Afghanistan

Bundeswehr-Kommandowechsel von Gewalt überschattet

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Simone Meyer und Agnes Tandler

Foto: dpa

Generalmajor Markus Kneip übergibt die Verantwortung über die Isaf-Soldaten an Erich Pfeffer. Wegen der eskalierenden Gewalt zieht die Nato ausländische Berater ab.

Die große Zeremonie wurde in letzter Minute abgeblasen. Kein Festakt, kein lautes Musikprogramm, keine weitgereisten Gäste. Nur die wichtigsten Partner und engsten Freunde sind am Sonntag nach Masar-i-Scharif gekommen, um beim Kommandowechsel im Camp Marmal dabei zu sein. Generalmajor Markus Kneip hat nach zwölf Monaten an der Spitze die Verantwortung über die rund 12.000 in Nordafghanistan stationierten Isaf-Soldaten an seinen Nachfolger Erich Pfeffer übergeben.

Für festliche Gesten ist allerdings wenig Platz, selbst im Bundeswehrlager in Masar-i-Scharif, das generell als ruhig gilt, sind in diesen Tagen die Sicherheitsvorkehrungen erhöht worden. Niemand darf sich ohne Ausweis bewegen, Alkohol ist verboten.

Dass die Stabsübergabe im Hangar am Flugplatz nun eine Nummer kleiner ausfällt als geplant, liegt an den gewaltsamen Demonstrationen in vielen Teilen des Landes, bei denen in den vergangenen Tagen mehr als 28 Menschen zu Tode gekommen sind. Das wiederum liegt an einem "nicht akzeptablen, schrecklichen Fehler beim Umgang mit der heiligen Schrift des Islam“, wie Kneip kurz vor der Kommandoübergabe vor afghanischen Journalisten erklärt. "Das war ein schrecklicher Irrtum.“

Laut Nato-Angaben hatten Soldaten auf dem US-Stützpunkt in Bagram am 19. Februar versehentlich Exemplare des Korans zu einer Grube zur Müllverbrennung gebracht. Dies löste Proteste in ganz Afghanistan aus, auch im deutschen Verantwortungsbereich im Norden.

Und so beendet General Kneip seinen zwölf Monate dauernden Einsatz, bei dem er selbst verwundet wurde, mit einer Entschuldigung: "Es tut mir sehr leid, dass sich die afghanische Bevölkerung durch dieses Fehlverhalten angegriffen fühlt.“ Ziel bleibe es aber weiterhin, eng mit den einheimischen Sicherheitskräften zusammen zu arbeiten.

Das plant auch sein Nachfolger, in Deutschland Kommandeur der 13. Panzergrenadierdivision Leipzig: "Unsere Rolle wird sich mehr in die von Unterstützern wandeln“, sagt Pfeffer, "aber wir werden dieses Land weiter unterstützen.“

Trotz der neuerlichen Unruhen seien die "Fortschritte“ in Afghanistan unübersehbar, betont Kneip. Zum Beispiel hätten die afghanischen Sicherheitskräfte in den vergangenen Tagen sehr professionell gearbeitet, hätten Führungsrollen übernommen, sich zwischen die Demonstranten und die Isaf-Kräfte gestellt.

Die aktuellen Proteste seien durch ein "Einzelereignis“ hervorgerufen worden und hätten keine "neue Qualität“, betont der General. Vor rund fünf Jahren, als er zum ersten Mal Kommandeur in Nordafghanistan gewesen war, seien bei ähnlichen Demonstrationen wesentlich schlimmere Dinge passiert. "Und damals stand niemand zwischen uns und den Gewalttätigen.“

Seine Hoffnung für die kommenden Tage und Wochen: "Dass sich die Afghanen selbst kümmern, dass die Politik spricht“. Wenn von neun bis zehn Millionen Menschen zwei- bis dreitausend auf die Straße gingen, sei das eigentlich ein normaler demokratischer Vorgang. "Und die Mehrzahl der Demonstrationen ist ja auch friedlich gewesen." Was die weitere Entwicklung des Landes betreffe, gebe es keine Garantie. "In diesem Land ist nichts leicht, nichts hat ein Gesicht, nichts nur eine Dimension.“ Aber die Richtung stimme. "Ich drücke die Daumen.“

Ende Mai war Markus Kneip bei einem Anschlag auf ein lokales Sicherheitstreffen selbst verwundet worden, nach zweimonatiger Genesungspause aber in den Einsatz zurückgekehrt. Das Attentat, bei dem zwei deutsche Soldaten fielen, ereignete sich in Talokan – in genau der Stadt, in der vergangene Woche protestiert wurde, und aus der sich die Bundeswehr nun zurückzieht.

