Zwar rufe niemand zur Gewalt auf, letztlich schütze das aber nicht vor einer solch verheerenden Einzeltat wie in Norwegen, sagt Extremismus-Experte Florian Hartleb.
Morgenpost Online: Der Attentäter von Norwegen sieht sich als Teil einer europaweiten Bewegung und sieht große Umwälzungen in Westeuropa, eine im Rekordtempo wachsende konservative Bewegung, die gegen den Islam kämpft. Gibt es diese Entwicklung tatsächlich?
Florian Hartleb: Bei der Selbststilisierung eines terroristischen Einzeltäters muss man sehr vorsichtig sein. Vieles ist da auch im stillen Kämmerlein ersponnen. Er hat sich ja gerade nicht das Leben genommen, weil er Propaganda betreiben will. Er selbst spricht von der „größten Propagandaschlacht seit dem Zweiten Weltkrieg“, die nun beginne. Er will missionarisch wirken.
Morgenpost Online: Kann man den Täter überhaupt als rechtsextrem bezeichnen?
Hartleb: Ich wäre da vorsichtig. Die Bezeichnung rechtsextrem ist meines Erachtens zu eindimensional. Seine Ideologie ist hochkomplex. Letztlich ist jeder Terrorist ein Irrer, völlig wirr argumentiert Anders B. aber nicht. Er will keinen totalitären Staat haben, er will ein Europa frei von Kulturmarxismus und Islam. Er warnt vor einer kulturellen Unterwanderung Europas, insofern argumentiert er rechtsaußen, ähnlich wie die rechtskonservative Szene in Deutschland. Er spricht vom „Europa nach 1945“ - indirekt bezieht er sich damit auf das Vermächtnis der 68er Bewegung. 1968 ist in seinem You-Tube-Video als Ziffer zu sehen. Das linke Gedankengut habe zum Multikulturalismus geführt, der den Tod Europas bedeute.
Morgenpost Online: Sieht sich der Täter selbst als Kreuzritter?
Hartleb: Der Täter wünscht sich das Idealbild des Mittelalters zurück. Letztlich hat er sich selbst als Kreuzritter gesehen und als solcher 93 Menschen hingerichtet. Er war ja offensichtlich auch ein Waffenfreak. Das Komische ist letztlich, dass er keine islamischen Jugendlichen getötet hat, sondern Anhänger der linken Regierungspartei, also norwegische Jugendliche, die er angeblich ja vor den islamischen Unterwanderern schützen wollte.
Morgenpost Online: Stimmt es denn, dass es europaweit eine wachsende anti-islamische Bewegung gibt?
Hartleb: Ja, definitiv, auch wenn diese Bewegungen ganz unterschiedlicher Art sind. Die rechtspopulistischen Parteien haben stark zugenommen. Der Erfolg von Geert Wilders in den Niederlanden etwa beruht auf seiner Aussage, der Islam sei eine faschistische Ideologie. Dem Täter war Anti-Islam-Kritik in der norwegischen rechtspopulistischen Partei FrP zu schwach ausgeprägt, deshalb ist er ausgetreten.
Morgenpost Online: Gibt es auch in Deutschland wachsenden Anti-Islamismus?
Hartleb: Ja. Schauen Sie sich etwa die Pro-Köln-Bewegung an. Natürlich rufen die aber nicht zu Gewalt auf. Aber das schützt uns nicht vor solchen Einzeltätern. Schließlich war Norwegen bislang auch nicht durch ausgeprägte rechtsextreme Bewegungen aufgefallen und Migranten galten als gut integriert. Das ist das Irrationale an der Sache. Aber wir haben die anti-islamische Szene meiner Einschätzung nach gut im Visier.
Morgenpost Online: Gibt es eine vergleichbare Tat, aus der man Parallelen ziehen kann?
Hartleb: Dieser terroristische Akt sucht seinesgleichen. Es ist der größte rechtsterroristische Anschlag seit dem Oktoberfestattentat 1980 in München, bei dem 13 Menschen starben. Mitte der 90er-Jahre gab es den Attentäter Franz Fuchs, der sich auf eine Bajuwarische Befreiungsarmee berief und Briefbomben verschickte, unter anderem an den Wiener Oberbürgermeister, der seine Hand verlor, und an die Moderatorin Arabella Kiesbauer. Das Tätermuster ist vielleicht am ehesten vergleichbar. Beide Täter strebten stark nach Aufmerksamkeit und wollten Propaganda betreiben.
Prof. Florian Hartleb ist Politologe und Extremismus-Experte und forscht derzeit am Centre for European Studies in Brüssel.