Koalition

Krisentreffen im Kanzleramt: Kein Ende des Streits in Sicht

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Julia Emmrich
Die Spitzen der Ampel-Koalition saßen am Montagmorgen nach über elf Stunden immer noch beim Krisentreffen im Kanzleramt.

Die Spitzen der Ampel-Koalition saßen am Montagmorgen nach über elf Stunden immer noch beim Krisentreffen im Kanzleramt.

Foto: Monika Skolimowska / dpa

18 Stunden haben die Ampel-Spitzen im Koalitionsausschuss verhandelt, Ende nicht absehbar. Das ist ein Alarmzeichen für die Regierung.

Berlin. Ein langer Abend, eine quälende Nachtschicht, ein weiterer Vormittag – und immer noch kein Ende in Sicht: Nach einem Verhandlungsmarathon von mehr als achtzehn Stunden hat die Ampel-Koalition ihr Krisentreffen im Kanzleramt am Montagmittag unterbrochen und will es an diesem Dienstag fortsetzen. Es ist ein Alarmzeichen für die Regierung - und ein bitterer Moment für den Kanzler.

Am Montagvormittag noch hatte Scholz über seinen Regierungssprecher Optimismus verbreitet: Das Ende der Verhandlungen sei absehbar, er gehe von einem „guten Ergebnis“ aus. Es war offenbar reines Wunschdenken. Am frühen Montagnachmittag verschickten die drei Ampel-Parteien eine abgestimmte Erklärung: Die Runde sei „in vertrauensvollen und konstruktiven Gesprächen weit vorangekommen“, habe die Sitzung aber aufgrund der deutsch-niederländischen Regierungskonsultationen in Rotterdam unterbrochen, man treffe sich am Dienstag wieder. Der gemeinsame Holland-Trip stand seit langem fest, was sich aber offenbar niemand vorstellen mochte: Dass die Ampel auch nach achtzehn Stunden keinen Durchbruch erzielen würde.

Streit in der Ampel: Das sind die wichtigsten Themen

Ursprünglich wollten die Koalitionäre am Montagmorgen ihre Beschlüsse vorstellen. Doch um 11 Uhr hieß es dann aus Teilnehmerkreisen: Wir brauchen noch Zeit. Die FDP hatte da bereits ihre für den Vormittag geplante Präsidiumssitzung abgesagt, auch SPD und Grüne sagten nach und nach ihre Termine ab. Zu groß waren die Differenzen, zu verhakt die drei Parteien bei wichtigen Fragen.

Auf dem Tisch liegt ein ganzer Berg von Streitthemen. Die dicksten Brocken: Habecks Heizungspläne, das erbitterte Ringen um den Klimaschutz und die Kindergrundsicherung. Besonders hart umkämpft ist auch die strittige Beschleunigung beim Autobahnbau. Monatelang hatte die Koalition gestritten, ob nur Bahnstrecken und Brücken schneller gebaut werden sollen oder auch Autobahnen. Letzteres wollte die FDP. Ihr Argument: Der Güterverkehr auf der Straße werde deutlich zunehmen, Staus müssten verhindert werden. Die Grünen lehnten einen schnelleren Ausbau von Autobahnen kategorisch ab. Sie forderten stattdessen, die bundeseigene Bahn deutlich zu stärken.

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Ampel-Gespräche: Auch Fraktionschefs mischen mit

Die Grünen pochen zudem auf mehr Anstrengungen für Klimaschutz im Verkehr und hatten Druck auf FDP-Verkehrsminister Volker Wissing gemacht. Er schulde seit vielen Monaten ein Sofortprogramm mit ausreichend Maßnahmen, die den CO2-Ausstoß im Verkehr dauerhaft senkten. Die FDP lehnt Vorschläge wie ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen und den Abbau bestimmter Subventionen bislang kategorisch ab. Stattdessen pochte sie darauf, dass in der EU auch nach 2035 noch Verbrenner zugelassen werden dürfen, die mit Ökostrom erzeugte künstliche Kraftstoffe tanken.

Zoff? Verbale Prügeleien? Wutausbrüche? Dem Vernehmen nach gab es nichts davon. Einmal, so heißt es, habe sich die Runde in der Nacht eine Beratungspause gegeben, doch von einer etwaigen Eskalation drang zunächst nichts nach draußen. Stattdessen stundenlanges Ringen um Formulierungen, um einzelne Sätze. Es gehe sachlich zu, man rede intensiv und konstruktiv, hieß es zwischenzeitlich aus der Runde. Dem Koalitionsausschuss gehören neben dem Kanzler und mehreren Ministern auch die Partei- und Fraktionschefs der drei Ampel-Parteien an - insgesamt fast 20 Politiker.

