Berlin. Olaf Scholz ist aus dem Häuschen. Ja, wirklich. Der neue Bundesfinanzminister und langjährige Hamburger Bürgermeister ist bekannt dafür, seine Emotionen meist gut zu verstecken. Als er vor vielen Jahren Generalsekretär der SPD war, bekam er in Berlin den Spitznamen „Scholzomat“ verpasst, weil er Inhalte monoton wie eine Maschine abspulte.
Am Mittwochvormittag hat sich Scholz vorgenommen, den Automaten abzustellen und ausgesprochen freundlich zu sein. Dabei kommt er direkt aus einer Kabinettssitzung, die zumindest inhaltlich alles andere als harmonisch verlaufen ist. Aber dazu später mehr.
In der Bundespressekonferenz wedelt Scholz erst einmal mit einer Seite Papier herum: „Das Schaubild ist schöner als ich“, ruft er vergnügt. Es rasselt wie verrückt im Saal, die Fotografen drücken bei diesem Gefühlsausbruch des bald 60-Jährigen wie wild ihre Auslöser.
Deutschland will Schuldenstand unter 60-Prozent-Marke drücken
Auf der Grafik ist zu sehen, dass der deutsche Staat im nächsten Jahr seinen Schuldenstand unter die im Maastricht-Vertrag vorgesehene 60-Prozent-Marke drücken wird. Scholz ist zwar erst seit zwei Monaten im Amt, aber lange genug im Geschäft, um das den Bürgern als einen ersten eigenen Erfolg zu präsentieren. Genau wie die schwarze Null, die er von seinem Vorgänger Wolfgang Schäuble geerbt hat.
Scholz zählt die Maßnahmen auf, die die große Koalition aus Union und SPD in den nächsten Jahren für ein „sozial gerechteres Deutschland“ umsetzen will. Fast 50 Milliarden Euro stehen dafür bis 2021 zur Verfügung, für mehr Kindergeld, geringere Kita-Gebühren, den Bau von Sozialwohnungen, schnelleres Internet, mehr Polizisten und so weiter. Es ist eine durchaus beeindruckende Liste.
Von der Leyen stimmt nur unter Vorbehalt zu
Nach ein paar Minuten holt Scholz noch eine Grafik aus dem vor ihm liegenden Papierstapel hervor. Es ist das Budget des Verteidigungsministeriums. Von knapp 39 Milliarden Euro in diesem Jahr werden die Mittel auf knapp 44 Milliarden Euro im Jahr 2021 erhöht. Das sei eine „massive Verbesserung“, sagt Scholz und lobt seine eigene Arbeit, die zu einem nicht geringen Teil der neben ihm sitzende Staatssekretär Werner Gatzer erledigt hat: „Insgesamt also ein guter Haushalt!“
Ursula von der Leyen und Gerd Müller sehen das ganz anders. In der schon angesprochenen Kabinettssitzung am Morgen im Kanzleramt stimmten beide den Eckwerten nur unter Vorbehalt zu. Sie gaben ihren Protest zu Protokoll, wurden bei Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vorstellig und wollen bis zur entscheidenden Sitzung des Kabinetts am 4. Juli Druck machen.
Ihr Problemjahr ist nicht 2018, wohl aber die Folgezeit. Der Etat von Entwicklungshilfeminister Müller sinkt – von 9,4 auf nur noch 8,7 Milliarden Euro im Jahr 2022. Die Verteidigungsministerin hatte sich – für Investitionen – zwölf Milliarden Euro mehr erhofft, verteilt auf 2019, 20, 21, doch geplant sind nur 2,5 Milliarden.
Ministerien wehren sich: „Sind keine Quoten-Fetischisten“
In beiden Häusern heißt es, „wir brauchen das Geld, wir sind keine Quoten-Fetischisten“. In Wahrheit sind Quoten und internationale Zusagen ihre besten Argumente, und bei Merkel verfangen sie.
Da ist zum einen die „ODA“-Quote. Das sind Mittel für Krisenprävention, Entwicklungshilfe und humanitäre Hilfe, zu 80 Prozent aus Müllers Etat. Sie liegt momentan bei 0,5 Prozent des Bruttosozialprodukts; ihr Absinken soll laut Koalitionsvertrag „bereits 2018 verhindert werden“.
