Morgenpost Online: Welche Rolle spielen Imame in der fundamentalistischen Szene in Deutschland?
Rauf Ceylan: Es gibt einige wenige Hassprediger in Deutschland, sie sind in der Regel jung, eloquent, sprechen gut Deutsch. Sie formieren sich meist außerhalb des organisierten Islam, also nicht in Moscheevereinen. Sie haben meist kein Theologiestudium absolviert, vereinfachen den Islam extrem – und haben ein hohes Mobilisierungspotenzial gegenüber Jugendlichen.
Morgenpost Online: Wie viele fundamentalistische Muslime gibt es in Deutschland?
Ceylan : Die überwältigende Mehrheit der 4,2 Millionen Muslime ist natürlich friedliebend. Laut Verfassungsschutz sind etwa ein Prozent der Muslime extremistisch. Aber die Anzahl ist hier meines Erachtens nicht wichtig. Wenn auch nur einer davon den „tipping point“ überschreitet und zur Waffengewalt greift, dann ist das gefährlich. Ob es fünf oder zehn Leute sind – es ist immer ein asymmetrischer Kampf.
Morgenpost Online: In welchem Milieu findet eine Radikalisierung statt?
Ceylan: Manche radikale Jugendliche geraten in die Fänge von sogenannten Cyber-Imamen, die in englischer oder arabischer Sprache virtuelle terroristische Trainingslager anbieten. Zielgruppe sind junge Männer unter 30 Jahren.
Morgenpost Online: Nach den jüngsten Terrorwarnungen hat ein Imam in Bayern potenzielle islamistische Gewalttäter zur Umkehr aufgerufen. Distanzieren sich deutsche Imame klar genug vom Terror?
Ceylan: Politik hat in einer Moschee nichts verloren, Personen, die durch politische Ideologien auffallen, bekommen in der Regel Hausverbot. Die Mehrheit der Imame predigt einen konservativen Islam, das sind etwa 70 Prozent. Unter den 2000 Imamen sind Fundamentalisten eine kleine Minderheit. Denen müssen wir eloquente, deutschsprachige Imame entgegensetzen, die wir ab sofort an deutschen Universitäten ausbilden. Extremismusbekämpfung müsste in das pädagogische Konzept von Moscheen aufgenommen werden.
Morgenpost Online: Immunisieren islamische Religionslehrer ihre Schüler ausreichend gegen Terror?
Ceylan: Sie klären auf, aber meiner Meinung nach sollte das Problem im Religionsunterricht aller Konfessionen behandelt werden, denn es betrifft nicht nur muslimische Jugendliche. Eric B. ist ja etwa Deutscher und wurde in afghanischen Terrorcamps geschult. Auch die Kofferbomber und die Sauerlandgruppe sind in der westlichen Gesellschaftsordnung aufgewachsen.