"Sie lehnen unsere Werte ab"

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Regina Köhler

Das Robert-Koch-Gymnasium in Kreuzberg ist ein ganz normales Gymnasium. Das meint die verantwortliche Schulbehörde.

Das Robert-Koch-Gymnasium in Kreuzberg ist ein ganz normales Gymnasium. Das meint die verantwortliche Schulbehörde. Das Kollegium ist anderer Meinung. Das liegt an der Zusammensetzung der Schülerschaft, in der inzwischen mehr als 94 Prozent nichtdeutscher Herkunft sind. "Die Kinder sind interessiert und begabt. Aber sie haben sprachliche Defizite, die eine spezielle Förderung unumgänglich machen", sagt eine Lehrerin.

Der beunruhigende Leistungsstand der Siebtklässler sei da nur ein Beispiel. In der Umgangsprache können sich diese Schüler noch halbwegs ausdrücken. Lesen und Schreiben aber fällt ihnen schwer. "Wir haben zusammen eine Ballade gelesen. Als es darum ging, alle unverständlichen Wörter an die Tafel zu schreiben, war die nach kurzer Zeit voll", erinnert sich die Deutschlehrerin. Die Schüler haben schließlich vorgeschlagen, am besten gleich das ganze Gedicht zu übersetzen.

Die Deutschstunde - ein Schuldrama

"Die Deutschstunde" heißt der Dokumentarfilm von Theo Teucher, der an eben jenem Kreuzberger Gymnasium gedreht und 2007 fertiggestellt worden ist. Heute Abend um 23.35 Uhr wird er im RBB ausgestrahlt. Teucher hat drei Jahre lang Schüler des Robert-Koch-Gymnasiums während des Deutschunterrichts begleitet. Entstanden sind berührende Porträts von einigen dieser Jugendlichen und ihren Deutschlehrern Inge Sewig und Rolf-Peter-Müller.

Gezeigt wird, wie die Lehrer um ihre Schüler ringen, wie sehr sie an deren Persönlichkeitsentwicklung interessiert sind. Wie sie versuchen, die Jugendlichen zu fördern. Gezeigt wird aber auch, wie sie scheitern.

Ein Beispiel: Ein Jahr vor dem Abitur haben die Schüler des Deutschkurses von Inge Sewig ein Stück einstudiert. Zwei Tage vor der Premiere haben Olivia und Linda keine Lust mehr. Sie weigern sich aufzutreten. Ihr Abitur haben sie in der Tasche, die verantwortliche Lehrerin hat ihnen nichts mehr zu sagen. Olivia bringt einige andere Schüler auf ihre Seite, die Aufführung platzt. Für Inge Sewig - seit den 70er-Jahren Deutschlehrerin am Robert-Koch-Gymnasium - eine Tragödie, das Ende einer Utopie.

Sensible Porträts von Jugendlichen

Teucher lässt in seinem Film aber auch die Schüler zu Wort kommen. Offen erzählen einige von ihnen von ihren Erfahrungen im Unterricht, ihrer Einstellung zur Schule und zum Leben. Olivia etwa, die sagt, dass Musik für sie eine der besten Kommunikationsmöglichkeiten darstellt. Oder Ugur, der Inge Sewig als eine leidenschaftliche Lehrerin beschreibt und dennoch gesteht, dass er von Literatur wenig hält. Nur ein Teil der Schüler, die letztlich das Abitur schafften, kann mit dem Angebot des Deutschunterrichts wirklich etwas anfangen. Vielen bleiben die Standardwerke der deutschen Literatur bis zuletzt fremd. Andere verlieben sich geradezu in einzelne literarische Werke.

"Die Deutschstunde" zeigt Defizite in der Integrationspolitik, die sich auch am Gymnasium katastrophal bemerkbar machen. So hat Rolf-Peter Müller in seiner siebten Klasse ein Diktat von 1986 schreiben lassen. Das Ergebnis war verheerend. "Die Schüler machen wesentlich mehr orthografische Fehler als früher", sagt der Deutschlehrer im Film. Beunruhigend finden er und seine Kollegen auch islamistische Tendenzen in der Schülerschaft. Als es in der 9. Klasse um Selbstmordattentate gegangen sei, hätten einige junge Männer aus der Klasse betont, dass dies im Sinne Gottes sei. Einer habe gesagt, dass er das jederzeit auch machen würde, wenn er in der Lage wäre.

Lehrer fühlen sich allein gelassen

Rolf-Peter Müller ist inzwischen 65 Jahre alt und noch immer Deutschlehrer am Robert-Koch-Gymnasium. Die Dokumentation von Theo Teucher hält er für gelungen. Die Probleme hätten sich inzwischen noch verschärft, sagt Müller. Ein Drittel der Schüler der siebten bis neunten Klassen akzeptiere die Grundwerte der deutschen Kultur und arbeite hervorragend. Ein weiteres Drittel verhalte sich indifferent. "Die anderen lehnen unsere Werte und Bildungsinhalte ab und wollen sich davon nicht berühren lassen."

Das Kollegium bemühe sich nach Kräften darum, auch diese Schüler zu erreichen, Vertrauen aufzubauen, sie von den Grundwerten der Gesellschaft zu überzeugen. "Deutsch ist seit einem Jahr unser Schulprofil", sagt Müller. Die Schule brauche dringend mehr Räumlichkeiten und Personal. "Wir müssen Teilungsunterricht machen können, um die Schüler so gut wie möglich zu fördern", so Müller. Entsprechend ausgebildete Sozialarbeiter sollten zudem die Lehrer unterstützen und sich vor allem auch um den Kontakt zu den Eltern bemühen, fordert er.