Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat den Vorwurf zurückgewiesen, ihre Kehrtwende in der Atompolitik sei nur Wahlkampfmanöver. "Ob nun Wahlkampf ist oder ob kein Wahlkampf ist, und ob Japan 9000 Kilometer weg ist oder nicht: Dass ein vernünftiger Mensch in einer solchen Situation einfach mal innehält und sagt, auch ich kann nicht einfach zur Tagesordnung übergehen (...), das ist einfach der gesunde Menschenverstand, den wir da anwenden", sagte Merkel in Trier.
Es sei "der Sache angemessen", sich dafür eine Ruhepause von drei Monaten zu gönnen, sagte sie bei der Schlusskundgebung im Landtagswahlkampf der rheinland-pfälzischen CDU. Bei der Katastrophe in Japan seien mit dem Erdbeben und der Flutwelle "unwahrscheinliche Dinge" zusammengekommen: "Und deshalb müssen auch wir uns fragen, ob auch bei uns unwahrscheinliche Dinge zusammenkommen können", sagte Merkel vor rund 800 Zuhörern.
Die Bundesregierung wolle ein zukunftsfähiges Energiekonzept: "Und wenn diese Landtagswahlen rum sind, dann wird sehr erkennbar werden, dass die Bundesregierung genau an diesem Energiekonzept Schritt für Schritt weiterarbeitet." Es gehe um einen Ausstieg aus der Kernenergie mit Augenmaß. Ein sofortiges Abschalten aller Atommeiler sei nicht möglich. Wer gegen Atomkraft demonstriere, müsse auch bereit sein, Stromleitungen für den Transport von Windenergie vom Norden in den Süden zu akzeptieren. "Kopf in den Sand und überall an der Spitze der Demonstranten stehen, das ist nicht zu machen."
Der CDU-Wirtschaftsflügel hatte die Atomwende von Merkel offen angegriffen. "In der Atomfrage wurde überhitzt eine Entscheidung getroffen, die unsere Glaubwürdigkeit infrage stellt", sagte der Energieexperte Thomas Bareiß dem "Spiegel". "Unsere bisherige Argumentation in der Kernenergie ist in sich zusammengebrochen."
Unterstützung kam dagegen vom wirtschaftspolitischen Sprecher Joachim Pfeiffer: Wenn die günstige Kernkraft vom Netz genommen werde, dann werde der Druck auf die Strompreise noch einmal drastisch zunehmen. Pfeiffer wie Bareiß gehören dem Landesverband Baden-Württemberg an. Aus der FDP wurde darauf verwiesen, das Moratorium für Alt-AKW sei von Unions-Ministerpräsidenten durchgesetzt worden.
Nach Einschätzung von SPD-Fraktionschef Steinmeier hat die Bundesregierung in den vergangenen 16 Monaten zahlreiche Grundpositionen verlassen und somit "ihre konservative Identität aufgegeben". "Transatlantische Partnerschaft, Steuersenkungen, Wehrpflicht, Kernkraft – nach weniger als anderthalb Jahren stimmt von diesen Kernaussagen des Koalitionsvertrags nichts mehr", sagte Steinmeier der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".
In der Atomfrage sei es zwar richtig gewesen, aus der Katastrophe von Japan zu lernen, doch müssten Politiker auch zugeben, wenn sie sich geirrt hätten. "Deshalb wäre es gut gewesen, wenn Frau Merkel klar gesagt hätte, die Verlängerung der Laufzeiten war ein Fehler", sagte der SPD-Politiker.