Bundeskanzlerin Merkel verabredet mit den Ministerpräsidenten die Energiewende und holt die SPD ins Boot. Schon am 17. Juni sollen neue Gesetze verabschiedet werden.
Einen Plan gibt es wohl immer noch nicht für die Energiewende, aber immerhin einen Zeitplan. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) stellte nach einem Treffen mit den Ministerpräsidenten aller Bundesländer einen allgemeinen „politischen Willen zur Beschleunigung“ fest. „Viele Fragen werden ja schon sehr lange diskutiert, vielleicht ist jetzt der Zeitpunkt, wo man sagt: entscheiden, entscheiden, entscheiden“, sagte die Regierungschefin.
Konkret sieht das so aus: Am 6. Juni soll das Bundeskabinett nach einem erneuten Treffen der Ministerpräsidenten ein ganzes Bündel von gesetzlichen Änderungen verabschieden. Diese sollen dann schon am 17. Juni von Bundestag und Bundesrat abschließend verabschiedet werden. Damit verzichten die Verfassungsorgane schon wieder auf die üblichen Beratungsfristen.
Jetzt ist auch die SPD beteiligt
Mit der Einbeziehung aller Ministerpräsidenten – nur Hannelore Kraft (SPD) aus NRW, Kurt Beck (SPD) aus Rheinland-Pfalz und Peter-Harry Carstensen (CDU) aus Schleswig-Holstein ließen sich vertreten – ist der Atomausstieg endgültig zu einem Projekt aller politischen Kräfte in Deutschland geworden.
Denn jetzt sitzt auch die SPD im Boot. Bisher hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Flankierung ihres Moratoriums drei Kommissionen (Techniker, Ethiker, schwarz-gelbe Parlamentarier) eingesetzt, in der sich mit dem Elderstatesman und Kanzlerinnen-Freund Klaus von Dohnanyi nur ein nicht mehr aktiver SPD-Politiker verirrte. Die Abschaltung von acht Meilern unmittelbar vor der baden-württembergischen Landtagswahl entschied Merkel medienwirksam nur mit CDU-Ministerpräsidenten. Offizielle Begründung: In den anderen Länder stünden keine Kernkraftwerke. Jetzt aber ging es um den Aufbau der neuen atomfreien Infrastruktur. Da durften alle dabei sein, auch Sozialdemokraten.
Die werden nämlich noch gebraucht. Schon vor dem Treffen versuchte SPD-Chef Sigmar Gabriel, den Energiekonsens politisch teuer machen: Die sieben im Rahmen des Moratoriums abgeschalteten Kernkraftwerke dürften gar nicht mehr ans Netz gehen, erklärte er. Im Jahr 2020 müssten auch die noch laufenden, moderneren Meiler vom Netz sein. Und nach einem Endlager müsste „ergebnisoffen“ in ganz Deutschland gesucht werden. Zudem, so Gabriel, „müsse man aufpassen, dass die Energiewende für Bürger und Industrie nicht zu teuer“ werde. Schneller raus ohne mehr Kosten? Wie die Regierung diese Quadratur des Kreises schaffen soll, erklärte Gabriel nicht.
Es wird Geld fließen
Merkel ließ die die SPD-Forderung nach einer Festlegung auf ein endgültiges Ausstiegsjahr abtropfen. Allerdings sprach sie von einer „deutlichen Verkürzung“ der jetzt geltenden Laufzeiten. Außerdem sei klar, dass am Ende des Moratoriums eine „rechtliche saubere“ Regelung für die weiteren Laufzeiten stehen müsse. Das freute Umweltminister Norbert Röttgen (CDU). Der hatte noch am Vorabend des Treffens in einer Talkshow zu mehr Optimismus aufgerufen: Die nun auf die Deutschen zukommenden Mehrkosten seien „Investitionen in die Zukunft“. Wer diese Kosten dramatisiere, der wolle die Energiewende „nur noch einmal unbequem machen.“
Ob Kosten oder Investitionen, Geld wird in jedem Fall fließen müssen. Gewaltige Summen: Drei Milliarden Euro pro Jahr hatte die „Süddeutsche Zeitung“ mit Verweis auf Regierungskreise berichtet. Nein, nur „bis zu zwei Milliarden“, beruhigte Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP). Merkels Regierungssprecher wies beide Angaben zurück: „Es kann noch keine belastbaren Zahlen geben, weil es so viele Variablen gibt.“
Nach dem gestrigen Gespräch mit den Ministerpräsidenten wurden Grundzüge erkennbar, wofür das Geld gebraucht wird. Eine zentrale Rolle soll der Windkraft zukommen. An Land sollen vor allem alte Windräder durch neue, größere ersetzt werden. Röttgen kündigte ein „einheitliches Genehmigungsrecht für Windkraftanlagen“ im Rahmen einer „nationalen Energiepolitik“ an. Bisher werden die zulässige Höhe der Windräder und ihr Abstand zueinander und zu Wohnsiedlungen in den Ländern unterschiedlich geregelt.
Vor den Küsten sollen große Windparks entstehen. Für deren Finanzierung soll die staatliche KfW-Bank ein Fünf-Milliarden-Euro-Programm auflegen. Dies ist notwendig, weil gewöhnliche Banken bisher vor den Risiken einer solchen Investition oft zurückschrecken. Röttgen will eine Novelle des Erneuerbaren-Energie-Gesetztes noch innerhalb des Moratoriums auf den Weg bringen. Diese werde auch die „Marktintegration“ der erneuerbaren Energien beinhalten. Bisher werden sie mit festen Einspeiseverfügungen subventioniert.
Ebenfalls Milliarden sollen ins Energiesparen fließen. Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) kündigte an, zwei Milliarden Euro für die energetische Gebäudesanierung zur Verfügung stellen zu wollen. Die Kanzlerin betonte allerdings, dies sei noch nicht mit Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) abgesprochen. Auch die entscheidende Frage des Netzausbaus liegt vor allem im Zuständigkeitsbereich des Verkehrsministers. Ramsauer deutete an, dass er für den Ausbau des Stromnetzes primär bereits vorhandene Verkehrswege – wie etwa Bahnstrecken – nutzen soll. Wo dies nicht möglich sei, gestand Ramsauer „Zielkonflikte“ zu.
Länder wollen mitverdienen
Der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Erwin Sellering, der nach der Konferenz für die SPD-Länder sprach, kündigte „Netzausbau in ganz großem Umfang“ an. Diese „nationale Aufgabe“ könne man „nicht einzelnen Unternehmen oder den Bundesländern überlassen“.
Die Länder wollen aber durchaus mitverdienen. So berichtete Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU), ihre Forderung nach einer „Kompensation“ für durch Thüringen hindurchgeleiteten Strom sei „mit Verständnis aufgefasst“ worden. Auch Niedersachsens Regierungschef David McAllister (CDU) habe Ähnliches gefordert. Bisher gibt es eine solche Kompensation nicht und der Leitungsbau wird durch Eingaben und Klagen von Anwohnern oft jahrelang aufgehalten.