Da ist zum anderen die Verpflichtung in der Nato, die Verteidigungsausgaben zu erhöhen, bis sie im Jahr 2024 zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen. Aktuell lieg diese Quote bei 1,24 Prozent, und folgt man Scholz, würden die Militärs 2022 bei 1,23 Prozent landen – ein Sinkflug.
Letztes Chefwort ist offenbar noch nicht gesprochen
Beide Minister verweisen auf internationale Zusagen, von der Leyen unter anderem auf die Entwicklung eines U-Bootes mit Norwegen. Die Verpflichtungen der multilateralen Entwicklungshilfe verdreifachen sich binnen eines Jahres. Und wenn die Zusagen der Kanzlerin für den Klimaschutz eingehalten werden sollen, dann steigen diese Ausgaben gar auf vier Milliarden Euro im Jahr 2020. Mit den Haushaltsplänen für 2019 und die Folgejahre „sind die Bedarfe nicht abzudecken“, sagt Müller.
Merkel lässt nur kurz nach dem Scholz-Auftritt erklären, dass die Steigerung der Wehrausgaben „fortgesetzt werden muss“. Sie stehe zu den Nato-Vereinbarungen. Das klingt, als sei das letzte Chefwort noch nicht gesprochen. Zumal US-Präsident Donald Trump Merkel im Nacken sitzt und höhere deutsche Nato-Beiträge einfordert.
Natürlich wird Scholz während seiner Pressekonferenz auf die Proteste angesprochen. Die „Kollegen“ hätten schriftlich und mündlich darauf hingewiesen, dass sie in der Zukunft viel mehr Geld bräuchten. „Da kann man immer nur darauf hoffen, dass die Zukunft so günstig verläuft, dass auch Geld da ist.“
Scholz spricht von falscher Wahrnehmung
Das klingt nicht so, als ob Scholz mehr Geld herausrücken will. Es sei schon „eine Anstrengung“, die zusätzlichen Milliarden überhaupt auszugeben. Bei Rüstungsgeschäften könne man nicht mal eben „shoppen gehen“.
Ärger für Scholz gibt es noch an anderer Stelle. Irritationen löst aus, dass die Investitionen des Bundes von 37,9 Milliarden Euro auf 33,5 Milliarden Euro im Jahr 2022 sinken sollen. Hatte nicht die SPD vollmundig im Wahlkampf und in den Koalitionsverhandlungen versprochen, dass die öffentlichen Investitionen massiv erhöht werden sollten?
Scholz spricht von einer falschen Wahrnehmung. So würden ab 2020 rund drei Milliarden Euro, die der Bund bisher den Ländern für Investitionen zur Verfügung gestellt, aber im eigenen Haushalt verbucht hatte, komplett in die Hand der Länder gegeben.
Außerdem werde der Bund viel Geld für die Digitalisierung ausgeben, das bis jetzt aber noch nicht verbucht sei. Unter dem Strich seien das sechs Milliarden Euro, die mit in die Investitionsbilanz hineingehörten: „Man wird ganz sicher sagen können, dass die Investitionsquote hoch bleiben wird“, versichert Scholz.
Scholz nimmt Vorgänger Schäuble in Schutz
Selbst gestandene Fachleute vom Koalitionspartner haben da ihre Zweifel. „Dass Bundesfinanzminister Scholz die Investitionen 2021 und 2022 deutlich sinken lassen will, bedarf einer Korrektur“, sagt der haushaltspolitische Sprecher von CDU und CSU im Bundestag, Eckhardt Rehberg. Die Union moniert, dass Scholz außerdem bei den kommenden Kosten für Europa schweige. Dieses „Auf-Sicht-Fahren“ des SPD-Finanzministers sei zu wenig. Aber war Schäuble nicht genauso?
Als der Name fällt, strafft sich Scholz in seinem Nadelstreifenanzug. Er weiß, was jetzt kommt. Ob es für ihn ein Kompliment oder eine Beleidigung sei, wenn man seinen Haushaltsplan als genauso dröge wie die Arbeit seines Vorgängers Wolfgang Schäuble bewerten würde? „Es ist mir ein Bedürfnis, Minister Schäuble in Schutz zu nehmen. Er ist nicht dröge. Das ist eine falsche Beurteilung, die ich nicht teile“, antwortet Scholz.
Es ist zu früh, um zu beurteilen, wie viel Schäuble wirklich in ihm steckt. Im jüngsten ZDF-Politbarometer kam Scholz in der Top 10 der beliebtesten Politiker auf einen guten vierten Platz. Und wer lag vorne? Schäuble.