Berlin. Dass die Terrorgefahr in Deutschland groß ist, steht seit den Anschlägen in Berlin, Ansbach und Würzburg außer Frage. Allein 2017 sind nach Behördenangaben drei Attentate verhindert worden, seit 2000 insgesamt 16. Auffällig ist in diesem Monat, dass sich bei der Generalbundesanwaltschaft die Ermittlungen in Terrorfällen häufen.
Noch bevor die Geiselnahme in Südfrankreich gemeldet worden war, hatte Innenminister Horst Seehofer (CSU) am Freitagvormittag im Bundestag die Terrorgefahr als weiterhin sehr hoch dargestellt. Er werde sich dafür einsetzen, dass die Videoüberwachung ausgebaut werde und – wie geplant – 7500 Stellen bei den Sicherheitsbehörden des Bundes geschaffen werden, kündigte er an.
Aus Chinaböllern wollte Deday A. einen Sprengsatz bauen
Erst am Vortag hatte der Generalbundesanwalt die Festnahme eines 31 Jahre alten Deutsch-Algeriers gemeldet. Samir K. wird dringend verdächtigt, die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) zu unterstützen. Er richtete nach Angaben der Karlsruher Behörde seit 2015 in zehn Fällen – jeweils unter Alias-Namen – Telegram- und Twitter-Accounts, WhatsApp- und Facebook-Profile sowie E-Mail-Adressen ein, die für vier sich in Syrien und dem Irak aufhaltende IS-Mitglieder bestimmt waren. Das Kommunikationsnetzwerk flog auf, als Spezialkräfte der Bundespolizei seine Wohnung und Gebäude in Baden-Württemberg, Brandenburg, Hamburg sowie in Niedersachsen durchsuchten.

Erst vor gut zwei Wochen hatte der Generalbundesanwalt den 17 Jahre alten Iraker Deday A. verhaften lassen. Auch er gilt als IS-Mitglied und wird beschuldigt, einen Anschlag geplant zu haben. In seiner Wohnung in Hessen fanden die Ermittler Chinaböller, „aus denen er Schwarzpulver zum Bauen eines Sprengsatzes gewinnen wollte“, wie es heißt.
Rund 10.000 Salafisten in Deutschland
Bei einer Razzia in Afghanistan ebenfalls noch im März war ein Deutscher festgenommen worden, der die Taliban militärisch beraten haben soll. Der Mann stammt aus Rheinland-Pfalz, aus der Nähe von Worms. Nach einem Bericht des „Focus“ halten deutsche Sicherheitskreise auch seine Verwicklung in einen schweren Anschlag auf das Diplomatenviertel in der afghanischen Hauptstadt Kabul für möglich. Schon 2010 hatte man gegen ihn ermittelt, damals noch im Worms und wegen des Verdachts, Spenden für eine Islamistengruppe aus dem Kaukasus zu sammeln. Gerade Rückkehrer aus dem „Dschihad“ sind für die Behörden eine Risikogruppe.
Man geht von 10.000 Salafisten in Deutschland aus, die meisten mit einem ambivalenten Verhältnis zu Gewalt, aber nicht zwingend selbst gewalttätig. Davon sind 1000 in die Kriegsgebiete ausgereist. Sie werden als „homegrown terrorists“ geführt, als Islamisten, die sich hier selbst radikalisiert haben.
Bundesamt für Migration hat eine Radikalisierungs-Hotline
Davon sind 200 gestorben, ungefähr ein Drittel ist zurück. Neben der Gefahr durch Rückkehrer warnte BKA-Chef Holger Münch neulich vor einem „erhöhten Radikalisierungsrisiko bei Flüchtlingen“. Die meisten sind friedlich und kooperativ. Seit dem Start einer Radikalisierungs-Hotline beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vor sechs Jahren gingen mehr als 4000 Anrufe ein.
Um mehr als einen potenziellen Gefährder handelt es sich bei Yamen A. Gegen den Syrer wurde Anfang des Monats in Hamburg Anklage erhoben. Der 20-Jährige war im Oktober 2017 festgenommen worden. Er wird verdächtigt, spätestens seit Juli einen Anschlag mit Sprengstoff geplant und bereits mit dessen Vorbereitung begonnen zu haben. Demnach wollte er mindestens 200 Menschen töten. An welchem Ort und zu welchem Zeitpunkt er zuschlagen wollte, ist unklar.
570 islamistische Gefährder in Deutschland
Fest steht hingegen, dass der Mann sich über das Internet darüber informierte, wie er eine Sprengvorrichtung bauen könnte: Anleitungen für die Konstruktion eines Zünders, einer Fernauslösung sowie die Synthese des Sprengstoffes Triacetontriperoxid aus Wasserstoffperoxid, Schwefelsäure und Aceton. „Nahezu sämtliche für die Herstellung einer Bombe erworbenen Komponenten und Chemikalien konnten bei dem Angeschuldigten aufgefunden werden“, so die Bundesanwaltschaft.

Rund 570 islamistische Gefährder hat das Bundeskriminalamt (BKA) in Deutschland registriert. Rund 150 sitzen in Haft. Der IS hat verschiedene Phasen durchlebt: erst Terror-Ableger von Al-Kaida, dann Herrscher über ein selbst ernanntes Kalifat und nachdem er weitgehend zurückgedrängt worden ist, steht der nächste Taktikwechsel an.
Über das, was kommen könnte, sind sich die Sicherheitsbehörden einig: wieder mehr Terroranschläge, nicht nur in den Kernländern Syrien, Irak oder Nordafrika, sondern auch in Europa, am Freitag in Südfrankreich, schon morgen woanders.