Andreas Marquardts rechte Hand ist zur Faust geballt. Er kann sie nicht mehr öffnen. "Alles kaputt da drin", sagt er. "Zu oft zugeschlagen". Andreas Marquardt steht von einer Wand mit Fotos in seinem Sportstudio an der Karl-Marx-Straße in Neukölln. Die Bilder zeigen ihn, wie er Dachziegel zertrümmert. Mehrere übereinander, mit der Hand, auch mit dem Schienbein, mit dem Kopf. Sein Gesicht auf den Fotos ist zu einem lautlosen Schrei verzerrt.
Auf einem Bild zerschlägt er einen Baseballschläger. Das Bild ist von einer Benefizveranstaltung. "190 Stundenkilometer hat die Hand beim Aufprall", kommentiert Marquardt. Insgesamt waren es fünf Baseballschläger, um genau zu sein. "Weltrekord. Selbst Japaner machen so was nicht", sagt er. Warum macht er es dann? "Weil ich verrückt bin. Ich will eben immer der Beste sein."
Marquardt war jahrelang Karate-Champion. Heute macht er Benefizveranstaltungen, das Geld kommt immer Kindern zugute, die krank sind, arm, benachteiligt. Wenn er von Kindern spricht, legt sich ein freundlicherer Ausdruck über sein flächiges Gesicht. Der Ausdruck hat nichts zu tun mit der verzerrten Maske, mit der er Gegenstände zertrümmert.
Hinter ihm stemmen goldkettchenbehängte Typen Gewichte. Von weitem sehen die Kerle mit den rasierten Tonsuren plump aus, aber die Fleischberge sind Muskeln. Manche verbringen den ganzen Tag hier. In Neukölln gibt es wenig anderes zu tun. Entweder Mist bauen auf der Straße oder Muskeln aufbauen im Studio. Andreas Marquardt, 51, Sportstudio-Besitzer, Ex-Zuhälter, acht Jahre Gefängnis, Buchautor, guckt gelassen zu seinen Kunden hinüber. Angst vor denen braucht er nicht zu haben. Rundum sind seine Pokale zu sehen. Und obwohl er ein eher kleiner Mann ist, strahlt Marquardt mit seinem aufrechten Gang etwas aus, was unbedingten Respekt einfordert.
Bis Anfang der 90er-Jahre war Andreas Marquardt ein brutaler Zuhälter in Berlin. In Discos sprach er Frauen an, machte sie mit falschen Versprechungen gefügig, gaukelte jeder vor, sie sei seine einzige Freundin und machte sie dann als Prostituierte von sich abhängig. Er schlug die Frauen, demütigte sie, nutze sie aus, trieb sie zu gewalttätigen Sex-"Spielen". Das alles ist jetzt in einem Buch nachzulesen. Zusammen mit seinem Psychotherapeuten Jürgen Lemke hat der Ex-Zuhälter seine Lebensgeschichte veröffentlicht. Sie beginnt mit dem Leben des Luden und endet mit der Demütigung eines Kindes. Andreas Marquardt war acht, als seine Mutter ihn regelmäßig zu sexuellen Handlungen nötigte.
Seine Schilderung, wie eine Mutter ihren Sohn sexuell gefügig macht, bricht ein Tabu. Sexueller Missbrauch, so die landläufige Meinung, geht von Männern aus. Doch Experten schätzen, dass etwa zehn Prozent der Sexualstraftäter in Deutschland Frauen sind. Rechtfertigt das, aus einem Verbrecher einen Buchautor zu machen? Einen, der trotz aller Geständnisse einen gewissen Stolz auf seine Vergangenheit nicht verleugnet? Andreas Marquardt kann seinem Gegenüber in die Augen gucken und sagen: "Ich kann es nicht mehr wieder gut machen. Natürlich ist das, was ich getan habe, nicht zu entschuldigen". Er habe das Buch nicht geschrieben, um sich zu rechtfertigen oder reich und berühmt zu werden. "Sondern um die Menschen zu bewegen, genauer hinzuschauen, was mit Kindern passiert." Sollte das Buch Gewinn abwerfen, werde er ihn spenden. Auch sein Therapeut, der seit 17 Jahren mit Opfern und Tätern von sexueller Gewalt arbeitet, begeht Neuland. Jürgen Lemke hat zu DDR-Zeiten bereits einmal ein Tabu gebrochen, mit einem Buch über Homosexualität. Es wurde zum Bestseller. Er habe sich entschieden, Marquardts Lebensgeschichte aufzuschreiben, "weil für mich der Zusammenhang zwischen der Gewalt in der Kindheit und seiner späteren Brutalität klar ersichtlich ist", sagt er. Auch er betont: Man wolle nichts beschönigen.
