Die Behörden des Rhein-Sieg-Kreises bekamen keine Antwort. Im Februar 2010 hatten sie ihrer langjährigen Mitarbeiterin Luisa S. die Entlassungsverfügung geschickt. Doch die Bonnerin reagierte nicht.
„Unbekannter Aufenthaltsort“, notierten die Beamten. Auch als der jungen Frau einen Monat später das Kindergeld gestrichen wurde, gab es keine Rückmeldung. Luisa S., die seit 2003 im Straßenverkehrsamt tätig war, wohnte bereits nicht mehr in ihrer Mietwohnung in der Gartenstraße. Sie war ausgezogen: in den „Heiligen Krieg“.
Luisa S. zählt zu einer wachsenden Zahl von Frauen, die hierzulande und in den Terrorlagern Pakistans leben. Sie stammen aus Berlin, Hamburg, Bonn oder Ulm, sind in einem muslimischen Umfeld aufgewachsen oder zum Islam konvertiert. Nun nimmt der Verfassungsschutz auch sie unter die Lupe.
Luisa S. lebt seit 2009 in Wasiristan
Die deutsche Konvertitin Luisa S. lebt nach Informationen dieser Zeitung seit Frühjahr 2009 im pakistanischen Stammesgebiet Wasiristan. Dorthin war sie mit ihrem Ehemann, dem Deutsch-Afghanen Javad S., und der gemeinsamen Tochter Safiyya ausgewandert.
Die Bonner wollten ein Leben im Dschihad führen, weit weg von den Ungläubigen, im Kampf gegen die abtrünnige pakistanische Regierung und die Nato-Soldaten im benachbarten Afghanistan. Ihrer Mutter hinterließ Luisa S. einen Abschiedsbrief. Sie wolle unterdrückten Muslimen helfen, stand darin.
Die Mutter müsse sich keine Sorgen machen, das Ziel sei eine sichere Region, in der es genug Lebensmittel und Kleidung gebe. Freunden erzählten Luisa und Javad S., sie machten Urlaub in Ägypten.
Witwe will Pflicht für den Dschihad erfüllen
Ehemann Javad S. ist inzwischen tot, erschossen im Oktober 2009 bei einem Gefecht mit pakistanischen Truppen. Er wurde 22 Jahre alt. Dem Kampf abzuschwören kommt für seine Witwe nicht infrage. Im Gegenteil: „Ich habe mich für ein Leben hier entschieden und werde auch weiter meine Pflicht im Dschihad erfüllen“, sagt Luisa S. in einem Video aus Wasiristan, das Wochen nach dem Tod ihres Mannes im Internet auftauchte.
Wie aus dschihadistischen Kreisen zu erfahren ist, heiratete die dort als Märtyrerwitwe bezeichnete Frau bereits kurz nach dem Tod Javads erneut einen islamistischen Kämpfer aus Deutschland.
Die Terrornetzwerker haben Frauen wie Luisa S. längst als Zielgruppe entdeckt. „Al-Shamikha“ („Die Majestätische“) heißt ein neues Online-Magazin von al-Qaida: Darin berichten anonyme Autorinnen, wie es sich anfühlt, die Ehefrau eines Kämpfers zu sein, und was ihre Pflichten im Dschihad sind.
Praktische Hinweise gibt es im Ratgeberteil: Da wird erklärt, wie man am besten Kriegsverletzungen versorgt, aber auch, wie die Haut trotz Ganzkörperverhüllung einen „gesunden Teint“ bekommt.
Die Zahl der Islamisten in Deutschland stieg laut Verfassungsschutzbericht 2010 weiter an. Demnach gab es Ende 2010 bundesweit 29 aktive islamistische Organisationen mit rund 37.470 Mitgliedern. Dies bedeutet einen Zuwachs um 2700 Personen in den vergangenen zwei Jahren.
Zahl islamistischer Frauen unbekannt
Nach Angaben von Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm gehörten bislang fast alle islamischen Terroristen in Deutschland der Gruppe der Salafisten an oder hatten Kontakt zu ihr. Auch der Tod zweier US-Soldaten am 2. März 2011 sei das Werk eines im Internet radikalisierten salafistischen Einzeltäters gewesen, so Fromm. Die Organisation rekrutiert nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes vor allem begeisterungsfähige Jugendliche über das Internet.
In Deutschland galten bislang 130 Menschen als islamistische Gefährder, die deshalb unter permanenter Beobachtung stehen. Zu diesem Personenkreis zählen Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz jedoch nur sechs Frauen. Sollten – wie prominente Beispiele zeigen – hinter der Mehrzahl der Terrorkrieger tatsächlich loyale Ehefrauen stehen, dürfte die eigentliche Zahl höher liegen.
