Berlin. Er war vom Stadtmagazin Tip auf Platz 6 der peinlichsten Berliner (Gewinner: Mario Barth vor Beatrix von Storch) 2016 gesetzt worden – und arbeitet hart an seinem Aufstieg. Der Aktivist Martin Lejeune ist mit seiner glühenden Erdogan-Verehrung auch vielen Erdogan-Anhängern unangenehm. Am Donnerstag setzte er wieder zu einer Huldigung für Erdogan an, den er „Reis“ („Der Chef“) nennt. Doch bei den Fotos, die im Stil nordkoreanischer Propaganda die Volksnähe des türkischen Präsidenten zeigen sollten, hätte der 37-Jährige vorher mal genauer hinschauen sollen ...
Von Lejeune, der auch den Holocaust schon mal angezweifelt und sich später dafür entschuldigt hatte*, sind Sätze wie „Milliarden Muslime auf der Welt stehen hinter Erdogan“, „Wenn das deutsche Volk entdeckt, dass Erdogan im Recht ist, dann ist hier die Hölle los“ und „Niemand verteidigt die Demokratie so sehr wie @RT_Erdogan“. Am Donnerstag twitterte er an seine 25.000 Follower hintereinander drei Fotos, die Erdogan rühmen sollen. Doch sie erzählen zum Teil ganz andere Geschichten.
Das Foto vom Februar 2014 zeigt Erdogan mitnichten bei einer gewöhnlichen Fahrt in der Bahn. Es entstand bei dem Festakt zur Einweihung einer neuen Brücke für die Metro. Erdogan teilte die Bahn bei dem PR-Termin aber vor allem mit geladenen Ehrengästen, Journalisten und Bodyguards. Während er sich vor der Bahn fotografieren ließ, wurde in seinem Rücken gesiebt, wer in andere Wagen einsteigen muss. Getwittert hat es Yussuf Yerkel, damals ein Berater von Erdogan. Yerkel wurde allerdings gefeuert, als er bei einer Demonstration von Bergarbeitern mit voller Wucht einen am Boden liegenden Mann trat und das Bild um die Welt ging.
Das Bild zeigt Erdogan ganz gewiss nicht beim Einkaufen von Lebensmitteln. Das Bild entstand in einer seiner schwärzesten Stunden am Rande von Protesten. Erdogan hatte in einem abgeriegelten Supermarkt Schutz gesucht vor einer pfeifenden und buhenden Menschenmenge. Erdogan soll vor der Szene in dem Foto in einer Menge von Demonstranten auch einem Mann und der Tochter eines Bergarbeiters eine Ohrfeige gegeben haben. Das 15-jährige Mädchen soll Erdogan nach Berichten türkischer Medien „Mörder meines Vaters“ genannt haben.
Erdogan war nach einem schweren Grubenunglück mit fast 300 Toten in die Stadt Soma gekommen, um zu kondolieren – und erlebte die Wut auf die Regierung. Die Toten waren allesamt die gewöhnlichen Leute, mit denen er laut Tweet die Last teilt. Der Regierung wurden Versäumnisse bei der Sicherheit und Ignorieren von Problemen vorgeworfen. Erdogans Energieminister Taner Yildiz hatte die Grube als vorbildlich gelobt, 13 Tage vor dem Unglück war die Forderung nach einer Inspektion zurückgewiesen worden.
Ein Großvater nimmt sich Zeit für seinen Enkel und lehrt ihn den Koran – wieso soll das nicht auch ein Präsident mal tun? Veröffentlicht hat es laut „Hürriyet“ zuerst die regierungsnahe Zeitung Yeni Şafak, im April, wenige Tage vor dem Referendum über das Präsidialsystem, mit der Botschaft, dass Erdogan bei all seinen Auftritten darauf achtet, dass die Familie nicht zu kurz kommt. Erdogan selbst bot zwei Tage später eine dramatischere Geschichte zu dem Bild an: Aufgenommen sei es in der Nacht des gescheiterten Putsches.
Was von Lejeune fehlt: ein Foto, auf dem Erdogan für gutes Wetter sorgt. Vor ein paar Tagen hatte er „den Mächten“ vorgeworfen, die Türkei als Experimentierfeld für Wettermanipulationen zu nutzen, um der Türkei zu schaden. Spätestens seither sehen manche Nutzer auf Twitter in seinen Beiträgen pure Satire und folgen ihm des Unterhaltungswerts wegen. (law)
*In einer früheren Fassung hatten wir an dieser Stelle berichtet, Lejeune habe den Holocaust geleugnet und sich dann entschuldigt. Diese Darstellung war nicht zutreffend.