Baden-Württemberg

SPD und Grüne verbindet höchstens die Bildung

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Matthias Kamann

Foto: dpa / dpa/DPA

Grün-Rot fällt es schwer, eine gleichberechtigte Partnerschaft einzugehen. Noch streiten sich die Koalitionäre in Stuttgart um die Ministerposten.

Es dürfte in Deutschland kaum einmal Koalitionsverhandlungen gegeben haben, bei denen so oft von Liebe geredet wurde. Zunächst nannten Grüne und SPD in Baden-Württemberg ihr Bündnis eine „Liebesheirat“. Später sah der designierte Ministerpräsident Winfried Kretschmann von den Grünen die beiden Parteien wegen ihres Streits um Stuttgart 21 „in getrennten Betten“.

Über Ostern sagte er, man sei bloß „verlobt“. Zwischendurch erzählten Verhandlungsteilnehmer von Liebesfilmen, in denen anfangs Harmonie herrscht, dann ein tiefes Zerwürfnis eintritt – wegen des Tiefbahnhofs – und schließlich das Happy End des Koalitionsvertrages folgt, der am Mittwoch vorgestellt werden soll.

Streit über Verteilung der Ministerien

Doch besagt die Lebenserfahrung: Je mehr von Liebe geredet wird, umso größer sind nicht nur die Bedürfnisse, sondern auch die Probleme. Heftig zankten noch am Dienstag die Verhandlungsführer beider Parteien, wer wie viele der bislang neun Landesministerien bekommt. Die SPD verlangte fünf Ressorts – obwohl sie ein Mandat weniger im Landtag hat –, weil die Grünen mit Kretschmann ja den Landeschef hätten.

Die Grünen hingegen verwiesen darauf, dass die SPD schon vier große Ministerien beanspruche. Erstens Finanzen, die für den SPD-Spitzenkandidaten Nils Schmid reserviert sind, zweitens das Innenministerium, wohin der Parlamentarische SPD-Fraktionsgeschäftsführer Reinhold Gall drängt, zudem Justiz und Soziales.

Erst für Dienstagnacht oder Mittwochmorgen wurde Endgültiges zu Verteilung und Zuschnitt der Ministerien erwartet, woran sich abermals zeigte, wie schwer es den fast gleich großen Parteien fällt, eine Partnerschaft auf „Augenhöhe“ einzugehen.

Unklar war zudem, ob die Besetzung der Posten, das Personaltableau der künftigen Landesregierung, bereits am Mittwoch verkündet werden solle oder erst im Lauf der kommenden Wochen, kurz bevor Kretschmann am 12. Mai zum Ministerpräsidenten gewählt werden soll.

Freilich zeichnete sich am Dienstag ab, dass sich die SPD mit ihrer Forderung nach einer raschen Bekanntgabe der Personalien durchsetzen würde, da sie ab Donnerstag noch eine Mitgliederbefragung zum Koalitionsvertrag durchführen will und dabei mit dem Basis-Wunsch nach genauen Aussagen zur Ressortverteilung zu rechnen hat.

Bildungspolitik steht im Zentrum

Was aber soll angesichts solcher Differenzen die Partner verbinden? Natürlich die Kinder. Sprich: die Bildungspolitik. Sie steht im Zentrum. In keinem Politikbereich haben die Koalitionäre so konkrete und so weitgehende Beschlüsse gefasst wie hier: mehr Kinderkrippen, „flächendeckende“ Ganztagsschulen, längeres gemeinsames Lernen bis zur 10. Klasse in Basisschulen auf dem Land, sofern die von Kommunen und Eltern gewollt sind.

Die Tendenz ist eindeutig: Ein Ausbau des öffentlichen Sektors soll mehr Chancengleichheit schaffen; zur Finanzierung dessen will man etwas besser gestellte Familien heranziehen. Für den Ausbau der Kinderkrippen soll zum einen das Landeserziehungsgeld, eine Zusatzleistung zum Elterngeld des Bundes, abgeschmolzen und nur noch an Hartz-IV-Familien ausgezahlt werden.

Das solcherart eingesparte Geld soll in öffentliche Angebote fließen. Für denselben Zweck wollen Grüne und SPD die Grunderwerbsteuer im Land um 1,5 Prozentpunkte anheben, was manche Familie trifft, die im Eigenheim leben will.

