Bundespräsidentschafts-Kandidatin

Klarsfelds Ohrfeige war mit DDR abgesprochen

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Sven Felix Kellerhoff

Foto: dpa / dpa/DPA

Die Ohrfeige gegen den damaligen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger, mit der Beate Klarsfeld berühmt geworden ist, war einem Medienbericht zufolge mit der DDR-Führung abgesprochen.

Wenn am 18. März die Bundesversammlung im Berliner Reichstag zusammentritt, um den Nachfolger von Bundespräsident Christian Wulff zu wählen, wird die 73-jährige Kandidatin Beate Klarsfeld voraussichtlich nur Stimmen der Linkspartei bekommen. Ihre Hoffnung, auch in den Reihen der CDU-Wahlmänner und Wahlfrauen Zustimmung zu finden , ist äußerst gering.

Für Klarsfeld ist das allerdings nichts Neues. Schon bei den Aktionen in den späten Sechzigerjahren gegen den damaligen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (1904-1988), die ihre Bekanntheit begründete, konnte sie sich auf die Unterstützung des Linkspartei-Vorgängers SED verlassen. Bekannt wurde Klarsfeld vor allem durch eine Ohrfeige , die sie Kiesinger am 7. November 1968 auf dem CDU-Bundesparteitag gab.

Die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ (FAS) hat im Bundesarchiv Berlin Belege gefunden, dass ihre Angriffe „mit der DDR-Regierung besprochen waren und von dieser unterstützt wurden“. Nach dem Zeitungsbericht reiste Klarsfeld „im April 1968 nach Ost-Berlin, um sich mit dem Nationalrat „über die Vorbereitung einiger Aktionen gegen Kiesinger zu beraten und entsprechende Unterstützung zu erhalten“.

Klarsfeld erhielt Dokumente statt Geld

SED-Chef Walter Ulbricht habe daraufhin den sogenannten DDR-Nationalrat, eine für Propagandaaktionen gegen die Bundesrepublik zuständige SED-Organisation, angewiesen, „Frau Klarsfeld jede sachdienliche Hilfe zu gewähren“. Anders als von ihr gewünscht, habe diese Unterstützung jedoch nicht in Geld, sondern in Dokumenten für ihre Angriffe bestanden.

Albert Norden, der Chefpropagandist der SED, schrieb der „FAS“ zufolge in einem Vermerk über Klarsfeld: „Ihre politischen Aktivitäten reduziert sie allerdings ausschließlich, das aber mit aller Vehemenz, gegen Kiesinger, aufgrund seiner Nazivergangenheit.“

Diese Archivfunde korrespondieren mit Erkenntnissen von Zeithistoriker über die geschichtspolitische Kampagne der DDR gegen Kiesinger. Philipp Gassert, der Autor der hervorragenden Biografie über den „Kanzler zwischen den Zeiten“ (Deutsche Verlagsanstalt, 896 Seiten, 39,90 Euro), hat schon vor sechs Jahren darauf hingewiesen, dass die Archivverwaltung der DDR seit November 1966 „fieberhaft an einer Dokumentation über Kiesinger“ arbeitete, nachdem die SED von seiner Nominierung zum Kanzlerkandidaten „völlig unvorbereitet getroffen“ worden war.

"Washington Post“ fragte zuerst nach Kiesingers Kanzlertauglichkeit

Noch im erhaltenen „Arbeitsplan September-Dezember 1966“ der Abteilung Agitation des DDR-Nationalrates war Kiesinger anders als andere bekannte Bundespolitiker nicht als Ziel von vergangenheitspolitischer Propaganda genannt worden.

Dagegen hatten westliche Zeitungen schon im Sommer 1966 breit die Mitgliedschaft Kiesingers in der NSDAP thematisiert. Die „Washington Post“ hatte zuerst die Frage nach der Kanzlertauglichkeit des damaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten gestellt, und die „Welt“ hatte diese Zweifel auch dem deutschen Publikum bekannt gemacht: „Sein Verhalten als junger Mann während der NS-Zeit“ würde einer „genaueren Untersuchung“ möglicherweise nicht standhalten, gab der Artikel zu bedenken.

Als dann Kiesinger im Herbst 1966 als Kanzlerkandidat einer kommenden Großen Koalition immer wahrscheinlich wurde, brach regelrecht eine Berichtslawine los. Die „Neue Zürcher Zeitung“ zum Beispiel beschäftigte sich ausführlich mit „Kiesingers Handicap“ und stellte die Eignung des Kandidaten offen in Frage. Wahrscheinlich hatte der inzwischen greise Gründungskanzler Konrad Adenauer diese Attacke indirekt mit Interna munitioniert.

Aufgrund dieser und ähnlicher Artikel suchte der damalige Bundesfamilienminister und CDU-Strippenzieher Bruno Heck am 4. November 1966 Bundespräsident Heinrich Lübke auf, um ihn zu warnen: Kiesinger sei „wegen nationalsozialistischer Belastung als neuer Kanzler nicht tragbar“. Doch Lübke, der selbst zu Unrecht Ziel massiver vergangenheitspolitischer Attacken aus Ost-Berlin war, folgte diesem Ratschlag nicht.

