Silvana Koch-Mehrin hat ihren Doktortitel verloren. Die Politikerin rechtfertigte sich öffentlich - nun kommt Widerspruch, von ihrem Doktorvater. Der wehrt sich dagegen, dass Koch-Mehrin den Eindruck erweckt, er habe von den Plagiaten gewusst und die Arbeit durchgewunken.

Die Dissertation („Historische Währungsunion zwischen Wirtschaft und Politik: Die Lateinische Münzunion 1865–1927“) war "kein Meisterwerk", meint die Autorin. Sie habe darum auch nur eine mittelmäßige Note bekommen für ihre Arbeit, "cum laude" nämlich (was allerdings eigentlich für eine nicht hervorragende, aber doch überdurchschnittliche Leistung steht), und das wohl "eher für den Fleiß als für die Sorgfalt" - so steht es in der Erklärung, die Silvana Koch-Mehrin (FDP) verbreitete, nachdem die Universität Heidelberg ihr die Doktorwürde aberkannte.

Dass die Dissertation nicht gut war, hätten allerdings alle gewusst - nicht zuletzt der Promotionsausschuss, so Koch-Mehrin. der nämlich sei von ihrem Doktorvater, dem inzwischen emeritierten Historiker Volker Sellin, in einem überaus kritischen Gutachten dargelegt worden. Den Doktortitel habe sie dennoch bekommen - als Subtext lässt sich hier lesen: Wenn die Arbeit seinerzeit, trotz deutlicher Warnungen, als Doktortitelfähig eingestuft wurde, dann kann das heute doch kaum anders sein.

Allerdings wiederspricht Sellin der Argumentation von Koch-Mehrin. Dem " Tagesspiegel " (Freitagausgabe) sagte Sellin, die FDP-Politikerin erwecke in ihrer Rechtfertigung den Eindruck, er habe seinerzeit von Plagiaten in der Dissertation gewusst - was nicht der fall gewesen sei: „Ich habe damals selbstverständlich nicht geahnt, dass sie abgeschrieben hat und habe dies daher mit meiner Kritik an ihrer Arbeit auch nicht ausdrücken können.“ Was im Jahr 2000 an Koch-Mehrins Arbeit bemängelt wurde, sagt Manfred Berg, Dekan der Philosophischen Fakultät und Vorsitzender des Promotionsausschusses, bezog sich "auf inhaltliche und formale Fehler, die überhaupt nichts mit dem Vorwurf eines Plagiats zu tun hatten“.

Tatsächlich ist das einer der zentralen Vorwürfe: Koch-Mehrin soll abgeschrieben und die Quellen verborgen haben. Von der Universität Heidelberg heißt es nach der Prüfung der im Jahr 2000 vorgelegten Dissertation: „Auf rund 80 Textseiten der Dissertation finden sich über 120 Stellen, die nach Bewertung des Promotionsausschusses als Plagiate zu klassifizieren sind. Diese Plagiate stammen aus über 30 verschiedenen Publikationen, von denen zwei Drittel nicht im Literaturverzeichnis aufgeführt worden sind.“

Von "Plagiat" allerdings will Silvana Koch-Mehrin nicht sprechen oder schreiben, und darum findet sich dieses Wort in ihrer Rechtfertigung nicht ein einziges Mal. Sie schreibt: "Dass meine Doktorarbeit kein Meisterstück ist, weiß ich bereits seit elf Jahren." Ihre Arbeit sei "nicht frei von Schwächen, nicht selten ungenau, oberflächlich und manchmal geradezu fehlerhaft". Und weiter: "Es wäre auch zu wünschen gewesen, dass ich deutlich gemacht hätte, auf welche Literatur ich mich jeweils stütze. Es werden Aussagen gemacht, ohne dass auch nur ein einziger Beleg genannt würde."

Koch-Mehrin vermeidet das Wort "Plagiat"

In der Erklärung von Koch-Mehrin wird, anders als in der Mitteilung der Universität Heidelberg, das Wort "Plagiat" nicht ein Mal benutzt. Vielmehr behauptet Koch-Mehrin, das, was sie mit "Schwächen" oder "fehlerhaft" beschreibt, sei dem Promotionsausschuss seinerzeit bekannt gewesen: "Dies alles ist aber auch der Universität Heidelberg seit elf Jahren bekannt. Denn alle diese Worte finden sich im Erstgutachten meines Doktorvaters. Seinen hochkritischen Ausführungen hat sich der Zweitgutachter ausdrücklich angeschlossen."

Ihre Argumentation: Der Promotionausschuss habe ihre Dissertation seinerzeit eines Doktortitels würdig befunden, obowhl er darauf aufmerksam gemacht worden sei, dass die Arbeit eine schwache Leistung war. Ihr Doktorvater, so Koch-Mehrin, habe sich in seinem Gutachten so kritisch geäußert, "dass bei den Mitgliedern des Promotionsausschusses im Jahr 2000 alle Alarmglocken geklingelt haben und meine Arbeit einer besonders kritischen Untersuchung unterzogen wurde“.

Koch-Mehrins Erklärung lässt sich so interpretieren: Ich wusste, dass die Arbeit schwach ist. Andere wussten es auch. Damals haben sie mir trotzdem den Doktortitel gegeben. Und was damals für einen Doktortitel ausgereicht hat, kann doch heute nicht zu wenig sein. Koch-Mehrin selbst, so jedenfalls steht es in ihrer Mitteilung, ist der Auffassung, "die wissenschaftlichen Ergebnisse meiner Arbeit" seien "bis heute unstrittig und beruhen auf meiner eigenen wissenschaftlichen Leistung".

