Jean-Claude Juncker sprach 13 anderen Regierungschefs aus dem Herzen. Als der Luxemburger am Freitagmittag unter einem strahlend blauen Herbsthimmel vor dem Brüsseler Ratsgebäude vorfuhr, war dem Premier des kleinen und zugleich reichsten Euro-Landes der Unmut schon an den Gesichtszügen abzulesen. "Die Außenwirkung ist desaströs. Wir geben hier kein Beispiel für gehobene Staatsführung", sagte Juncker, befragt nach dem nun schon zum zweiten Mal verschobenen Gipfel zur Euro-Rettung: "Mir wäre es lieber gewesen, wir hätten nicht zwei Anläufe gebraucht."
Eigentlich hätte sich der Europäische Rat schon zu Wochenbeginn, am vergangenen Montag und Dienstag, treffen sollen. Auf Wunsch von Berlin und Paris , die mehr Zeit brauchten für ihr Gesamtpaket zur Lösung der Euro-Krise , verschob EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy die Zusammenkunft auf dieses Wochenende.
Doch im Verlauf der letzten Tage wurde klar: Auch das reicht nicht, bis Sonntagabend kann es ganz offenbar keine Entscheidung über den, wenn nicht die Knackpunkte im Euro-Paket geben: die Ausgestaltung des sogenannten EFSF-Hebels, der den Rettungsschirm finanziell bis über die Billionengrenze ausbauen könnte.
Niemand glaubt Schäuble
Beinahe schon als einsamer Mahner in der Wüste wirkte Olli Rehn, der Währungskommissar. "Scheibchenweise Lösungen sind jetzt nicht mehr gefragt. Wir brauchen ein umfassendes Paket", appellierte er an "die Chefs". Neben einer tragfähigen Strategie für die griechische Schuldenmisere und mehr Mitteln für den Rettungsschirm EFSF sei auch ein koordinierter Ansatz zur Rekapitalisierung der Banken gefragt.
Doch es heißt wieder einmal in Brüssel: Warten auf chère Angela und cher Nicolas. Niemand hier mag den Worten von Wolfgang Schäuble (CDU) noch Glauben schenken. Der Finanzminister versuchte zu Beginn des Treffens mit seinen Euro-Kollegen zu versichern, dass "Frankreich und Deutschland in ihren Positionen überhaupt nicht verhakt sind". Im Gegenteil: Allein dank der Beamten in Paris und Berlin sei man bei der Erarbeitung der entscheidenden "Leitlinien" für die EFSF überhaupt so schnell vorangekommen.
Empört reagiert da mancher Vertreter aus anderen Euro-Staaten. "Warum dann all diese Verschiebungen? Weil sie in Wahrheit noch immer keiner Einigung nahe sind", schimpfte ein EU-Spitzendiplomat. Deutschlands Partner fühlen sich überrumpelt, machtlos. "Die Realität ist, dass wir nicht wissen, was überhaupt auf den Tisch kommt, weil wir nicht einbezogen werden." Erst ab Freitagnachmittag konnten sich die 15 anderen Euro-Minister erstmals über die Vorschläge aus Paris und Berlin beugen.
Angst in den "Wackel-Euro-Ländern"
Manch einen beunruhigt zugleich der Blick auf das Geschehen in Berlin, wo sich Opposition und Koalition über den Rettungsschirm-Hebel beharken. Schließlich steckt vielen Regierungen der Kampf mit ihren Parlamenten um die jüngste Ausweitung der EFSF - beschlossen beim letzten Euro-Sondergipfel Mitte Juli - noch in den Knochen. Niemand will dieses Fass nun wieder auf nationaler Ebene aufmachen - dazu ist der Druck der Finanzmärkte einfach zu groß.
Die Angst vor allem in den "Wackel-Euro-Ländern" wie Italien und Spanien wächst ins Unerträgliche, was nächste Woche passiert, wenn Europa schon wieder nur Halbgares vorlegt.
Man erwarte für Sonntagabend "ganz besonderen Einsatz von jenen Staaten, die Spannungen auf den Anleihemärkten ausgesetzt sind", ließ EU-Ratspräsident Van Rompuy verlauten. Auch aus deutschen Regierungskreisen hieß es, man rechne damit, "dass ein wesentlicher Beitrag geleistet wird".
Italien, drittgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone, hat Schulden in Höhe von rund 120 Prozent der Wirtschaftsleistung. Damit liegt das Land von Silvio Berlusconi fast auf demselben fatalen Rang wie Griechenland. Der Premier in Rom aber kämpft ohnehin ständig ums politische Überleben, genau wie sein spanischer Amtskollege José Luis Zapatero.
Dass die vielen Not- und Sondergipfel, verschobene und verlängerte Treffen das Versprechen der dringend benötigten Stabilität bringen, daran glaubt in Brüssel bald niemand mehr. "Es herrscht geradezu eine Gipfel-Besoffenheit", heißt es in EU-Kreisen. Und: "Statt von langer Hand vorzubereiten, werden die Staats- und Regierungschefs ad hoc einberufen zu schlecht vorbereiteten Euro-Treffen wie am 21. Juli. Und dann wundert man sich, dass die Beschlüsse nicht in den Mitgliedsländern umgesetzt werden. Genau das ist schlecht für Europa."
Der CSU-Europaparlamentarier Manfred Weber fordert Änderungen: "Wir alle spüren doch, dass die bisherigen EU-Entscheidungsstrukturen in dieser Krisensituation an ihre Grenzen gekommen sind." Die Vielstimmigkeiten, das Gezerre und die Gipfeldiplomatie der Europäischen Räte führten zur Verunsicherung der Menschen und Märkte, sagte er Morgenpost Online. "Wir müssen eine ernsthafte Überprüfung anstoßen."