Silvana Koch-Mehrin, Karl-Theodor zu Guttenberg, Veronica Saß - zwei Internetplattformen haben Dissertationen untersucht und mutmaßliche Kopien gefunden. Der Vergleich zeigt vor allem die unterschiedlichen Dimensionen der Dreistigkeit.

Auf den Plattformen Guttenplag und Vroniplag - sogenannte "Wikis", deren Nutzer Inhalte lesen und auch bearbeiten können - haben Internet-Nutzer mutmaßliche Plagiate in den Dissertation von Karl-Theodor zu Guttenberg, Veronica Saß und Silvana Koch-Mehrin untersucht. Dabei werden angeblich kopierte Passagen aus Koch-Mehrins Dissertation und die mutmaßlichen Originale gegenübergestellt. Die Verdachtsfälle werden untersucht, mutmaßliche Plagiate anschließend abhängig vom Ausmaß der angeblichen Kopie in verschiedene Klassen eingeteilt, vom "Komplettplagiat" über die "Verschleierung" (umformulierte Originaltexte, deren Urheber nicht angegeben wurden) bis hin zum "Bauernopfer" (der Urheber wird nur für einen unbedeutenden Textteil ausgewiesen, während wesentliche Passagen ohne Nennung übernommen wurden).

Dargestellt werden die Fundstellen nach Menge und Schwere der mutmaßlichen Kopie in Barcodes. Der Vergleich:

Legende:

  • SCHWARZ Guttenberg : Seiten, auf denen Plagiate gefunden wurden, Koch-Mehrin, Saß : verifizierte Plagiate
  • DUNKELROT = Koch-Mehrin, Saß : Mehr als die Hälfte der Seite plagiiert
  • ROT: Guttenberg : Seiten mit Plagiaten aus mehreren Quellen, Koch-Mehrin, Saß : Mehr als 75 % der Seite plagiiert
  • WEISS = Seiten, auf denen bislang keine Plagiate gefunden wurden
  • BLAU = Seiten, die nicht bei der Berechnung der Plagiate-Quote einbezogen wurden (Inhaltsverzeichnis, Literaturverzeichnis u.ä.)

Zu Guttenberg: Plagiate auf 94 Prozent der Seiten

Laut Guttenplag wurden (Stand vom 3. April) mutmaßliche Plagiate auf insgesamt 371 von 393 Seiten der Doktorarbeit von Karl-Theodor zu Guttenberg („Verfassung und Verfassungsvertrag. Konstitutionelle Entwicklungsstufen in den USA und der EU“) gefunden. Das umfasst den reinen Text der Arbeit, Inhaltsverzeichnis, Anhänge, Literaturverzeichnis und Stichwortverzeichnis - Inhalts- und Literaturverzeichnis wurden nicht untersucht. Bei Zählung der Seiten ergab sich somit nach Bewertung der Macher des GuttenPlag-Wiki eine Quote von 94,4 Prozent an Seiten, auf denen mutmaßlich Plagiate zu lesen sind. Gezählt wurden 1218 Plagiatsfragmente aus mehr als 120 verschiedenen Quellen, die nach Angaben von GuttenPlag auf Plausibilität geprüft wurden.

Die Macher des Guttenplag-Wikis hatten die mutmaßlichen Plagiate noch genauer zugeordnet, nämlich nach Zeilen. Den Angaben zufolge weist die Dissertation des zurückgetretenen Verteidigungsministers nach den Maßstäben der Internet-Aktivisten mehr als die Hälfte (63,8 %) Plagiate auf. Auch fanden die Plagiate-Sucher zahlreiche "verschleierte Plagiate“, also umformulierte fremde Passagen, die „keinesfalls durch vergessene Anführungszeichen entstanden“ seien. Auch wurden Übersetzungen erstellt, ohne die Quelle zu nennen. Hinzu kämen weitere Stellen, an denen etwa eine Fußnote angegeben worden sei, die sich jedoch auf einen unbedeutenden Teil des Originaltexts beziehe, während größere Abschnitte daraus ohne Zitatnachweis übernommen worden seien.

