Hochrechnungen

Europawahl: Rückenwind für Kurz, Niederlage für Macron

| Lesedauer: 7 Minuten
Abschluss der Europa-Wahl in Deutschland und 20 weiteren EU-Ländern

Abschluss der Europa-Wahl in Deutschland und 20 weiteren EU-Ländern

Insgesamt sind knapp 430 Millionen Bürger von Sizilien bis Helsinki dazu aufgerufen, 751 Abgeordnete für das Brüsseler Parlament zu bestimmen.

Beschreibung anzeigen

Nach der Wahl werden die Stimmen ausgezählt. Die Hochrechnungen zeigen deutliche Tendenzen. Das sind die Ergebnisse anderer Länder.

Berlin. Am Sonntag haben die Europäer die Abgeordneten für das Europäische Parlament gewählt. So haben die unterschiedlichen Länder nach den ersten Hochrechnungen abgeschnitten.

• Frankreich

Schwerer Rückschlag für „Monsieur Europe“: Die Liste der Regierungspartei La République en Marche (LREM) von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kam bei der Europawahl mit 22,5 Prozent nur auf Platz zwei.

Nach ersten Hochrechnungen siegte die rechtspopulistische Partei Rassemblement National von Marine Le Pen mit etwa 23,5 Prozent der Stimmen. Die Grünen landeten mit ungefähr 13 Prozent auf dem dritten Platz.

Schon vor fünf Jahren war der damalige Front National (FN) Le Pens mit knapp 25 Prozent als stärkste Kraft aus der Europawahl hervorgegangen. Le Pen will nun zusammen mit Verbündeten wie dem italienischen Lega-Chef Matteo Salvini und weiteren rechtspopulistischen Parteien eine große Fraktion im Europaparlament bilden.

Ergebnis dürfte Emmanuel Macron weiter schwächen

Bei der Stichwahl um das Präsidentenamt 2017 hatte Le Pen noch krachend gegen Macron verloren. In ganz Europa – auch in der SPD – wurde Macron daraufhin als europapolitischer Vorreiter gegen Rechtspopulismus und Nationalismus gefeiert.

Das Ergebnis bei der Europawahl dürfte Macron, der wegen der anhaltenden Proteste der „Gelbwesten“ ohnehin angeschlagen ist, weiter schwächen. Es könnte auch die Durchsetzung der von ihm geplanten Reformen begrenzen, was eine Einigung mit Deutschland in wichtigen Themen weiter erschweren würde.

Die Partnerschaft zwischen Deutschland und Frankreich gilt als Motor der EU. Zuletzt hatten die beiden Länder allerdings kaum noch gemeinsame Initiativen angestoßen. In Paris ist man noch immer enttäuscht, dass Kanzlerin Angela Merkel (CDU) monatelang nicht auf die europapolitischen Reformvorschläge von Macron geantwortet hat.

• Alle aktuellen Entwicklungen gibt es in unserem Europawahl-Blog.

• Niederlande

Es war wohl der Timmermans-Effekt. Nach ersten Hochrechnungen haben die Sozialdemokraten (PvdA) und ihr EU-Spitzenkandidat Frans Timmermans die Europawahl gewonnen.

Demnach hat die PvdA ihr Wahlergebnis im Vergleich zur letzten EU-Parlamentswahl vor fünf Jahren auf gut 18 Prozent verdoppelt. Timmermans freute sich: ,,Ich merke überall in Europa, dass die Bürger ein anderes Europa wollen. In den Niederlanden gibt es eine deutliche Mehrheit, die will, dass die EU auch künftig eine große Rolle bei der Lösung politischer Probleme spielt.‘‘

Proeuropäische Parteien haben stark zugelegt

Aus den vorliegenden Hochrechnungen ging hervor, dass vor allem die proeuropäischen Parteien stark zugelegt haben. Neben der sozialdemokratischen PvdA waren dies die christdemokratische CDA (gut 12 Prozent) und die rechtsliberale VVD (rund 15 Prozent).

Die VVD, die mit Mark Rutte in den Niederlanden den Premierminister stellt, gewann etwa drei Prozentpunkte dazu. Bemerkenswert ist, dass die europakritischen Parteien wie die rechtspopulistische Freiheitspartei PVV von Geert Wilders und das rechtsextreme Forum für Demokratie (FvD) von Thierry Baudet Stimmen verloren haben.

Die PVV wurde mit rund 4 Prozent im Vergleich zur letzten EU-Parlamentswahl halbiert. Auch für das FvD ist das Ergebnis mit rund 11 Prozent ernüchternd. Bei den Kommunalwahlen im März wurde das FvD noch stärkste Partei. FvD-Chef Thierry Baudet hatte zuletzt vor allem die Frauen verprellt. Mit Parolen wie ,,Frauen sind nicht so intelligent wie Männer, und sie sollten Kinder gebären anstatt Karriere zu machen‘‘ sowie rassistischen Aussagen erschreckte er viele Wähler.