Studiengebühren sollen abgeschafft werden

Mit dieser Verschiebung der Bildungsakzente weg von der Familie hin zu den öffentlichen Angeboten vollzieht Grün-Rot eine Tendenz, die sich in beiden Parteien seit Längerem abzeichnet: Sozialpolitik soll weniger aus staatlichen Transferzahlungen als vielmehr aus der Bereitstellung öffentlicher Bildungsangebote mit hohem Gerechtigkeitsanspruch unter Schmälerung der Familienautonomie bestehen.

Aus sozialpolitischen Gründen sollen auch die Studiengebühren in Baden-Württemberg abgeschafft werden, vermutlich zum Sommersemester 2012. Hingegen wird die SPD-Forderung, auch die Kitas im Land beitragsfrei zu machen, aus Kostengründen zurückgestellt, wobei offen ist, ob sie überhaupt noch in dieser Legislaturperiode erfüllt werden kann.

Im Landeshaushalt drohen einige Löcher

Dies ist einer der Punkte, an denen sich zeigt, dass sich die Stuttgarter Koalitionspartner auch beim Etat einig sind. Immer wieder wurde während der Verhandlungen von beiden Seiten auf Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen verwiesen, wo die Minderheitsregierung in größte Schuldenprobleme geraten ist. Demgegenüber wirkt nach jetzigem Stand die Haushaltspolitik in Stuttgart solider, allerdings um den Preis der Steuererhöhung beim Grunderwerb.

Völlig offen ist freilich, welche Löcher im Landeshaushalt klaffen werden, wenn der Energiekonzern EnBW dem Anteilseigner Baden-Württemberg wegen der geplanten Investitionen in erneuerbare Energien und wegen des Atomausstiegs deutlich geringere Dividenden überweist, und wenn zudem das Land bei einem Ende von Stuttgart 21 hohe Entschädigungszahlungen zu leisten hätte.

Die Bahn jedenfalls hat schon mal Gesprächsbedarf wegen Zusatzkosten angekündigt, da die von Grün-Rot beschlossene Volksabstimmung die Bauarbeiten verzögere und so Projekt verteuere.

An Stuttgart 21 wird deutlich, wie viel die Koalitionäre trennt. Das großtechnische Projekt wird von den Grünen abgelehnt, von der SPD befürwortet. Die vor Ostern erzielte Einigung auf ein Abwarten des Stresstests und eine anschließende Volksabstimmung war eher eine Vertagung als eine Lösung dieses Konflikts.

Ebenso umstritten ist, ob und wie viel das Land künftig für den Neubau von Straßen bezahlen will. Obwohl es dabei nur um niedrige zweistellige Millionenbeträge geht, konnten sich Grüne und SPD bis Dienstag nicht auf endgültige Formulierungen zur Gewichtung zwischen der auch von den Grünen gewollten Erhaltung und dem von der SPD verlangten Neubau von Straßen einigen.

Ärger über Kretschmanns Porsche-Äußerung

Verschärft wurden diese verkehrspolitischen Konflikte durch Kretschmanns Äußerungen in der „Bild am Sonntag“ über das unbequeme Sitzen in einem Porsche und darüber, dass es nicht einfach immer mehr Autos geben könne.

Solche auch für einen Grünen sehr weitgehenden Formulierungen, in denen Kretschmanns wertkonservatives Umweltbewusstsein einen Zug ins Altväterliche und Modernitätskritische annahm, lösten bei der durchaus autofreundlichen SPD erheblichen Unmut aus.

Deutlich wurde abermals, dass SPD und Grüne sehr unterschiedliche Vorstellungen in der Industriepolitik haben: Während die SPD erst einmal jeden industriellen Arbeitsplatz verteidigen will und lediglich perspektivisch auf ökologisches Wirtschaften setzt, wollen die Grünen rasch mit dem Umbau beginnen.

Trotz des vereinbarten Ziels, bis 2020 zehn Prozent des in Baden-Württemberg erzeugten Stroms per Windkraft bereit zu stellen, sieht es bislang nicht danach aus, als werde der Koalitionsvertrag ein großes Öko-Projekt entwerfen.