US-Spezialisten suchten nach Belastungsmaterial

Parallel zu der öffentlichen Auseinandersetzung suchten US-Spezialisten in den erhaltenen NSDAP-Akten im Berlin Document Center nach Belastungsmaterial gegen Kiesinger. Doch entgegen umgehend verbreitetem Geraune ließen sich dort nur altbekannte Fakten bestätigen, etwa Kiesingers Mitgliedschaft in der NSDAP und seine weitgehend unbedeutende Stellung in der Rundfunkabteilung des Auswärtigen Amtes während des Zweiten Weltkrieges.

Das „Neue Deutschland“ überraschte am 23. November 1966 mit der Schlagzeile, Kiesinger sei der „Chefagitator Hitlers“ gewesen. Das war so grotesk und schlecht erfunden, dass die Behauptung eine mäßigende Wirkung auf die Berichterstattung in westlichen Zeitungen hatte. „In der Sache“, so urteilt der Historiker Gassert, konnte Kiesinger „weder in Widersprüche verwickelt noch unwahrer Behauptungen überführt werden“.

Nach der Wahl des Kandidaten zum Bundeskanzler am 1. Dezember 1966 ebbte die Berichterstattung wegen seiner NSDAP-Mitgliedschaft weitgehend ab. Die SED aber war nicht zufrieden. Zwar begegnete in dem Buch „Missbrauchte Mikrofone“ des DDR-Autoren Reimund Schnabel auf 512 Seiten der Name Kiesinger gleich 68 Mal.

Klarsfeld wurde wahrscheinlich durch Presse auf Kiesinger aufmerksam

Doch konnte das Bundeskanzleramt erleichtert feststellen, dass es sich in den meisten Fällen um schlichte Nennungen in Dokumentenverteilern handelte. „Nach menschlichem Ermessen“, so fasste es ein Ministerialbeamter zusammen, sei der Versuch der DDR gescheitert, den Kanzler zu beschädigen.

Wahrscheinlich durch die Presseberichte im Herbst 1966 war Beate Klarsfeld auf die nie bestrittene Mitgliedschaft Kiesingers in der NSDAP aufmerksam geworden. Sie entschied sich, gerade den Bundeskanzler zum Ziel ihrer „Vergangenheitsbewältigung durch generationelle Distanzierung“ (Gassert) zu machen. Doch anfangs hatte sie damit wenig Erfolg.

Am 2. April 1968 beschimpfte sie den Bundeskanzler während dessen „Rede zur Lage der Nation im geteilten Deutschland“ im Bundestag von der Besucher-Tribüne. „Nazi Kiesinger, abtreten“ rief die nach eigenen Angaben „selbstständig politische tätige“ junge Frau von damals 29 Jahren.

Für die Ohrfeige gab es nur einen Verweis

Außer einem Verweis aus dem Plenarsaal jedoch geschah ihr nichts. Kurz nach diesem für sie enttäuschenden Ausgang der Anti-Kiesinger-Aktion reiste Klarsfeld nach Informationen der „FAS“ nach Ost-Berlin – um weitere Aktionen vorzubereiten.

Übrigens hatte Kiesinger bereits im Mai 1968 bei dem Historiker Hans Buchheim eine unabhängige Expertise zur Tätigkeit der Rundfunkabteilung des Auswärtigen Amtes im Dritten Reich in Auftrag gegeben. Das Ergebnis widerlegte zwar die wilden Attacken aus Ost-Berlin, konnte aber naturgemäß nicht nachweisen, dass Kiesinger nichts von der Judenverfolgung gewusst hatte.

Irgendeinen Beweis für die Verstrickung des Kanzlers in NS-Verbrechen fand Buchheim nicht. Doch das wissenschaftlich trockene Gutachten eignete sich nicht zur Veröffentlichung.

DDR lieferte verfälschte Dokumente

Dafür gab es nun weitere Angriffe, zum Beispiel durch den linken Schriftsteller Günter Grass. Er schrieb Mitte Mai 1968: „1927 geboren, hatte ich, dank der Fürsorge der Generation des Herrn Kiesinger, die Möglichkeit, mit 15 Jahren Luftwaffenhelfer, mit 16 Jahren Soldat zu werden und als 17-Jähriger in Gefangenschaft zu geraten.“

Über seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS jedoch fand sich in Grass’ wilder Attacke kein Wort – er verschwieg sie bis 2006.

Beate Klarsfelds Ohrfeige stand nur am Ende einer vielfältigen, von kritischen westlichen Medien angestoßenen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit von Kurt Georg Kiesinger. Als die sachliche Überprüfung der Vorwürfe zeigte, dass Kiesinger nichts Wesentliches verschwiegen hatte, lieferte die DDR zugespitzte, überwiegend verfälschte oder fehlinterpretierte Dokumente bei.

Beate Klarsfeld stützte sich offenkundig auf diese Unterlagen bei ihrem wütenden Kampf gegen den Bundeskanzler, der bis heute zu Unrecht als ehrenwerte und mutige Tat im kollektiven Gedächtnis Deutschlands verankert ist.