Koch-Mehrin hatte zunächst geschwiegen, als die Plagiatsvorwürfe laut wurden. Am 11. Mai 2011 zog sie Konsequenzen und legte ihr Amt als Vorsitzende der FDP im EU-Parlament nieder. Fortan hatte sie auch nicht mehr dem FDP-Präsidium angehört. Auch den Posten als Vizepräsidentin des Parlaments gab Koch-Mehrin ab – allerdings nicht das Abgeordnetenmandat selbst.

Anstoß aus dem Internet

Der Anstoß zur Untersuchung der Dissertation von Koch-Mehrin kam von der Internet-Plattform Vroniplag . Vroniplag ist ein sogenanntes "Wiki", dessen Nutzer Inhalte lesen, hinzufügen und auch bearbeiten können. Laut Vroniplag finden sich in der Dissertation Koch-Mehrins auf einem Drittel der uintersuchten Seiten unterschiedlich schwerwiegende Plagiate. Auf der Plattform wurden von einer Vielzahl von Internet-Nutzern mutmaßliche Plagiate in der Dissertation untersucht. Ursprünglich war Vroniplag eingerichtet worden, um die Dissertation "Regulierung im Mobilfunk" von Veronica Saß zu untersuchen. Die Universität Konstanz hat der Tochter des früheren bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU) den Doktortitel inzwischen aberkannt.

Vroniplag legt dabei die selben Maßstäbe an wie das Wiki GuttenPlag , dessen Veröffentlichungen letztlich zum Rücktritt von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) führten. Dabei werden angeblich kopierte Passagen aus Koch-Mehrins Dissertation und die mutmaßlichen Originale gegenübergestellt. Die Verdachtsfälle werden untersucht, mutmaßliche Plagiate anschließend abhängig vom Ausmaß der angeblichen Kopie in verschiedene Klassen eingeteilt, vom "Komplettplagiat" über die "Verschleierung" (umformulierte Orginialtexte, deren Urheber nicht angegeben wurden) bis hin zum "Bauernopfer" (der Urheber wird nur für einen unbedeutenden Textteil ausgewiesen, während wesentliche Passagen ohne Nennung übernommen wurden).

Der aktuelle Stand bei Vroniplag datiert vom 25. Mai: Auf 69 von 201 reinen Textseiten (Inhalts- und Literaturverzeichnis wurden von der Untersuchung ausgenommen) finden sich demnach Plagiate, ein Anteil von 34,33 Prozent. In einem Zwischenbericht vom 19. Apr il (PDF) , in dem noch von 56 Seiten mit mutmaßlichen Kopien die Rede ist, hatten die Macher von Vroniplag die Vermutung geäußert, Koch-Mehrin habe bewusst getäuscht: "Die zahlreichen textuellen Anpassungen der Plagiate sowie die Tatsache, dass Plagiate über die gesamte Dissertation hinweg zu ?nden sind, lassen darauf schließen, dass die Textübernahmen kein Versehen waren, sondern bewusst getätigt wurden." Demnach hat sich Koch-Mehrin bei 15 verschiedenen Quellen bedient. Dabei handele es sich "auffallend häu?g um Artikel aus Handbüchern der Wirtschaftswissenschaft und der Wirtschafts- und Sozialgeschichte". Die Universität Heidelberg kam nun mit 120 Plagiats-Stellen auf 80 Seiten und 20 ungenannten Quellen auf noch höhere Zahlen.

"Hat sich fremdes geistiges Eigentum angeeignet"

„Wir haben uns diese Entscheidung wirklich nicht leicht gemacht, sondern wir haben im Gegenteil mit uns gerungen“, sagte Manfred Berg, der als Vorsitzender des Promotionsausschusses die Dissertation Koch-Mehrins zur Prüfung auf den Tisch bekommen hatte. Für eine Hochschule sei es immer „schmerzlich“, wenn sie einem Absolventen den Doktortitel entziehen müsse. „Aber nach Lage der Dinge konnten wir zu keinem anderen Ergebnis kommen.“

Der FDP-Europapolitikerin wurde das am Mittwoch mitgeteilt, so wie man sie auch zuvor stets über den Stand des Verfahrens und die einschlägigen Bestimmungen der Promotionsordnung unterrichtet habe. Das allerdings hatte keinen Einfluss auf die Untersuchung, die, wie die Beteiligten betonen, „unabhängig“ und „ohne Ansehen der Person“ erfolgt sei. Das gesichtete Material belegt demnach, dass die im Jahre 2000 vorgelegte Arbeit „in substanziellen Teilen aus Plagiaten besteht“.

Die Quantität und Qualität der nachweisbaren Plagiate lege zwingend den Schluss nahe, dass diese Dissertation keine „selbstständige wissenschaftliche Arbeit“ im Sinne der Promotionsordnung der Fakultät und des Landeshochschulgesetzes Baden-Württemberg darstelle. „Angesichts der Vielzahl und des systematischen Charakters der Plagiate kann kein Zweifel daran bestehen, dass sich Frau Koch-Mehrin in ihrer Dissertation fremdes geistiges Eigentum angeeignet und als das eigene ausgegeben hat.“ Damit sei die Aushändigung der Doktorurkunde aufgrund schwerwiegender falscher Angaben über die Eigenständigkeit der erbrachten wissenschaftlichen Leistung erfolgt. Das habe zur Folge, dass der Doktorgrad zu entziehen sei.