Koch-Mehrin: Plagiate auf über 30 Prozent der Seiten

In der Dissertation "Historische Währungsunion zwischen Wirtschaft und Politik" von Silvana Koch-Mehrin finden sich laut Recherchen der Internet-Plattform Vroniplag finden sich in der Dissertation auf 63 von 201 reinen Textseiten (ohne Inhalts- und Literaturverzeichnis) unterschiedlich schwerwiegende Plagiate, ein Anteil von 31,34 Prozent. Vroniplag legt dabei dieselben Maßstäbe an wie das Wiki GuttenPlag . In einem Zwischenbericht vom 19. Apr il (PDF) , in dem noch von 56 Seiten mit mutmaßlichen Kopien die Rede ist, hatten die Macher von Vroniplag die Vermutung geäußert, Koch-Mehrin habe bewusst getäuscht: "Die zahlreichen textuellen Anpassungen der Plagiate sowie die Tatsache, dass Plagiate über die gesamte Dissertation hinweg zu ?nden sind, lassen darauf schließen, dass die Textübernahmen kein Versehen waren, sondern bewusst getätigt wurden." Demnach hat sich Koch-Mehrin bei 15 verschiedenen Quellen bedient. Dabei handele es sich "auffallend häu?g um Artikel aus Handbüchern der Wirtschaftswissenschaft und der Wirtschafts- und Sozialgeschichte". Koch-Mehrin ist inzwischen von allen politischen Ämtern zurückgetreten, bleibt aber Europaabgeordnete. Zu den Vorwürfen schweigt sie, eine Bewertung der Universität Heidelberg steht noch aus. Für die Prüfung der Plagiatsvorwürfe „durch den Promotionsausschuss der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg ist der Rücktritt der Politikerin von allen Führungsämtern ohne jegliche Bedeutung“, erklärte die Hochschule. Unabhängig von der individuellen Tragweite der Entscheidung Koch-Mehrins folge das zur Zeit laufende Prüfverfahren allein und ausschließlich wissenschaftlichen Kriterien, sagte der Vorsitzende des Promotionsausschusses und Dekan der Fakultät, Manfred Berg. Es werde „von Beginn an ohne Ansehen der Person und ohne Berücksichtigung ihrer gesellschaftlichen oder politischen Rolle durchgeführt“.

Saß: Plagiate auf über 53 Prozent der Seiten

Die Dissertation "Regulierung im Mobilfunk" von Veronica Saß war Anlass zur Gründung von Vroniplag - daher hat das Wiki seinen Namen. Veronica Saß ist Rechtsanwältin und die Tochter des ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU). Saß hat ihre Dissertation 2008 an der Uni Konstanz eingereicht. Die Macher von Vroniplag untersuchten in der Arbeit von Saß die 328 reinen Textseiten (ohne Inhalts- und Literaturverzeichnis) und fanden mutmaßliche Plagiate auf insgesamt 190 Seiten, was einem Anteil von 53,98 Prozent entspricht. Laut VroniPlag erstreckt sich eines der mutmaßlichen Plagiate fast durchgängig über fast 40 Seiten - eine wortwörtliche Übernahme. Sogar Überschriften, die Gliederung und die Quellenarbeit sollen mitkopiert worden sein. Inzwischen hat die Universität Konstanz Saß den Doktortitel aberkannt. Saß ließ mitteilen, den Entschluss der Hochschule nicht hinnehmen zu wollen . Ihre Münchner Rechtsanwälte erklärten, die Entscheidung der Uni Konstanz sei falsch. Man werde sie vor den Verwaltungsgerichten anfechten. Saß sei nicht die Möglichkeit gegeben worden, „nach der bevorstehenden Geburt ihres Kindes persönlich vor dem Promotionsausschuss Stellung zu nehmen“.