Es ist schon eine Überraschung, wenn der als geschreddert und gezähmt geltende Koalitionspartner plötzlich beim Thema Staatsoberhaupt Flagge zeigt und darüber in einer Talkshow auch noch öffentlich redet. FDP-Chef Philipp Rösler hatte das getan, erst am Wochenende bei der Nominierung Joachim Gaucks und dann am Donnerstag in der ZDF-Talkshow von Markus Lanz. Es gibt welche, die sagen, dass deswegen zwischen Union und FDP nun Krieg ausbrechen werde.
Bei Lanz hatte Rösler vergnügt kundgetan, Bundeskanzlerin Angela Merkel habe sich bei ihm „persönlich noch nicht direkt“ dafür bedankt, dass sich die FDP bei Gauck gegen Merkel gestellt hatte. Auf die Frage von Lanz, ob er Merkel „über den Tisch gezogen“ habe, sagte Rösler zwar: „So würde ich das niemals sagen. Ich glaube, das wäre auch nicht so gewesen.“ Aber der Tonfall klang doch sehr nach innerer Verschmitztheit.
Rösler erinnerte daran, dass er bereits am Tage des Rücktritts von Christian Wulff gegenüber Merkel habe durchblicken lassen, dass die FDP in Richtung Gauck gehe. (Es gibt sogar die Version, Rösler selber habe sich bereits am Freitag für Gauck ausgesprochen.)
Auf Lanz’ Nachfrage, ob die Bundeskanzlerin wirklich am Sonntag über die Medien erfahren habe, dass die FDP bei Gauck „etwas anderes vorhat“ als Merkel, sagte der FDP-Chef dem Moderator mit treuem Augenaufschlag und schnippischer Freude: „Jipp!“
Union und Liberale hätten in jenen entscheidenden Stunden beide mit je drei Spitzenvertretern parallel im Kanzleramt gesessen und Telefonschaltkonferenzen mit den restlichen Mitgliedern ihrer Führungsgremien geführt, nur jeweils auf verschiedenen Etagen.
Rösler verlor in Umfragen an Boden
Die FDP-Vertreter seien sofort nach dem Beschluss für Gauck zur Unionsrunde aufgebrochen – aber irgendwie sei die Nachricht bei der Unionsseite „schneller auf dem Handy-Display zu sehen gewesen, als wir oben bei ihnen sein konnten“. Ein Wunder der Technik eben. In diesem leichthin ironisch-fröhlichen Ton kamen Rösler und Markus Lanz dann auch auf den Frosch zu sprechen.
Bei seiner Wahl zum FDP-Chef hatte Philipp Rösler am 14. Mai 2011 in Rostock über sein Machtbewusstsein gesagt: „Wenn Sie einen Frosch in heißes Wasser werfen, dann hüpft er sofort heraus. Wenn Sie aber einen Frosch in kaltes Wasser setzen und dann langsam die Temperatur erhöhen, wird er zuerst nichts merken und nichts machen, und wenn er etwas merkt, dann ist es zu spät für den Frosch. So viel zum netten Herrn Rösler.“
Seither hatten die FDP und besonders auch Rösler in den Umfragen ständig an Boden verloren. In Unionskreisen wurde die Redepassage mit immer stärker spürbarer Genugtuung zitiert. Rösler der Frosch. „Wann“, fragte nun am Donnerstag Lanz, „hat Frau Merkel gemerkt: Ich bin der Frosch?“ In den Szenenapplaus hinein ließ Rösler ein gedehntes „Ja“ erklingen und fuhr, als der Beifall verklungen war, fort: „Schätzungsweise nach der besagten Telefonschaltkonferenz des CDU-Präsidiums.“
Rösler beeilte sich zwar hinzuzufügen, es sei ihm in Rostock eigentlich um den Frosch als Symbol der Freiheit gegangen. Aber er war der Einzige, der das so interpretierte. Wolfgang Bosbach (CDU), der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, drohte: „Man sieht sich im Leben immer zweimal.“
Bosbach fechtet derzeit hinter den Kulissen mit der FDP einen harten Kampf um die Reform der Vorratsdatenspeicherung. Die FDP will dieses Instrument der Verbrechensbekämpfung sehr restriktiv handhaben, Bosbach und die CDU nicht so sehr. Die Nerven sind seit Langem strapaziert. Liegen sie nach Röslers Auftritt bei Markus Lanz nun blank?
Rache ist keine gute Ratgeberin
Unionsvertreter, die man darauf anspricht oder ansimst, machen nicht den Eindruck, als wollten sie ausgerechnet wegen der populären Personalie Gauck jetzt Rösler ans Schienbein treten. Erfreut zeigt sich zwar kaum jemand, aber als Profis wissen sie, dass die Rache keine gute Ratgeberin ist.
„Den Ball flach halten“ war am meisten zu hören. Zwar sagen manche in der CDU, die FDP habe den großen Max markiert. Aber die FDP musste bei einem Thema von bundesweiter Bedeutung endlich Rückgrat zeigen, um aus der Umfrageflaute herauszukommen.
Merkel hat sich verrannt
Rösler ließ bei Lanz durchblicken, dass er Gauck auch unterstützt hat, weil die Liberalen bei nur 1,8 Prozent liegen. Bei der Kieler Landtagswahl im Mai will er die FDP in den Landtag hieven. Dank eines von ihm durchgesetzten Bundespräsidenten Gauck könnte er das schaffen, und vielleicht erlebt die CDU mit dem netten Herrn Rösler ja noch weitere Überraschungen.
Zur Wahrheit gehört, dass Angela Merkel sich bei der Wulff-Nachfolgersuche verrannt hatte. Sie hatte Bischof Wolfgang Huber vorgeschlagen. Wäre er der Kandidat geworden, hätte es in der Union viele Abweichler gegeben. Rösler hat Merkel davor bewahrt.
Für den Fall, dass Kanzlerin und Vizekanzler dies alles noch einmal bereden, hat Philipp Rösler mit Blick auf sich und Merkel einen seiner Lieblingssätze bereit: „Man macht nie im Leben denselben Fehler, denn es gibt eine viel zu große Auswahl.“