Die steigende Zahl deutscher Gotteskriegerinnen in den Terrorlagern am Hindukusch gibt zumindest Anlass für eine im Mai veröffentlichte Analyse des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Sie gibt unter dem Titel „Frauen in islamistisch-terroristischen Netzwerken in Deutschland“ einen Überblick, welche Aufgaben und Rollen Extremistinnen übernehmen.
"Folgt dem Beispiel der Schwestern"
Luisa S. zählt zu den sogenannten aktiven Frauen der Szene. Als bisher einzige Deutsche trat sie im November 2010 in einem Propagandavideo auf. Schwarz verhüllt, rief sie als „Ummu Safiyya“ (Mutter von Safiyya) hiesige Glaubensgenossinnen dazu auf, den „trügerischen Luxus“ aufzugeben und – notfalls auch ohne Ehemann – in den Krieg zu ziehen: „Folgt dem Beispiel der Schwestern, die sich uns alleine angeschlossen haben.“
Die Analyse der Verfassungsschützer lautet nüchtern: „Einige Frauen haben sich aufgrund persönlicher Motive radikalisiert und agieren unabhängig von männlichen Einflusspersonen.“ Der Bericht stellt weiter fest: „Sie fordern selbstbewusst eine aktive Rolle im Dschihad ein …, entfalten Aktivitäten wie zum Beispiel den Aufruf zum Kampf, Missionierungsarbeit, logistische Unterstützung und Spendensammlungen.“
Die Ulmer Deutsch-Türkin Filiz G. (29) führte den Dschihad am heimischen Computer. Noch bevor ihr Ehemann Fritz G. als einer der „Sauerland-Bomber“ zu zwölf Jahren Haft verurteilt wurde, hatte sie ab 2009 eigenständig und äußerst energisch begonnen, im Internet Spenden für Terrorgruppen zu sammeln.
Unter dem Pseudonym „fisebilillah“ („im Namen Gottes“) agierte Filiz G. als Moderatorin des größten deutschsprachigen Dschihad-Forums im Internet. Sie verfasste mehr als 1000 Textbeiträge, verbreitete Videos und übersetzte Botschaften der Kämpfer. Sie stand in regelmäßigem E-Mail-Kontakt mit dem Anführer einer deutsch-türkischen Gruppe in Wasiristan, der sie sogar zur Chefpropagandistin gemacht haben soll.
Spendenkonto für Geschwister in Afghanistan
In Ulm eröffnete Filiz G. ein Spendenkonto für die „Geschwister in Afghanistan“. Das Geld, so schrieb sie im Web, sei für „Witwen und Waisen“ sowie „Verwundete“ im afghanisch-pakistanischen Kriegsgebiet bestimmt.
Deutsche Ermittler fanden heraus, dass G. Ende 2009 insgesamt 2450 Euro über einen Mittelsmann in der Türkei an Terroristen überwies. Im Februar darauf setzte die Polizei dem Treiben ein Ende, die Frau wurde festgenommen. Ein Berliner Gericht verurteilte die 29-Jährige im März dieses Jahres wegen Terrorunterstützung zu zweieinhalb Jahren Haft.
Hinter den Aktivitäten, wie Filiz G. sie betrieb, stehen laut Verfassungsschutz nicht selten auch eine „von Eitelkeit und Egozentrik geprägte Selbstverwirklichung“. Diese resultiere paradoxerweise teilweise aus der westlich geprägten Sozialisation der Frauen.
Tatsächlich bleiben viele der radikalen Aktivistinnen lange unerkannt in der Anonymität des Internets. Längst haben einschlägige Online-Foren Unterabteilungen, sogenannte Schwesternräume. Themenbeispiele: Ob eine muslimische Frau selbst zur Waffe greifen oder ausschließlich Mutter und Hausfrau sein darf, ob Frauen ohne Begleitung eines Mannes reisen dürfen und wie Kinder im Sinne des Dschihad erzogen werden können.
Die Propaganda trägt Früchte. „Meine geliebte Schwester, deine Worte sind Gold wert!“, kommentierte eine junge Frau im Netz den Videoauftritt der Bonnerin Luisa S.: „Wie gern wäre ich jetzt bei euch! Meine Eltern erlauben es mir nicht, weil ich ein Mädchen bin!“ In der virtuellen Welt könnten, so der Verfassungsschutz, schon bald „weibliche Netzwerkstrukturen analog zu den männlichen Netzwerken“ entstehen, die sich dann in der realen Welt fortsetzten.
Frauen mit ausgeprägtem Rollenverständnis
Der Verfassungsschutz charakterisiert auch die passiven Dschihadistinnen. Sie haben demnach häufig ein ausgeprägtes traditionelles muslimisches Rollenverständnis der „gehorsamen, aufopferungsvoll dienenden und ihren Gatten in allen Dingen folgenden Frau“.
