spielt leise Musik, das Tempo ist moderat – etwa 5 km/h. In einer kleinen Vertiefung links von ihm ein Lederbeutel mit Tabak und ein gebogenes Pfeifchen. Eine Idylle? Auch. Doch Silvio Kalmutzki ist, drei Tage vor dem 123. Großen Preis von Berlin, einer der wichtigsten Mitarbeiter auf der Galopprennbahn Hoppegarten.
Immer exakt zehn Zentimeter
Er ist der Mann, der für den Zustand der Bahn verantwortlich ist. Der Bahn vor den Toren Berlins, auf der in den letzten fünf Jahren Ausnahmepferde wie Danedream, Overdose, Russian Tango, Pastorius oder auch Meandre ihre Extraklasse zeigen konnten. Fünfeinhalb Stunden dauert die Fahrt auf dem Traktor. Vor Kalmutzki, fest verbunden mit dem Traktor, tut ein wundersames rot-gelbes Gebilde aus Rädern, Gelenken, Querstreben, Federn, Schrauben, Blechen und scharfen Messern seinen Dienst.
Auf viereinhalb Meter Schnittbreite geht es dem samtweichen Rasen zu Leibe. „Drei Tage vor einem Rennen wird gemäht. Immer auf exakt zehn Zentimeter Länge. Der Rasen wächst einen Zentimeter pro Tag und muss zum Rennen zwölf Zentimeter lang sein“, weist er auf einen wichtigen Umstand seiner Arbeit hin. 2350 Meter ist eine Runde lang, zwischen 25 und 35 Meter ist die Bahn breit. Das heißt: Gute fünfeinhalb Stunden mäht Silvio Kalmutzki, bevor der „heilige Rasen“ von Hoppegarten den Ansprüchen der Trainer, Jockeys und Besitzer genügt.
Wässern und kleinere Reparaturen zählen zu seinen Aufgaben
Dass er es gut macht, bestätigen sie ihm gelegentlich. „Das ist schon schön, wenn man da ein Lob bekommt“. Wässern, auflockern und kleinere Reparaturen (wenn die Grasnarbe aufgerissen ist) gehören auch zu seinen Aufgaben – am Nachmittag. Vormittags, besser gesagt ab fünf Uhr früh, gehört seine Aufmerksamkeit der Trainierbahn. Einem Sandgeläuf in Nachbarschaft der Rennbahn. Rund 130 Pferde werden dort täglich trainiert. Dann zieht der Traktor eine Art Egge, dreimal täglich im Abstand von einer Stunde, um die Trittspuren der Galopper immer wieder zu glätten.
Kommt da nicht auch mal Langeweile auf? Der Bahnchef lacht. „Es ist beileibe nicht so, dass man einfach so um den Platz dösen kann. Vor allem auf der inneren Spur muss man aufpassen, dass man nicht aus Versehen an eine der vielen hundert Streben der Streckenbegrenzung fährt. Gerade die Innenspur wird aber am härtesten beansprucht und braucht daher die intensivste Pflege.“
Ausbildung zum Pferdewirtschaftsmeister im Gestüt Schlenderhan
Er habe, so gibt Silvio Kalmutzki offen zu, „schon einen Traumjob“. Den Rennsport kennt er, seit er denken kann. „Mit einem Jahr saß ich erstmals auf einem Pferd.“ Sein Vater arbeitete im 1969 aufgelösten Gestüt Hoppegarten, die Eltern wohnten auf dem Rennbahnhof. Als Schüler half er im Rennstall des damaligen Trainers Friedrich-Wilhelm Michaels. Es folgte eine Ausbildung im Gestüt Neustadt/Dosse. Zehn Jahre später nahm er einen Job im Gestüt Schlenderhan (bei Köln) an, „wo ich auch meine Ausbildung zum Pferdewirtschaftsmeister absolviert habe.“ In den vergangenen zehn Jahren leitete Silvio Kalmutzki einen kleinen eigenen Reitstall und ist seit 2005 Herr über den Hoppegartener Rasenteppich.
Am Sonntag, beim 123. Großen Preis von Berlin, mischt sich Silvio Kalmutzki spätestens zum ersten von acht Rennen unter die Zuschauer. Hie und da wird er eine Wette platzieren. „Das Schöne am Galoppsport ist, dass nicht nur die Rennen der Ausnahmepferde interessant sind. Jedes Rennen hat seine eigene Spannung, und die Leute gehen auf der Zielgeraden emotional auch bei jedem Rennen fast gleichstark mit.“
Vorjahressieger Meandre ist derzeit nicht in Höchstform
Das gilt dann auch für das mit 175.000 Euro dotierte Hauptrennen am Sonntag. Sieben Pferde sind am Start. Am 30. Juni gewann die vierjährige Stute Berlin Berlin als 230:10-Außenseiterin den Hamburger Hansa-Preis. Sie rückte erst am Mittwoch ins illustre Feld nach. Ähnlich ging es den Charlottenburger Besitzern und Züchtern Dietmar und Susanne Karge. In Hoppegarten trainiert für sie Championtrainer Roland Dzubasz Nordvulkan. Der Dreijährige platzierte sich beim Deutschen Derby am 7. Juli in Hamburg mit einer Außenseiter-Quote von 520:10 auf Rang drei. Die beiden Berliner treffen auf fünf Gegner. Sicher herausragend: Vorjahressieger Meandre mit drei Siegen in Gruppe-I-Rennen.
Von der Familie Rothschild an den tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow verkauft, ist der Hengst momentan aber nicht in Höchstform. Trainer Peter Schiergen bietet mit Girolamo einen Gruppe I-Sieger. Der wird von Andreas Suboric geritten, dessen Engagement in Hongkong gerade beendet ist. Schiergens Sohn Dennis (18) geht mit der Stute Nymphea auf die 2400-m-Distanz. Das Feld komplettieren Donn Halling und Termida.