Marquardts Geschichte liest sich zunächst fast komisch. Die Geschichte eines kleinen, spießigen Neuköllner Verwandten des Königs von St. Pauli. Dicke Autos, Rolex-Uhren, Seidenhemden, der ganze Protz der Männer-Halbwelt von West-Berlin auf der einen Seite. Andererseits schildert Marquardt anschaulich, wie ein "guter Lude" ein anständiges Bordell führt und seine Frauen effektiv organisiert, bis hin zu Einkaufstipps. "Viele Huren kaufen ihre ausgefallenen Sachen teuer in Hamburg. Ich habe den größten Teil der Ausstattung für meine Frauen im Laden Big Boy in Neukölln besorgt. Acht paar Hurenstiefel auf einen Schlag - und schon gab's einen ordentlichen Rabatt".
Doch ebenso detailliert ist die Schilderung der Gewalt. "Eine Frau brüllte ich nieder - was sie auch noch gut fand. Ich war überrascht und knallte ihr eine links und eine rechts, das gefiel ihr noch besser. Immer noch keine Spur von Widerstand, im Gegenteil, sie winselte nach mehr. Ich erhöhte die Dosis. Vor Geilheit jagte die Braut buchstäblich durch die Decke. Kaum zu fassen, was sich da vor meinen Augen abspielte." 20 Jahre lang behandelt Marquardt Frauen so. "Brauchbar für das, was sie vorher gemacht hatten, waren danach nur die wenigsten", räumt er ein. Erst im Gefängnis kommt er zur Besinnung. Eine Frau hat ihn wegen Körperverletzung angezeigt. "Ich hatte Hassgefühle ihr gegenüber, aber ich habe sie eigentlich gar nicht gesehen, sondern es war meine Mutter, die da stand und über mich lachte". Sieben Jahre sei er mit seiner Mutter "sexuell verbunden" gewesen, sagt Marquardt heute vorsichtig, als könne er sich selbst immer noch an dem verletzen, was ihm angetan wurde. "Mit zehn kam ich mir wie ein Zwanzigjähriger vor. Meine Mutter hat mir die Kindheit genommen. Ich hasse sie heute noch", sagt er und macht wieder dieses Gesicht, das verzerrte, in dem der Mund zum Strich gepresst ist und die Augen blitzeschleudernde Schlitze sind. "Das Hassprogramm Frauen lief eigentlich ununterbrochen."
Kann man so ein Programm tatsächlich endgültig stoppen? Therapeut Lemke meint: Ja. "Was ihn von anderen Tätern unterscheidet, ist der Wille. Was er anpackt, macht er richtig". Marquardt nickt und schaut hoch zu den Bildern, auf denen er Gegenstände zertrümmert und als Sieger posiert. Auf einem der Bilder erklärt er einem Jungen, wie man einen Ziegel zerschlägt. "Es geht dabei nicht um das Zerstören, sondern darum, eine Hemmschwelle zu überwinden", erklärt er das Foto.
Die größte Hemmschwelle, die Andreas Marquardt je überwunden hat, war, seine Geschichte zu erzählen. Im Gefängnis begreift er, dass dies der einzige Weg zurück ins richtige Leben ist. "Ich habe bis dahin in einer Scheinwelt gelebt." Marquardt vertraut sich zunächst einer Anwältin an. "Angst, wieder gewalttätig zu werden, habe ich nicht", sagt Marquardt. "Aber meine Kindheit holt mich trotzdem immer wieder ein."
Als kleiner Junge hat sein Vater ihm die Hand zerquetscht. "Ich spüre es heute noch und höre, wie er höhnisch sagt, du Puschmütze, du Memme. Ich habe geschrieen vor Schmerzen, minutenlang, habe ihn in den Oberschenkel gebissen, bis mein Großvater ihn zurückriss". Da beschloss Andreas Marquardt, sechs Jahre alt: nie wieder würde ihn jemand so demütigen. Das ist der zweite Teil seiner Kindheitsgeschichte. Er schaut auf seine rechte Faust, die er nicht mehr öffnen kann. Er hat sie sich inzwischen selbst zerstört. Und viel Ruhm dafür geerntet.
Andreas Marquardt lebt heute das normale Leben eines Sportstudiobesitzers. Geführt wird es von seiner Frau Marion, einer zarten, bildhübschen Person. Während seiner Zeit im Gefängnis hat sie das Studio vom Luden-Laden zum normalen Betrieb gewandelt. Sie hat den Typen gekündigt. Ganz einfach war das wohl nicht. Marion ist die eigentliche Heldin des Buches. Denn nebenbei wird auch ihre Vergangenheit öffentlich. Sie war eine von Andreas Marquardts Prostituierten. Einige Passagen aus Marquardts Buch wurden vor der Veröffentlichung gestrichen. Zu brutal, zu pornografisch. Er wird trotzdem viele Fragen beantworten müssen. Er könne über alles reden, sagt er, nur eines könne er nicht: in seinem eigenen Buch lesen. Warum das? Marquardt schweigt. Man spürt, wie eine Wärme in ihm hochsteigt. Wut? "Ich werde dann sehr traurig", sagt er dann, und fügt an, dass es das Wort "traurig" nicht richtig treffe. Er wirkt noch ein bisschen kleiner, als er ohnehin ist. Vielleicht wie das Kind, das er nie war.