Sierra Leone hat Klinikgebühren für Schwangere abgeschafft, die Kindersterblichkeit sinkt drastisch. Doch eigentlich bräuchte das Land 54 Frauenärzte – und hat nur vier.

Die Augen des Sanitäters sind blutunterlaufen, sein Gesicht ist abgespannt. Schwangere Frauen drängen sich in den abgedunkelten Betonbunker, wie sie es schon am Tag zuvor getan haben und auch am nächsten Tag tun werden.

Die Zahl der Patientinnen hat sich verfünffacht oder verzehnfacht – der erschöpfte Sanitäter hat in dem ununterbrochenen ständigen Wechsel von Untersuchungen und Geburten den Überblick verloren. Es hat sich herum gesprochen:

Es ist nicht länger nötig, Kinder zuhause zur Welt zu bringen und damit den Tod des Babys oder der Mutter zu riskieren. Eine der Wartenden ist Hadiatou Kamara. Sie hat bereits zwei Kinder verloren, einen Jungen und ein Mädchen. „Sie sind beide gestorben“, sagt die 18-Jährige leise.

Viele Länder Afrikas schaffen die Krankenhausgebühren ab

Nun, für ihre dritte Geburt, ist Kamara in die Klinik von Waterloo gegangen, einer ländlichen Gegend unweit der Hauptstadt Freetown. Die Regierung von Sierra Leone hat im vergangenen Jahr die Krankenhausgebühren für Schwangere und Kinder gestrichen.

Und in einem Land, in dem Operationen schon mal im Licht von Taschenlampen oder Handys durchgeführt werden müssen, kann sich Kamara wie Tausende andere Frauen nun erstmals eine Betreuung durch ausgebildete Mediziner in einem Krankenhaus erlauben.

Sierra Leone ist quasi die Vorhut einer Revolution, die – bislang zum Großteil durch internationale Geber finanziert – die Gesundheitsrisiken in einem der gefährlichsten Länder für Schwangere und Kinder offenbar deutlich senken kann. Land für Land in Afrika südlich der Sahara hat in den vergangenen Jahren Gebühren für medizinische Betreuung abgeschafft, insbesondere für Frauen und Kinder.

Keine Gebühren bedeuteten noch lange keine gute Versorgung

Aber während Experten anerkennen, dass viel mehr Menschen Zugang zu Gesundheitszentren wie in Waterloo haben, warnen sie gleichzeitig vor zu schnellen Schlussfolgerungen, die Streichung von Gebühren habe bereits zu einer verbesserten medizinischen Versorgung auf dem Kontinent geführt.

In Sierra Leone scheint es ganz klar zu sein, dass Leben gerettet werden – eine konkrete Lehre über den Effekt kostenloser Gesundheitsversorgung für die ganz Armen und Verletzlichen. Dadurch, dass die Regierung auf Bezahlung verzichtet – die sich manchmal zu Hunderten von Dollar summieren kann und eindeutig die größte Hürde darstellt – hat sie die Sterblichkeit für Schwangere und für Kinder durch Malaria offensichtlich drastisch senken können.

Die Resultate in Sierra Leone könne man nur als spektakulär bezeichnen, sagt Robert Yates, langjähriger Gesundheitsökonom in Großbritanniens Ministerium für Internationale Entwicklung in London. Es kommt für fast 40 Prozent der 35 Millionen Dollar des Programms auf, den Rest steuern Geber wie die Weltbank bei. Die Zahlen von Yates sind beeindruckend:

Nach Gebührenabschaffung sank die Sterblichkeit um 61 Prozent

Seit Abschaffung der Gebühren ist die Zahl von Kindern unter fünf Jahren, die in Gesundheitszentren oder Kliniken versorgt werden, um 214 Prozent gestiegen, die Sterblichkeit in Krankenhäusern bei schwierigen Schwangerschaften um 61 Prozent gesunken, und die für Kinder, die in Gesundheitseinrichtungen wegen Malaria behandelt werden, um 85 Prozent.

In den vergangenen Jahren hätten sich bereits Sambia, Burundi, der Niger, Liberia, Kenia, Senegal, Lesotho, der Sudan und Ghana für eine Form der kostenlosen Gesundheitsversorgung entschieden, insbesondere für Schwangere und kleine Kinder, wie Yates schon in der Fachzeitschrift „The Lancet“ schrieb.

Ruanda verlangt seit zehn Jahren nur einen symbolischen Beitrag für eine Krankenversicherung, und nachdem Burundi im Jahr 2006 die Gebühren abschaffte, stieg die Zahl der monatlichen Geburten in Gesundheitseinrichtungen um 61 Prozent und die der Kaiserschnitte um 80 Prozent, wie Yates herausfand.

