Kabelbrand am Ostkreuz

Polizei hält Anschlag auf S-Bahn für Testlauf

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N. Doll und M. Lutz

Foto: dpa / dpa/DPA

Die linksextreme Szene wird aggressiver – das zeigt der Brandanschlag am Berliner Bahnhof Ostkreuz. Die Polizei befürchtet eine weitere Radikalisierung.

Nach dem Brandanschlag am Berliner S-Bahnhof Ostkreuz sucht der Staatsschutz mit Hochdruck nach den vermutlich linksextremen Tätern. Darauf deutet ein im Internet veröffentlichtes Bekennerschreiben hin, das die Polizei für authentisch hält. In den zwei Seiten wird die Straftat in Zusammenhang zu den Themen „Anti-Atom“, „Antimilitarismus“ gestellt.

Die Täter bekennen sich dazu, „einen Teil der Bahninfrastruktur am Ostkreuz, einem zentralen Verkehrsknotenpunkt der deutschen Hauptstadt sabotiert“ zu haben. Sie hätten an einer Kabelbrücke Schutzgitter Feuer gelegt, „um damit etwa einhundert Signal-, Telekommunikations- und Stromkabel kurz zu schließen“.

Das Schreiben durchzieht eine krude Kapitalismuskritik, die unter anderem an der Atomausstiegsdebatte und den Ereignissen in Fukushima festgemacht wird. Der Anschlag hatte große Teile des Bahnverkehrs im Ostteil Berlins und im Umland sowie das Vodafone-Netz lahmgelegt.

Völlig neue Dimension der Gewalt

Brandanschläge sind in Berlin keine Seltenheit, schließlich gilt die Stadt als „Hauptstadt der Autobrände“. Anfang November vergangenen Jahres hatte es einen ähnlichen Kabelbrand gegeben, zu dem sich Linksautonome bekannten.

Der Brandanschlag auf eine Polizeiwache im Stadtteil Friedrichshain Mitte April ging ebenfalls auf das Konto einer autonomen Gruppe.

Dennoch ist die Dimension der Gewalt, der Angriff auf die Infrastruktur einer Metropole, völlig neu . „Da wird die Gesellschaft an ihrer empfindlichsten Stelle getroffen“, sagte der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, Morgenpost Online.

Er sieht die Attacke auf die Stadt als Testlauf für weit schwerere Anschläge. „Das können dann auch Bombenanschläge sein“, so Wendt. In dem Berliner Brandanschlag sieht er jedenfalls die „Vorstufe für neuen Terror“.

Allerdings rechnet er nicht damit, dass sich aus der zunehmenden Radikalisierung eine neue Rote Armee Fraktion (RAF) entwickelt: „Der Unterschied zwischen damals und heute ist, dass keine feste Gruppe wie die Baader-Meinhof-Bande existiert.“

Dies hält er sogar für gefährlicher, weil Kleingruppen mit wechselnden Mitgliedern für die Polizei viel schwerer zu ermitteln sind.

"Später wurden Menschen ermordet“

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) bezeichnete den Berliner Anschlag als „neue Eskalationsstufe linksextremistischen Terrors“. „Auch der RAF-Terror hat mit der verharmlosenden sogenannten Gewalt gegen Sachen begonnen. Später wurden Menschen ermordet“, sagte der GdP-Vorsitzende Bernhard Witthaut.

Der Innenausschuss-Vorsitzende im Bundestag, Wolfgang Bosbach (CDU), verurteilte die neue Dimension der Gewalt. „Die Gewaltspirale ist wieder ein ganzes Stück weiter gedreht worden. Es handelt es sich um einen gezielten Anschlag gegen die Infrastruktur der Hauptstadt“, sagte Bosbach Morgenpost Online.

"Hohe kriminelle Energie"

Die Täter seien mit „hoher krimineller Energie“ vorgegangen. Er kritisierte die ehemalige RAF-Terroristin Inge Viett, die im Januar auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin das „Abfackeln“ von Bundeswehrgerät für legitim erklärt hatte. „Genau durch solche Sprüche, die Kriminellen eine politische Legitimation verleihen“, sagte Bosbach.

In dem Bekennerschreiben zu dem Brandanschlag würden die Täter versuchen, auf der Protestwelle gegen Atomkraft mitzuschwimmen. Tatsächlich erwiesen die Täter der Anti-Atomkraft-Bewegung einen „Bärendienst“: „Denn sie diskreditieren die Demonstranten, die ihre Ziele gewaltfrei erreichen wollen.“

Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin äußerte sich in diesem Punkt ähnlich: „Das waren keine AKW-Gegner, das waren einfach Idioten.“ Der Anschlag sei Wasser auf die Mühlen derjenigen gewesen, „die zurzeit ein massives Interesse daran haben, dass die Bevölkerung wegen der Energiewende Angst um die Versorgungssicherheit bekommt“.

Selbst Carsharing-Fahrzeuge werden angegriffen

Auch Auch Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) verurteilte den Brandanschlag. „Der Anschlag auf die Bahn ist auch ein Anschlag auf den Staat“, sagte Ramsauer „Morgenpost Online“. Gewalt von radikalen Gruppen dürfe nicht geduldet werden.

Wie viele Konzerne ist die Deutsche Bahn seit Jahren ein Ziel krimineller Attacken. „Politisch motivierte Gewalt ist jetzt dazu gekommen“, sagte Sicherheitschef Gerd Neubeck.

Dabei spiele es keine Rolle, dass man das umweltfreundlichste Verkehrsmittel habe: „Selbst unsere ökologisch fortschrittlichen Carsharing-Fahrzeuge greift man mittlerweile an.“

Schaden von 50 Millionen Euro jährlich

Ein Schaden in Höhe von rund 50 Millionen Euro entsteht dem Unternehmen jedes Jahr – allein durch Fälle von Vandalismus und Schmiererein. „Tendenz in den vergangenen Jahren steigend“, unterstrich Neubeck.

Fälle wie der Anschlag am Berliner Ostkreuz seien da nicht inbegriffen, denn dort sei die Schadenssumme schwer zu quantifizieren. 160 Millionen lässt sich die Bahn ihren Sicherheitsapparat jedes Jahr kosten. Und sie rüstet weiter auf. In diesem Jahr soll die Zahl der Sicherheitskräfte um 500 auf dann 3700 erhöht werden.