FDP-Minister twittert während Krisengespräch

Als ahnten sie schon, welcher Eindruck an diesem Tag von der Regierungstruppe entstehen würde, schickten Grüne und FDP bereits am Montagmorgen demonstrativ Fraktionsmitglieder ins die Frühsendungen, um Optimismus zu verbreiten. FDP-Haushaltspolitiker Otto Fricke erklärte im Deutschlandfunk, für ihn seien die langen Verhandlungen ein Zeichen, dass man sich bemühe, über Kompromisse Lösungen zu finden. Grünen-Parlamentsgeschäftsführerin Irene Mihalic sagte im ARD-„Morgenmagazin“, es gebe viel und intensiv zu diskutieren. „Und wenn dafür der Preis eine Nachtsitzung ist, dann bitte.“

Immerhin einer der Teilnehmer zeigte sich schon während der laufenden Sitzung nach außen tiefenentspannt und gut gelaunt: FDP-Justizminister Marco Buschmann griff kurz nach 9 Uhr zum Handy und twitterte, dass er sich über 100.000 Follower auf Twitter freue. „Das macht Spaß.“ Finanzminister Lindner twitterte Stunden später nur noch drei Worte: „Ideenreichtum. #Schlafmangel - #Koalitionsaussschuss.“

Auf die Frage, ob die Teilnehmer in der Nacht Gelegenheit zum Schlafen gehabt hätten, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Morgen: „Mir sind keine Übernachtungsmöglichkeiten im Kanzleramt bekannt.“ Allerdings könne es sein, „dass sich mal jemand auf einen Sessel zurückgezogen hat“. Scholz jedenfalls habe nicht den Eindruck gemacht, „dass er besonders viel geschlafen hätte heute Nacht“.

Lange Nacht: Baerbock und Habeck kamen im Jeansjacke und Kapuzenpulli

Die Erwartungen an das Krisentreffen im Kanzleramt waren groß. Was zuletzt beim winterlichen Koalitions-Wochenende auf Schloss Meseberg noch nicht gelungen war, sollte jetzt passieren: Die Grünen wollten gleich mehrere „Knoten durchschlagen“, der Kanzler immerhin „einen kleinen Sprung nach vorne machen“. Doch schon am Sonntagabend war laut Teilnehmern klar: „Das wird noch lange dauern.“

Viele hatten sich deswegen von vornherein für bequeme Klamotten entschieden, Pulli statt Krawatte, Jeans statt Anzug, Sneaker statt Lederschuhe. Die Grünen rechneten von Beginn an ganz offensichtlich nicht damit, dass die Spitzenleute staatstragend vor die Kameras treten würden, um Beschlüsse zu erklären: Außenministerin Annalena Baerbock kam in Turnschuhen und Jeansjacke am Kanzleramt an, Wirtschaftsminister Robert Habeck mit Kapuzenpulli unterm Jackett.

Ampel-Krach: Schwere Vorwürfe im Vorfeld des Krisentreffens

Im Vorfeld des Treffens hatten sich vor FDP und Grüne gegenseitig schwere Vorwürfe gemacht. Hart in der Sache, aggressiv im Ton: FDP-Vize Wolfgang Kubicki hatte Habeck mit Putin verglichen – sich dann aber nach breitem Protest dafür entschuldigt. Habeck seinerseits behauptete, die Grünen seien die einzige Fortschrittspartei in der Koalition und witterte wegen seiner durchgestochenen Heizungspläne Verrat aus den eigenen Ampelreihen. FDP-Finanzminister Christian Lindner verriss Habecks Heizungspläne umgehend und schickte sie „zurück in die Montagehalle“.

Sein Parteifreund, Haushaltspolitiker Christoph Meyer, wiederum verglich Grüne und SPD gleich pauschal mit Alkoholkranken, denen man mit kaltem Entzug mehr Ausgabendisziplin beibringen müsse. Aus der SPD hieß es bissig: Nicht jede verbale Entgleisung der FDP bedürfe einer Kommentierung. Streckenweise klang die Ampel wie einst die Schwarz-Gelbe Koalition, in der man sich am Ende gegenseitig „Wildsau“ und „Gurkentruppe“ an den Kopf warf.

Sitzungsmarathon: Warum eine Einigung so schwer ist

Dazu muss man wissen: FDP-Parteichef Christian Lindner will sich in vier Wochen beim FDP-Parteitag wiederwählen lassen. Die Wahl selbst steht nicht in Frage, es gibt keinen ernstzunehmenden Konkurrenten. Doch nach fünf verlorenen Landtagswahlen geht die FDP auf dem Zahnfleisch, Erfolge müssen dringend her – und sei es, indem man immer ein bisschen lauter und sichtbarer ist als die anderen. An diesem Dienstag wird sich zeigen, ob die Ampel insgesamt noch die Kraft hat, sich aufs Regieren zu einigen – und nicht nur beim Rechthaben zu verharren.

Heftige Kritik kam am Montag aus Opposition: „Die heutige Vertagung ist ein Debakel für die Ampel. Unser Land hat einige Probleme, ein immer größeres ist die Ampel selbst“, sagte der Co-Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Dietmar Bartsch, dieser Redaktion. Er wies daraufhin, dass die Bürger unter einer historischen Inflation litten und forderte, am Dienstag müsse es endlich belastbare Vorschläge geben. Auch aus der Unionsfraktion kam scharfe Kritik.