Der Unions-Fraktionschef spricht sich gegen eine verpflichtende Erklärung zur Organspende aus. Stattdessen könnte jeder einmal im Leben nach seiner Bereitschaft dazu gefragt werden.
Der Mangel an Organspenden wird Thema der Politik. Am Mittwoch soll eine Expertenanhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages Wege aufzeigen, wie sich die Bereitschaft der Deutschen zur Organspende nach ihrem Tod erhöhen lässt. Diskutiert wird vor allem, ob es eine Widerspruchslösung geben soll, bei der die Spendenbereitschaft vorausgesetzt wird und ausdrücklich verweigert werden muss.
Im Raum steht auch eine Erklärungspflicht , bei der jeder Bürger sich einmal im Leben für oder gegen eine Spende aussprechen muss. Zudem will die FDP es erleichtern, dass ein Lebender ein Organ auch an eine Person außerhalb des engen Familienkreises spendet. Sehr engagiert in der Debatte ist Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU).
Morgenpost Online: Herr Kauder, warum werden so wenige Organe gespendet?
Volker Kauder: Für viele Menschen ist die Frage, ob sie sich als Organspender zur Verfügung stellen wollen, sicher kein einfaches Thema. Vielleicht befürchtet der eine oder andere, dass er als potenzieller Organspender im Krankenhaus nicht so gut versorgt wird, obwohl dies natürlich absurd ist. Wer darüber nachdenkt, Organe zu spenden, muss sich aber in jedem Fall mit dem Tod befassen. Er muss sich die Frage stellen: Was geschieht mit mir danach? Das fällt nicht jedem leicht. Der Tod wird immer noch zu sehr tabuisiert.
Morgenpost Online: Und deshalb sind so wenige Menschen zur Spende bereit.
Volker Kauder: Genau. Allerdings glaube ich auch, dass in der Gesellschaft die Bereitschaft zunimmt, sich mit dem Thema Sterben einzulassen. Es gibt ja Millionen sogenannter Patientenverfügungen, in denen sich die Menschen damit auseinandersetzen, wie sie in der letzten Lebensphase ärztlich versorgt werden wollen.
Morgenpost Online: Wie ließe sich die Spendenbereitschaft erhöhen?
Volker Kauder: Vor allem durch eine noch breitere Aufklärung. Hier ist in den vergangenen Jahren schon viel geschehen. Es gibt Organisationen wie Pro Organ, die sich aus Spenden finanzieren und tolle Kampagnen auf die Beine stellen. Die Krankenkassen tun viel und natürlich auch die Stiftung Organtransplantation. Aber wir sind noch lange nicht am Ziel. Es fehlen in Deutschland pro Jahr 12.000 Organspenden. Tausende sterben deshalb. Die Politik muss nun handeln. Wir müssen zu einer anderen gesetzlichen Regelung kommen.
Morgenpost Online: Was halten Sie davon, alle Bürger zu verpflichten, einmal im Leben zu erklären, ob sie spenden wollen?
Volker Kauder: Wenig. Dabei ist die Ausgangsüberlegung sicher richtig. Der Staat tritt wegen der Bedeutung von Organspenden für viele schwer erkrankte Menschen einmal an seine Bürger heran und fragt sie, ob sie zur Spende bereit wären. Meiner Auffassung nach darf der Staat aber niemanden zwingen, eine solche Erklärung abzugeben. Organspenden sind eine höchstpersönliche Angelegenheit. Sie betreffen die menschliche Würde, die auch nach dem Tod zu achten ist. Deshalb darf es hier keinen staatlichen Zwang geben.
Morgenpost Online: Wenn Sie diese Pflicht ablehnen, was wäre dann die Alternative?
Volker Kauder: Die Alternative ist, dass der Staat seine Bürger schlicht fragt. Das würde in der Bevölkerung das Bewusstsein für den Nutzen von Organspenden enorm erhöhen. Damit wäre schon viel erreicht. Ich werde mich für eine solche Lösung auch in den kommenden Monaten einsetzen.
Morgenpost Online: Wie würde das praktisch gehen?
Volker Kauder: Denkbar wäre, an die Bürger nach dem Erwerb des Führerscheins heranzutreten, ob sie zur Organspende bereit wären – verbunden mit der Aushändigung des entsprechenden Aufklärungsmaterials. Die Menschen wären aber selbstverständlich frei, ob sie einen entsprechenden Fragebogen überhaupt beantworten. Sie könnten ihn auch wegwerfen.
Morgenpost Online: Wie beurteilen Sie die noch weitergehenden Vorschläge zur Einführung einer Widerspruchslösung, wie es sie etwa in Spanien gibt?
Volker Kauder: Die Widerspruchslösung beruht auf dem Gedanken, dass jeder Bürger zunächst zur Organspende verpflichtet wäre. Die Menschen könnten sich nur per Widerspruch davon lösen. Das würde noch weniger dem Schutz der Würde und der Freiheit des Menschen entsprechen als ein Zwang zur Erklärung, über die wir schon gesprochen haben. Ich glaube nicht, dass bei solchen Zwangsmaßnahmen die Bürger Organspenden innerlich wirklich akzeptieren würden. Nein, die Freiwilligkeit ist wichtig.
Morgenpost Online: Die FDP möchte die strengen Regeln für Lebendspenden lockern. Wie beurteilen Sie diesen Vorschlag?
Volker Kauder: Einem anderen zu Lebzeiten ein Organ zu spenden ist ein besonders Zeichen christlicher Nächstenliebe. Keine Frage. Ich halte es aber für grundsätzlich richtig, die Hürden weiter hoch zu halten.
Morgenpost Online: Wie sollte das weitere parlamentarische Verfahren zur Neuregelung des gesamten Themenkomplexes Organspende in nächster Zeit aussehen?
Volker Kauder: Nach der Anhörung an diesem Mittwoch sollten wir zügig im weiteren Gesetzgebungsverfahren voranschreiten. Es wird sicher fraktionsübergreifende Gruppenanträge geben. Bis Jahresende sollten wir ein neues Gesetz verabschiedet haben.