Mitglieder der Bundesregierung haben die Angehörigen der Opfer der rechtextremistischen Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund um Entschuldigung gebeten. „Wir empfinden Scham“, sagte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) nach einer Sitzung der Justiz- und Innenminister von Bund und Ländern in Berlin. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) erklärte: „Wir müssen uns für all diejenigen entschuldigen, die einen Fehler gemacht haben – wer immer sie sein mögen und wo immer sie sein mögen.“
Die Bundesregierung hat mit diesen Äußerungen eingestanden, dass die Maßnahmen gescheitert sind, die bisher rechtsextreme Taten verhindern sollten. Bis Anfang des Monats war nicht bekannt, welche Ausmaße rechtsextremer Terror in Deutschland tatsächlich hat. Nach einem Wohnungsbrand in Zwickau und dem Fund zweier Leichen in einem Wohnmobil in Eisenach entdeckten die Fahnder nach und nach eine rechte Terrorzelle. Der harte Kern bestand demnach aus Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe. Sie werden für zehn Morde an türkisch- und griechischstämmigen Kleinunternehmern sowie einer Polizistin in Heilbronn verantwortlich gemacht. Zudem sollen sie zahlreiche Banken überfallen haben.
Böhnhardt und Mundlos haben sich nach Erkenntnissen der Ermittler in dem Wohnmobil gegenseitig umgebracht. Zschäpe hat die letzte Wohnung der drei in Zwickau angezündet und sich nach einer Flucht bei der Polizei gestellt. Sie schweigt. Einen Unterstützer, Holger G., nahm die Polizei in Lauenau westlich von Hannover fest. Nach zwei weiteren Unterstützern aus Thüringen wird gesucht.
Im Zusammenhang mit dem Fall sind dubiose Verbindungen des Verfassungsschutzes Thüringen und seiner V-Leute bekannt geworden. Auch ein V-Mann des hessischen Verfassungsschutzes spielt eine undurchsichtige Rolle. Zudem gab es zahlreiche Fahndungspannen, vor allem Ende der 90er-Jahre und 2006.
Die Bundesregierung will ähnliche Fälle jetzt verhindern. Die Sicherheitsbehörden sollen besser zusammenarbeiten, Informationen – nach dem Vorbild des Kampfs gegen den islamistischen Terrorismus – schneller und effektiver ausgetauscht werden. Dazu soll eine zentrale Verbunddatei und ein „Abwehrzentrum rechts“ entstehen, wie Bundesinnenminister Friedrich ankündigte. Bundeskriminalamt und Bundesverfassungsschutz werden dabei enger verzahnt. Bisher ist der Bundesverfassungsschutz auf Hinweise der Landeskollegen angewiesen. Er selbst kann deren Dateien nicht einsehen. Um dies zu ermöglichen, muss der Bundestag Paragraf6 des Bundesverfassungsschutzgesetzes ändern.
Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger drängt die Länder zudem, ihre Verfassungsschutzämter zusammenzulegen. Statt über 16Landesämter könne man auch über drei oder vier nachdenken, sagte sie der „Süddeutschen Zeitung“. Im Fall der rechtsextremen Terrorzelle von Zwickau habe das Alarmsystem gegen rechts nicht funktioniert. „Wir haben einen Skandal, der sich ausweitet“, sagte sie. „32Landeskriminal- und Verfassungsschutzämter haben es nicht geschafft, eine rechtsextreme Mordserie zu verhindern.“ Die Verfassungsschutzberichte seien offensichtlich unzureichend gewesen.
Forderung nach NPD-Verbot
Sowohl Bundesinnenminister Friedrich als auch Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger bleiben in der Frage, ob die rechtsextreme NPD verboten werden soll, zurückhaltend. Es dürfe „auf gar keinen Fall passieren“, dass ein solches Verfahren noch einmal „sehenden Auges“ scheitere, sagte die FDP-Politikerin. 2001 hatten die Bundesregierung unter Gerhard Schröder (SPD) sowie Bundestag und Bundesrat beim Bundesverfassungsgericht beantragt, die Verfassungsmäßigkeit der NPD zu überprüfen, um sie verbieten zu können. Das Gericht stellte das Verfahren 2003 ein, als bekannt wurde, dass die Partei von V-Leuten durchsetzt ist. Die Initiative ging damals von Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) aus.
Nun fordert vor allem Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) ein rasches Verbotsverfahren. Er erwarte jetzt „von allen Beteiligten, dass ein verfassungsfestes NPD-Verbot vorbereitet wird“, sagte er der „Wirtschaftswoche“. Jetzt sei im Kampf gegen den Rechtsextremismus „die Repression gefragt“.
Der schleswig-holsteinische SPD-Vorsitzende Ralf Stegner warnte vor zu hohen Erwartungen an ein NPD-Verbot. Er schlug vor, ein solches Verfahren erst zu beginnen, wenn sichergestellt ist, dass V-Leute in führenden Positionen nicht mehr tätig sind. „Im Zweifel müssen wir mit dem an sich sinnvollen Verbotsverfahren erst ein halbes Jahr später beginnen“, sagte Stegner. „Ein NPD-Verbot hätte diese Anschläge nicht verhindert“, sagte der ehemalige Innenminister des Landes.
Deutsche Politiker türkischer Herkunft haben von der Bundesregierung inzwischen deutlich mehr Einsatz gegen rechtsextremes Gedankengut gefordert. Mehrere Abgeordnete von Europa-, Bundes- und Landesparlamenten unterzeichneten einen parteiübergreifenden Aufruf. Darin hieß es: „Weit über zehn Prozent der Bevölkerung vertreten rechtsextreme Meinungen. Diese zu ändern und zu bekämpfen bedarf es einer deutlichen Ächtung und einer Vielzahl von Maßnahmen.“
Zu den Unterzeichnern gehören bisher fast 20 Politiker von SPD, Grünen und Linker, unter ihnen Ekin Deligöz, Fraktionsvize der Grünen im Bundestag, und der SPD-Europaparlamentarier Ismail Ertug. Man müsse „das Übel an der Wurzel“ packen.