Berlin. Im Fall der privaten Partyvideos der finnischen Ministerpräsidentin Sanna Marin kursiert ein brisanter Verdacht: Haben Schergen des russischen Präsidenten Wladimir Putin in der Affäre ihre Hände im Spiel? Namhafte CDU-Politiker in Deutschland zeigen sich überzeugt, dass die Verbreitung der Aufnahmen Teil einer Kampagne ist, mit der Moskau Marin diskreditieren will.
Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter sagt: „Natürlich ist es kein Zufall, dass die Videos genau jetzt erscheinen“. Nachdem Marin Finnland in die Nato geführt habe und einen klar pro-westlichen Kurs verfolge, „ist sie Opfer der russischen hybriden Kriegsführung geworden“.
Der russische Auslandsnachrichtendienst SWR habe Erfahrung darin, wichtige Persönlichkeiten zu diskreditieren, auch durch Abgreifen von Material aus sozialen Netzwerken. Auch der langjährige CDU-Außenexperte Ruprecht Polenz meint: „Sieht so aus, als sei die russische psychologische Kriegsführung unterwegs.“
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In Finnland gehen diese Spekulationen ebenfalls um, spielen dort allerdings noch keine große Rolle in der öffentlichen Debatte. Denn belegen lässt sich der Verdacht bislang nicht. Das erste Video, das Marin beim Feiern mit einer Gruppe von Freunden und Prominenten zeigt, war aus dem Kreis der Teilnehmer veröffentlicht worden. Es folgte ein Video, das die 36-Jährige in einem Club in Helsinki im engen Tanz mit dem finnischen Sänger Olavi Uusivirta zeigt.
Marin sagt: Ich bin auch nur ein Mensch
Tage später tauchte zuerst im Online-Dienst Tiktok ein Bild einer finnischen Influencerin und einer weitere Frau auf, die sich küssen und ihre entblößten Brüste mit einem Schild mit der englischen Aufschrift „Finland“ bedecken – aufgenommen im Amtssitz der Ministerpräsidentin, in Abwesenheit Marins.
Veröffentlicht wurde diese Aufnahme von der Influencerin. Marin hat sich für das Foto entschuldigt, zur Kritik an ihrem privaten Partyauftritt aber erklärte sie: Sie sei auch nur ein Mensch, sehne sich manchmal nach Spaß, ohne deswegen „einen einzigen Arbeitstag“ versäumt zu haben. Politiker sollten nach ihrer Arbeit und nicht nach Freizeitaktivitäten beurteilt werden.
Wer auf Marins Arbeit blickt, findet immerhin Anhaltspunkte, warum der Verdacht russischer Einflussnahme aufkommt: Marin stehe stellvertretend für alles, was Putins Regime ablehne, meint der CDU-Mann und Geheimdienstexperte Kiesewetter. Die Regierungschefin hat soeben ihr Land nach vielen Jahrzehnten der Neutralität zum Nato-Mitglied gemacht und damit wegen des Ukraine-Kriegs das Kapitel finnisch-russischer Sonderbeziehungen abrupt beendet.
Früh hatte sich die Ministerpräsidentin für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine eingesetzt, sie war auch schneller als andere westliche Politiker nach Kiew gereist. Aktuell kämpft sie dafür, dass die Europäische Union ein komplettes Einreiseverbot für Russen verhängt. „Ich finde es nicht richtig, dass russische Bürger als Touristen in die EU einreisen und Sightseeing machen können, während Russland Menschen in der Ukraine tötet“, sagt Marin.
Die finnische Regierungschefin Marin: Das sind ihre Ziele
Für die Regierungschefin ist es ein harter Kurswechsel: Lange Jahre war sie klare Gegnerin eines Nato-Beitritts Finnlands. Als sie 2019 mit 34 Jahren Ministerpräsidentin wurde und anfangs die jüngste Regierungschefin weltweit war, stand sie eher für einen Linksschwenk der Sozialdemokraten mit Schwerpunkt auf Soziales, Gleichberechtigung und Umweltthemen.
Sie pflegt auf ihrem Instagram-Kanal das Bild einer modernen Frau: Gern lässig mit Lederjacke beim Musikfestival oder im Trikot beim Eishockeyspiel. 10 der 19 Minister ihrer Fünf-Parteien-Regierung sind Frauen. Marin, die mit einem ehemaligen Fußballer verheiratet ist, wollte anfangs sogar die 4-Tage-Woche einführen.
Dass sie sich für die Rechte von LGBT-Familien engagiert, hat biografische Gründe: Marin stammt selbst aus einer Regenbogenfamilie. Ihr Vater war Alkoholiker und verließ die Familie, als Sanna noch klein war. Ihre Mutter zog die Tochter erst allein, später gemeinsam mit ihrer Lebensgefährtin auf. „Man erkannte uns nicht als richtige Familie an“, klagte sie später. Geblieben ist aus der Kindheit auch ihre Freude am Tanzen.
Die wird ihr nicht zum ersten Mal zum Problem: Ende vorigen Jahres wurde bekannt, dass Marin bis morgens um vier Uhr im In-Club „Butcher“ in Helsinki getanzt hatte, obwohl sie zwischendurch erfuhr, dass ihr Außenminister Pekka Haavisto, mit dem sie tagsüber in einer Sitzung saß, positiv auf Covid-19 getestet worden war.
Damals fanden laut Umfrage zwei Drittel der Finnen, Marins Party-Nacht sei „ein schwerer Fehler“ gewesen. Sie ist zwar bei den Bürgern beliebt, ihre Regierung kommt auf eine solide Zustimmung von 60 Prozent, aber in Finnland sind die Maßstäbe für Fehlverhalten von Politikern relativ streng.
Nach den Party-Bildern von Marin: Davor fürchten sich ihre Parteifreunde
Entsprechend groß sind die Sorgen bei Marins Sozialdemokraten. In acht Monaten sind Parlamentswahlen in Finnland, Umfragen deuten darauf hin, dass die Nationale Sammlungspartei diesmal vor den Sozialdemokraten liegen könnte. Die Opposition warnt schon, Marins Verhalten sei ein Sicherheitsrisiko.
Sozialdemokratische Politiker fordern alarmiert ein Ende der Partys. Nach einem Bericht der Zeitung „Sanomat“ warnen Parteifreunde, im relativ konservativen Finnland dürfe Marin die älteren Wähler nicht vernachlässigen. Sorge macht den Sozialdemokraten aber vor allem eines: Es gebe das Risiko, dass weitere heikle Bilder aus Marins Privatleben veröffentlicht werden könnten.
Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.
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