Aus dem erhofften Knockout bei der WM-Titelverteidigung wurde nichts. Das lag am mutigen Kampf des Herausforderers Chisora und an Klitschkos gesundheitlichem Handicap.

Vitali Klitschko hat den Triumphzug der Klitschko-Brüder fortgesetzt. Zum neunten Mal verteidigte der ältere der beiden Schwergewichts-Weltmeister aus der Ukraine seinen Weltmeistertitel des World Boxing Councils. Der Erfolg in der Nacht zum Sonntag in der Münchener Olympiahalle gegen den Engländer Dereck Chisora fiel ihm allerdings entschieden schwerer, als die Siege in den Kämpfen, die er seit dem Gewinn des WM-Gürtels im Oktober 2008 erzielt hatte.

Vitalis sehnlichster Wunsch blieb unerfüllt. Die skandalöse Backpfeife, die sich der 40-Jährige von Chisora beim Wiegen am Vortag eingefangen hatte, und das Bespucken seines Bruders Wladimir im Boxring unmittelbar vor dem Duell, wollte er auf für ihn typische Weise rächen.

Aus dem erhofften Knockout aber wurde nichts. Statt des 41. Knockouts im 46. Kampf mühte sich Dr. Eisenfaust über zwölf Runden zum Punktsieg.

Mit seinem rabaukenhaften Verhalten sorgte der zwölf Jahre jüngere Chisora nicht erst dieser Tage für unrühmliche Schlagzeilen. Vor zwei Jahren hatte der gebürtige Afrikaner aus Simbabwe einen Gegner auf den Mund geküsst, einem anderen biss er in Mike-Tyson-Manier ins Ohr. Ein viermonatiges Boxverbot war die Folge.

Unerwartet ernstzunehmender Rivale

Für das Abwatschen von Klitschko verdonnerte ihn das World Boxing Council zu einer Geldstrafe von 50 000 Dollar. Bei diesem Strafmaß wird es nach dem Bespucken von Wladimir und der blutigen Keilerei, die sich Chisora bei der mitternächtlichen Pressekonferenz mit seinem britischen Erzfeind David Haye und dessen Entourage lieferte, nicht bleiben. Es gibt ein juristisches Nachspiel. Die Münchner Polizei ermittelt bereits.

Im Ring jedoch entpuppte sich Chisora als fairer und unerwartet ernstzunehmender Rivale. Er bewies, dass er nicht nur eine große Klappe besitzt, sondern auch ein großes Kämpferherz.

Mutiger als jeder andere Klitschko-Herausforderer stellte er sich pausenlos dem Kampf und versuchte immer wieder, Vitalis Distanz zu durchbrechen. Dass ihm das ungewöhnlich häufig gelang, war aber nicht allein seiner Furchtlosigkeit geschuldet.

Ab der vierten Runde kämpfte Vitali ohne linke Führhand. Normalerweise ist sie der Schlüssel zum Erfolg. Mit ihr hält er sich den Gegner auf Distanz und bereitet die brachialen Schläge für seine rechte K.o.-Hand vor.

Nach Runde drei spürte der Weltmeister heftige Schmerzen in der linken Schulter. Genau an jener Stelle, die ihm im April 2000 zum Verhängnis geworden war. Damals verteidigte er seinen Weltmeistertitel in Berlin gegen den Amerikaner Chris Byrd. Nach der neunten Runde musste er klar nach Punkten führend aufgeben, weil ein komplizierter Sehnenriss ein Weiterkämpfen unmöglich machte.

Das Handtuch ausgerechnet gegen Chisora zu werfen, kam Vitali zu keiner Sekunde in den Sinn. Diese Schmach hätte der als sehr harter Hund bekannte Hüne den Rest seines Lebens nicht verwunden.

Abrupter Abschied wäre schade

Bleibt zu hoffen, dass keine ernsthafte Verletzung diagnostiziert wird, die eine mehrmonatige Trainingspause nach sich zieht. Denn das könnte angesichts seiner politischen Ambitionen das Ende seiner Laufbahn als Faustkämpfer bedeuten. Im Oktober will der Vorsitzende der "Ukrainischen Demokratischen Allianz für Reformen", kurz UDAR, mit seiner Partei ins Parlament einziehen. Auf zwei Hochzeiten erfolgversprechend zu tanzen, schließt Vitali aus.

Ein abrupter Abschied von der sportlichen Bühne wäre nicht nur schade für seine Fans. Vor allem wäre es bitter für Vitali selbst. Das Geschäft mit Chisora ist für ihn noch nicht erledigt – es fehlt der ersehnte Knockout.

Es spricht für Vitali, dass er sein gesundheitliches Handicap nicht als Entschuldigung für den avisierten K.o. gelten lassen will. Vielmehr setzt er darauf, dass man sich im Leben immer zweimal sieht.

Ehrgeizig wie er nun mal ist, brennt er schon jetzt auf ein Rematch. Das wäre gewiss äußerst spannend – und nicht nur wegen der Frage, ob Vitali es dann schafft, Chisora in den Ringstaub zu schicken.