• Österreich

Österreichs Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ist unmittelbar vor einem geplanten Misstrauensantrag im Parlament massiv gestärkt worden. Laut Trendprognosen hat seine konservative ÖVP einen fulminanten Sieg bei der Europawahl am Sonntag eingefahren. Nach gemeinsamen Berechnungen mehrerer Meinungsforschungsinstitute kam die ÖVP auf gut 34 Prozent, das sind rund 8 Prozentpunkte mehr als bei der EU-Wahl 2014.

Der ehemalige Koalitionspartner der ÖVP, die rechte FPÖ, erreichte mehr als 17 Prozent, ein Minus von mehr als zwei Prozentpunkten im Vergleich zu 2014. Die Koalition zwischen der ÖVP und der FPÖ war an den Folgen eines Skandal-Videos des Ex-Vizekanzlers Heinz-Christian Strache (FPÖ) zerbrochen.

Wahl als Stimmungstest für die geplanten Neuwahlen

Die sozialdemokratische SPÖ kam wohl auf 23,5 Prozent, ein leichtes Minus im Vergleich zur letzten EU-Wahl. Die Grünen landeten bei gut 13 Prozent – nahe an ihrem historisch besten Ergebnis von 2014, als sie 14,5 Prozent erhielten.

Die liberalen Neos lagen erneut bei 8 Prozent. Das Ergebnis der Europawahl in Österreich war wegen der dramatischen innenpolitischen Entwicklungen mit besonders großer Spannung erwartet worden. Die Wahl galt als erster Stimmungstest für die geplanten Neuwahlen im September.

Strache-Video: Österreich bereitet sich auf Neuwahlen vor
Strache-Video- Österreich bereitet sich auf Neuwahlen vor

Vor rund einer Woche hatte Kurz die seit 18 Monaten regierende Koalition mit der FPÖ aufgekündigt. Vorausgegangen war die Veröffentlichung eines 2017 heimlich auf Ibiza gedrehten Videos, das Strache dabei zeigt, wie er einer angeblichen russischen Oligarchen-Nichte für Wahlkampfhilfe erhebliche wirtschaftliche Vorteile in Aussicht stellt. Strache war daraufhin von allen politischen Ämtern zurückgetreten.

• Griechenland

Rückschlag für den griechischen Ministerpräsident Alexis Tispras: Nach einer Prognose des Staatsrundfunks ERT ging Tsipras’ linke Partei Syriza aus der Europawahl am Sonntag erstmals seit 2014 bei einem Urnengang nicht als Sieger hervor.

Oppositionspartei Nea Dimokratia liegt vorn

Syriza landete demnach auf dem zweiten Platz und kam auf etwa 24 Prozent. Das ist ein leichtes Plus im Vergleich zur letzten Europawahl.

Die konservative griechische Oppositionspartei Nea Dimokratia (ND) lag laut ersten Prognosen vorn. Sie erzielte rund 33 Prozent der Stimmen, knapp zehn Prozentpunkte mehr als bei der Wahl 2014. Um den dritten Platz kämpften die rechtsextremistische Partei Goldene Morgenröte und die sozialistische KINAL (Bewegung des Wandels). Beide lagen bei rund 7 Prozent der Stimmen.

Die kommunistische Partei KKE erreichte demnach knapp 6 Prozent. Die Europawahl galt in Griechenland als wichtiger Stimmungstest vor den Parlamentswahlen im Herbst. Tsipras hatte kürzlich ein Paket von Steuersenkungen und Rentenerhöhungen im Eilverfahren durchs Parlament gebracht.

OECD mahnt, Griechenland muss mehr investieren

Damit wollte der Premier die Chancen seines Linksbündnisses Syriza bei der Europawahl verbessern. Die Steuersenkungen und Rentenerhöhungen werden das Budget in diesem und kommenden Jahr mit rund vier Milliarden Euro belasten.

Dadurch könnten die Haushaltsziele in Gefahr geraten, zu denen sich Griechenland gegenüber den internationalen Gläubigern verpflichtet hat. Die OECD mahnte, Griechenland müsse mehr in die Infrastruktur und das Bildungswesen investieren, um das Wachstum zu sichern. Auch bei den Strukturreformen und den Privatisierungen gebe es Nachholbedarf.

• In Deutschland mussten die Koalitionspartner schwere Verluste verkraften. Das bedeuten die Wahlergebnisse für Union und SPD.

• Freuen konnten sich hingegen die Grünen: Grüne „saustark“ – gemischte Gefühle bei AfD, FDP und Linke

(bac)