Bisher betreiben die Deutschen in der Provinz Takhar ein Provincial Advisory Team, ein Beratungsteam als Außenstelle des Regionalen Wiederaufbaulagers in Kundus. Im März sollte es ohnehin aufgegeben werden.

Nachdem Demonstranten das Lager, das mitten in der Stadt liegt, mit Steinen angegriffen hatten, entschloss sich Kommandeur Kneip, dass die 50 dort noch stationierten Soldaten vorübergehend abziehen – anstatt in gefährlicher Umgebung leere Hallen zu bewachen. Das Lager war theoretisch schon in afghanische Hände übergeben worden.

Pfeffer, Kommandeur der 13. Panzergrenadierdivision Leipzig, soll in den kommenden zwölf Monaten die nächste Etappe des Abzugs der deutschen Truppen einleiten. Bis Anfang 2013 sollen weitere 500 Soldaten und damit mehr als zehn Prozent der gegenwärtig knapp 4900 Soldaten das Land verlassen haben. "Ich fühle mich hier sehr wohl in diesem Land mit den vielen Bergen“, sagte er.

"Ich fühle mich hier sehr wohl"

Pfeffer hat in den vergangenen Jahren bereits mehrfach mit dem Isaf-Einsatz zu tun gehabt; eigentlich von Beginn an. 2002, als der Einsatz für die Bundeswehr erst richtig begann, war er Büroleiter des Vorsitzenden des Nato-Militärausschusses und ehemaligen Generalinspekteurs Harald Kujat.

In den nächsten zwölf Monaten will Pfeffer auf die Arbeit seiner Vorgänger aufbauen, Erreichtes versuchen auszubauen. Im kommenden Jahr müsse man auf die Sicherheitslage schauen, auf den weiteren Aufwuchs der afghanischen Sicherheitskräfte und auch auf deren Qualität.

Ob das auf diese Weise gelingen wird? Die Nato zieht nun alle ausländischen Berater in der afghanischen Regierung ab , nachdem ein afghanischer Polizeibeamter zwei hochrangige amerikanische Offiziere im hoch gesicherten Kontrollraum des Innenministeriums kaltblütig erschossen hatte.

Das Innenministerium in Kabul ist streng abgeriegelt und gleicht einem Militär-Hauptquartier. Von hier aus werden Polizei- und Armeeeinsätze im ganzen Land koordiniert – unter anderem auch gegen die Demonstranten, die seit Tagen gegen die angebliche Koran-Schändung der Nato-Truppen auf die Straße gezogen sind.

Ein 25-jähriger afghanischer Polizeibeamter hatten am Samstag offenbar mit seiner Dienstwaffe die zwei amerikanischen Beratungsoffiziere aus nächster Nähe von hinten in den Kopf geschossen und so getötet. Beobachter gehen davon aus, dass die aufständischen Taliban den Täter eingeschleust oder infiltriert hatten.

Sprecher General Carsten Jacobson erklärte, es sei ein "logischer und notwendiger Schritt“, für die Sicherheit "unseres Personals“ zu sorgen. Ein Taliban-Sprecher sagte, die Tötung der Amerikaner sei Rache für die Koran-Verbrennung der US-Truppen gewesen. Afghanistans Präsident Hamid Karzai rief die Bevölkerung zur Ruhe auf. Man dürfe den "Feinden des Friedens“ nicht erlauben, die Proteste zu missbrauchen, sagt er.

Der Schritt der Nato ist ein schwerer Rückschlag für die Wiederaufbaubemühungen des Landes. Auch über zehn Jahre nach dem Sturz der Taliban bekleiden ausländische Spezialisten wichtige Funktionen in den Ministerien. Die Kommando-Zentrale des Innenministeriums ist gewöhnlich nur für einen kleinen Kreis von Experten zugänglich. Die Tötung der Offiziere zeigt erneut, wie scheinbar mühelos es den Taliban gelingt, selbst hierhin vorzudringen.

Die Tat schürt auch die Angst vor dem Beginn eines neuen Bürgerkrieges, wenn die Nato-Truppen sich bis 2014 vom Hindukusch zurückgezogen haben. Die Aufständischen sind seit Monaten dabei, die afghanische Regierung zu schwächen, indem sie hochrangige Politiker und Polizeikräfte systematisch umbringen.

Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft für das kriegsgebeutelte Land schwindet.

Einwohner in Kabul zeigten sich entsetzt über die sinnlose und brutale Gewalt im Zuge der Koran-Proteste. "Das Land hat nichts besseres verdient“, sagte ein afghanisch-amerikanischer IT-Spezialist, der für das Innenministerium arbeitet. Die Demonstranten seien "Minderbemittelte, die nicht einmal den Koran lesen könnten“.