Sierra Leone braucht 54 Frauenärzte – hat aber nur vier

Es sei „absolut gesunder Menschenverstand“, dass auf eine erhöhte Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen eine Verbesserung der Gesundheit insgesamt folge, sagt Yates. „Das ist ganz klar. Wir wissen, dass diese Medizin wirkt.“

Trotzdem sind noch hohe Hürden zu überwinden. Die sierraleonische Gesundheitsministerin Sainab Bangura sagt, ihr Land brauche 54 Frauenärzte, habe aber derzeit nur vier. Auch gebe es nur zwei Kinderärzte bei einer Bevölkerung von mehr als fünf Millionen. „Wir haben durch den Bürgerkrieg zehn Jahre verloren“, erklärt Bangura den Versuch ihrer Regierung, den Zugang zu Gesundheitsversorgung zu verbessern.

„Wir müssen drastische Maßnahmen ergreifen.“ Aber die internationalen Geber werden das Programm nicht ewig finanzieren, und so richtet sich die Hoffnung auf die – noch etwas unsichere – Bergbauindustrie und die Einkommen aus dem Export von Diamanten und Mineralien.

Durch Korruption beim Medikamente-Transfer geht viel Geld verloren

Einsparungen sind auch durch Korruptionsbekämpfung möglich: Unicef hat kürzlich herausgefunden, dass Medikamente im Wert von 14 Prozent der Gesamtsumme, die das UN-Kinderhilfswerk für Sierra Leone aufwendet, verschwunden sind, und verlangt eine Untersuchung.

Da einige der afrikanischen Programme, kostenlose Gesundheitsversorgung bereit zu stellen, noch sehr jung, nicht ausgewertet und zum Teil sehr bemüht sind, zögern einige Experten noch, automatisch eine Kausalität zwischen erleichtertem Zugang und verbesserter Gesundheit zu ziehen.

Die Ergebnisse seien „nicht gerade sehr deutlich“, sagt Sophie Witter, die als Forschungsassistentin an der Universität von Aberdeen arbeitet und sich intensiv mit der Streichung von Gebühren in Afrika beschäftigt hat. Lucy Gilson, Professorin für Gesundheitspolitik und -systeme an der Universität Kapstadt in Südafrika stimmt Witter zu: „Ich bin noch nicht so weit zu sagen, dass exakt x oder y das Resultat in Bezug auf Gesundheit ist.“

"Es ging darum, das Sterben zu beenden"

Sierra Leone leidet noch immer unter den Folgen eines jahrzehntelangen, brutalen Bürgerkriegs. An einem Strand in der Hauptstadt spielen Männer, deren Gliedmaßen von Rebellen abgehackt wurden, mit Prothesen Fußball.

In Bezug auf Kinder- und Müttersterblichkeit war das Land im internationalen Vergleich ganz unten. Es konnte nur noch bergauf gehen. Dies könnte erklären, warum das Aufheben der Gebühren einen sofortigen positiven Effekt zu haben scheint. Die nihilistischen Rebellen der Vereinigten Revolutionären Front (RUF) griffen bewusst medizinische Einrichtungen an, die sie als Symbole der Staatsgewalt sahen.

„Hier ging es darum, dafür zu sorgen, dass Sierra Leone nicht mehr der schlimmste Ort auf der Welt ist“, sagt Dominic O'Neill. Bis vor kurzem leitete der Brite das Büro der Abteilung für Internationale Entwicklung in Sierra Leone. „Dies ist eine aus der Not geborene Antwort auf eine humanitäre Krise. Es ging darum, das Sterben zu beenden.“

Meiste Frauen gehen erst jetzt überhaupt ins Krankenhaus

Der erschöpfte kommunale Gesundheitsbeauftragte Jimmy Jajua beklagt sich darüber, dass er wegen der hohen Nachfrage keine Freizeit mehr habe. Dennoch sagt er, dass die Sterberate bei Müttern „drastisch“ gesunken sei, seit seine rudimentäre Klinik – es gibt immer noch keinen Strom – keine Gebühren verlangt.

Frauen in den Kliniken sagen, sie fühlten sich sicherer, seit sie die riskanten Hausgeburten gegen medizinische Betreuung eingetauscht haben. In einem Entbindungsheim in Freetown drängen sich 80 Frauen im Warteraum der Abteilung für pränatale Kontrolle.

Sie füllen die Bänke, die nach Aussage der Ärzte früher selten belegt waren. Als eine Krankenschwester fragt, wer nur deshalb ins Krankenhaus kommen konnte, weil die Gebühren abgeschafft worden waren, heben die meisten Frauen ihre Hand. Dann singen sie im Chor: „Wir sind die schwangeren Frauen und wir sagen Guten Morgen!“

"Nur mein Patriotismus hält mich am Laufen"

Oben in den spartanischen Kreißsälen, mit ihren weißen Wänden und rollenden Metallwägelchen, gibt es wenig Nostalgie für Hausgeburten. „Zu Hause kümmern sie sich nicht richtig um dich“, sagt Fatamatou Touray (39) die schon drei Kinder verloren hat.

Und auch die Ärzte sagen, dass sie nun zwar in Arbeit versinken, aber dafür viel mehr Menschen helfen können. „Ich bin der einzige Chirurg hier, sieben Tage die Woche. Nachts arbeite ich auch noch“, sagt Ibrahim Bundu, der ärztliche Leiter im Krankenhaus in Makeni. „Nur mein Patriotismus hält mich am Laufen.“