Einige fügen sich dann in ihrer Rolle, indem sie mit ihrem Ehemann unter enormen Strapazen reisen oder ihm nachfolgen. Das tat auch Elisabeth W. Die konvertierte Deutsch-Polin folgte im Mai 2008 ihrem Ehemann, dem Al-Qaida-Terroristen Bekkay Harrach , nach Pakistan.
Zuvor hatte sie monatelang in Bonn auf ein Lebenszeichen des Deutsch-Marokkaners gewartet. Während dieser in den Bergen Wasiristans die terroristische Karriereleiter erklomm, brachte sie im Juni 2007 den gemeinsamen Sohn Hamza zur Welt.
W. schrieb E-Mails an Harrach, in denen sie bat, endlich kommen zu dürfen. Der willigte schließlich ein, doch ein erster Reiseversuch scheiterte Ende 2007. Die Konvertitin strandete zunächst im Iran und fand keinen Schleuser für die Weiterfahrt nach Pakistan.
Die meisten Frauen denken nicht über eine Rückkehr nach
Erst im Frühjahr 2008 gelang ihr mit Sohn Hamza die „Hijra“ (Ausreise) bis in die Stammesgebiete. Dort, so nehmen Sicherheitsbehörden an, lebt Elisabeth W. heute verwitwet – ihr Ehemann ist bei einem Angriff auf einen US-Militärstützpunkt in Afghanistan ums Leben gekommen.
Auch Shinta P. (37) war Mitläuferin. Die Indonesierin, Ehefrau des Hamburger Islamisten Ahmad Wali Siddiqi, stieg pflichtgemäß am 4. März 2009 an der Seite ihres Gatten in eine Maschine der Qatar Airways und flog von Frankfurt mit drei Islamisten aus Hamburg nach Pakistan.
Ziel der Reise waren die Terrorcamps der Islamischen Bewegung Usbekistans (IBU). Siddiqi wurde im Juni 2010 in Kabul festgenommen und nach Deutschland abgeschoben. Ehefrau Shinta P. kehrte erst Ende 2010 zurück und lebt seitdem wieder in der Hansestadt.
Die jüngsten Meldungen aus Wasiristan lassen vermuten, dass ein großer Teil der deutschen Muslimas in den Dschihad-Kolonien nicht über eine Rückkehr nachdenkt. Vielleicht, so vermuten die Familien einiger Frauen, werden sie auch gezwungen zu bleiben.
"Allen deutschen Frauen geht es gut"
Häufig werden den ausländischen Islamisten nämlich Pässe und Geld abgenommen; alleine dürfen die Frauen ohnehin nie die Dschihad-Siedlungen verlassen. Nicht einmal die E-Mails an Eltern und Geschwister aus den Internetcafés Wasiristans werden von den Islamistinnen persönlich abgeschickt. „Allen deutschen Frauen geht es gut“, heißt es zum Beispiel vonseiten der Ibu.
Die amerikanischen Drohnenangriffe forderten zwar fast wöchentlich Opfer, bislang aber sei keine deutsche Frau getötet worden. Dies entspricht den Informationen, die dem Verfassungsschutz vorliegen. Eine Islamistin aus Hamburg entkam aber nach Informationen von Morgenpost Online 2010 nur knapp einem Raketenangriff der CIA.
Die Angst vor den Drohnen, schlechte medizinische Versorgung, mangelhafte Hygiene und die Geldnot in den Terrorlagern lassen die eine oder andere deutsche Terroristenkriegerin anscheinend aber doch zweifeln. Stefanie aus Berlin beispielsweise: Mit ihrem ebenfalls konvertierten Ehemann Thomas U. (25) kehrte sie Wasiristan den Rücken und machte sich im Spätsommer 2010 auf den Rückweg.
Terror-Paar sitzt in der Türkei in Haft
In Wasiristan hatte sich das Pärchen aus dem Berliner Stadtteil Wedding der Gruppe Deutsche Taliban-Mudschahedin (DTM) angeschlossen. Thomas U., Sohn ungarischer Einwanderer, nannte sich zeitweise „Hamza der Ungar“ und prahlte mit Angriffen auf Nato-Soldaten.
Irgendwann aber hatten die beiden genug. Über die Türkei wollte das Paar zunächst nach Dänemark, dann per Auto nach Deutschland reisen. Am 1. September 2010 endete die Reise frühzeitig am Flughafen in Istanbul.
Seitdem sitzen Stefanie und Thomas in einem türkischen Gefängnis und warten auf ihre Abschiebung nach Deutschland, die nach Informationen dieser Zeitung kurz bevorsteht. Ihr Baby hat Stefanie im Dezember bekommen, im türkischen Gefängnis.