Nach der Landtagswahl wollen SPD und Grüne alle Unterlagen zum Umbau des Hauptbahnhofs untersuchen. Die Karten für das Projekt werden neu gemischt.
Nach ihrem Wahlsieg in Baden-Württemberg wollen SPD und Grüne sich für einen vorübergehenden Baustopp beim umstrittenen Bahnprojekt "Stuttgart 21“ einsetzen. SPD-Spitzenkandidat Nils Schmid kündigte an, mit den Grünen darüber zu sprechen.
Baden-Württembergs SPD-Generalsekretär Peter Friedrich forderte die Bundesregierung auf, ihre Position zu dem Milliardenprojekt zu überdenken. Der grüne Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer verlangte, die Arbeiten unverzüglich einzustellen.
Am Abend demonstrierten in Stuttgart erneut Tausende Menschen gegen das milliardenschwere Bauvorhaben der Bahn. Die Veranstalter sprachen von knapp 10.000 Teilnehmern an der Kundgebung in der Innenstadt, die Polizei ging von 2.500 Demonstranten aus.
Gangolf Stocker, eine der Symbolfiguren des Widerstands gegen "Stuttgart 21“, betonte, der Protest werde auch unter einer grün-roten Regierung fortgesetzt. Zudem müsse der Volksentscheid über "Stuttgart 21“ vorbereitet werden. Nur dadurch könne der Konflikt um das Bauprojekt befriedet werden.
Laut Schmid soll eine Volksabstimmung über das Bauvorhaben erwirkt werden. "Dazu wäre es hilfreich, wenn in der Zwischenzeit keine neuen Fakten geschaffen werden." Er betonte zugleich, dass es gegenwärtig "nicht in den Händen" von SPD und Grünen liege, ob tatsächlich ein Baustopp für "Stuttgart 21" erfolgen werde. Hier seien vor allem die Bahn und auch der Bund gefragt, sagte der SPD-Politiker.
Investitionsmittel werden geprüft
Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer kündigte an, zugesagte Investitionsmittel für den Südwesten zu prüfen und das Geld gegebenenfalls in andere Bundesländer fließen zu lassen. "Wenn andere Länder schneller wissen, was sie wollen", seien diese am Zug, sagte der CSU-Minister laut "Spiegel Online". Das Bahnbauprojekt in Stuttgart könnte konkret davon betroffen sein.
Im Fall eines Volksentscheids will Schmid – im Gegensatz zum künftigen Koalitionspartner – aber für "Stuttgart 21" werben. Schließlich kämen bei einem Ausstieg erhebliche Schadensersatzansprüche auf das Land zu.
Friedrich betonte: "Wenn Frau Merkel ihr eigenes Wort ernst nimmt, wird sie sehen, dass die Menschen den Parteien eine Mehrheit gegeben haben, die über 'Stuttgart 21' abstimmen lassen wollen." Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte die Landtagswahl in Baden-Württemberg im vergangenen Herbst zur Volksabstimmung über das umstrittene Bahnprojekt erklärt. Die Entscheidung über einen Bau- und Vergabestopp obliegt laut Friedrich dem Bundestag.
Sofortiger Baustopp sei zwingend
Palmer äußerte die Hoffnung, dass die Sozialdemokraten ihre positive Haltung zu dem Bauvorhaben überdenken. Er hoffe, "dass der Stresstest und die wahre Aktenlage, die für uns ja bislang gar nicht zugänglich war, auch die SPD noch mal ins Grübeln bringt, ob sie für diese Projekt wirklich weiter kämpfen will." Ein sofortiger Baustopp sei zwingend. "Es dürfen keine weiteren Fakten geschaffen werden", sagte er "sueddeutsche.de".
Eher zurückhaltend äußerte sich Grünen-Bundeschef Cem Özdemir. "Wir werden dafür sorgen, dass es zu einem richtigen, fairen Stresstest kommt, und werden dann schauen, ob das umgesetzt werden kann", sagte er.
Bevölkerung könnte mitbestimmen
Es gehe um Zusatzkosten von bis zu einer halben Milliarde Euro, die jetzt anstünden und bislang schöngerechnet worden seien. "Wir werden ehrliche Zahlen machen, wir gucken, dass wir es gründlich durchrechnen, und am Ende könnte möglicherweise auch eine Abstimmung der Bevölkerung darüber stehen", sagte er im Deutschlandradio Kultur.
Karten für das Bauprojekt werden neu gemischt
Nach Einschätzung der gewählten Stuttgarter Grünen-Abgeordneten Muhterem Aras werden nun die Karten für das Bahnbauprojekt neu gemischt: Auf Landes- und auch auf Bundesebene gebe es jetzt die Möglichkeit, erneut über das Milliardenvorhaben nachzudenken. Dabei müssten auch die Bundeszuschüsse nach objektiven wirtschaftlichen Kriterien durchdacht und möglicherweise gestrichen werden.
Gegen das milliardenschwere Bauvorhaben, bei dem der als Kopfbahnhof angelegte Hauptbahnhof zu einem unterirdischen Durchgangsbahnhof umgebaut werden soll, hatte sich im vergangenen Jahr erheblicher Widerstand gebildet, an dessen Spitze die Grünen standen. Erst nach einem monatelangen Schlichtungsverfahren unter Leitung des CDU-Politikers Heiner Geißler war es um das umstrittene Projekt wieder ruhiger geworden.
dapd/mac