Brandenburg

Stasi-Spitzel drängen für Linke in die Parlamente

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Martin Lutz und Uwe Müller

Foto: Tom Ücker, Infografik Morgenpost Online / Tom Ücker, Infografik Morgenpost Online/Infografik Morgenpost Online

In Brandenburg kandidieren acht Zuträger der DDR-Staatssicherheit auf den Listen der Linkspartei für Bundes- und Landtag. Eine derart hohe Zahl gibt es in keinem anderen Bundesland. Dass die SPD darüber nachsichtig hinwegsieht, hat Tradition: Der langjährige Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) pflegte auch Stasi-Kontakte.

Brandenburg steht im Ruf, eine „kleine DDR“ zu sein. Nach dem politischen Umbruch vor 20 Jahren konnten dort zahlreiche Stützen der Diktatur ihre Karrieren nahtlos fortsetzen. Mit diesem Umstand werden am Sonntag auch die Bürger in der Wahlkabine konfrontiert. Wenn sie ihre Stimmzettel für die Bundes- und Landtagswahl ausfüllen, stoßen sie bei der Linkspartei auf die Namen von mindestens acht Kandidaten mit Stasi-Vergangenheit. Eine derart hohe Zahl gibt es in keiner anderen Partei und in keinem anderen Bundesland.

In Sachsen können Mitarbeiter des DDR-Geheimdienstes aus dem Landtag ausgeschlossen, in Thüringen für „parlamentsunwürdig“ erklärt werden. Auf solche Vorkehrungen hat Brandenburg verzichtet. In dem Land hat die Linkspartei, einzigartig in der Republik, gleich ihre beiden höchsten politischen Ämter an ehemalige Stasi-Spitzel vergeben. Fraktionschefin Kerstin Kaiser, die als Spitzenkandidatin für den Potsdamer Landtag antritt, war einst IM „Kathrin“. Ebenso wie sie ließ sich der Parteivorsitzende Thomas Nord, der jetzt erstmals in den Berliner Reichstag einziehen will, vom Ministerium für Staatssicherheit als nebenberuflicher Denunziant anwerben.

Bundesweit bekannter sind die Genossen André Brie (Deckname IM „Peter Scholz“) und Rolf Kutzmutz (IM „Rudolf“), die sich als Direktkandidaten um ein Mandat im Bundestag bewerben. Der stellvertretende PDS-Bundesvorsitzende und „Vordenker“ Brie musste sich 1992 vorübergehend zurückziehen, nachdem seine fast zwei Jahrzehnte währende IM-Laufbahn publik geworden war. Kutzmutz hingegen war in der Partei stets für höhere Aufgaben gut. Daran änderte sich nichts, als der Immunitätsausschuss des Bundestages 1998 seine Verstrickung förmlich feststellte.

In den Potsdamer Landtag strebt Axel Henschke. Er wäre 2002 beinahe Oberbürgermeister seiner Heimatstadt Frankfurt/Oder geworden. Als Stasi-Wachsoldat hatte er dort einst unter anderem auf „Republikflüchtlinge“ im MfS-Untersuchungsgefängnis aufgepasst, später spitzelte er als IM „Ingolf Köhler“. Ehemalige politische Häftlinge des SED-Regimes sind empört. „Die Linkspartei verhöhnt mit ihrer Personalpolitik die Stasi-Opfer“, sagt Hugo Diederich von der Vereinigung Opfer des Stalinismus.'

SPD mit Nachsicht

Akten aus der Birthler-Behörde belasten den Deutschlehrer Joachim Pfützner, der ebenfalls in den Landtag will. Zwar ist keine Verpflichtungserklärung vorhanden, doch der Pädagoge lieferte handschriftliche Berichte. Sie signierte er ebenso mit dem Decknamen „Meyer“ wie eine Quittung über eine Geldzuwendung. Das MfS lobte „gute Ergebnisse“. Landtagskandidatin Ursel Degner aus Henningsdorf hatte einst Kommilitonen im Studentenwohnheim ausgespäht. In ihrer Verpflichtungserklärung versprach IM „Christiane“, sie werde die vom MfS gestellten Aufgaben „gewissenhaft ausüben“.

Ein einflussreicher Mann im Potsdamer Parlament ist Hans-Jürgen Scharfenberg. Der innenpolitische Sprecher seiner Fraktion hatte sich 1978 als IM „Hans-Jürgen“ zur „inoffiziellen Zusammenarbeit mit dem MfS“ verpflichtet. Als Assistent an der Akademie für Staat und Recht in Potsdam-Babelsberg, der zentralen Kaderschmiede der DDR, berichtete Scharfenberg kontinuierlich aus dem Innenleben der Einrichtung und schwärzte auch Kollegen an. Im Falle eines Wahlsieges der Linken soll er Nachfolger des scheidenden Innenministers Jörg Schönbohm (CDU) werden.

Die brandenburgische SPD hat über derartige Verstrickungen immer wieder mit großer Nachsicht hinweggesehen. Das geht auf den ehemaligen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe zurück, der selbst Stasi-Kontakte gepflegt hatte und dem Aufklärung wohl deshalb nicht sonderlich am Herzen lag. Sein Nachfolger Matthias Platzeck (SPD) setzt dessen Linie fort. Vorwürfe gegen Stasi-Schergen deutet er mitunter als „Herumgehacke auf den Ossis“. Vielleicht auch, weil Platzeck ein Bündnis mit der Linken, laut jüngsten Umfragen mit 27 Prozent auf Platz zwei hinter der SPD, durchaus als „Option“ ansieht.

Seine mögliche Koalitionspartnerin Kerstin Kaiser verbreitet auf ihrer Internetseite sogar ein Platzeck-Zitat zu ihrer Entlastung. Es lautet: „Im Jahre 2009 sind zwei Jahrzehnte seit unserer friedlichen Revolution vergangen. Und wer sich 20 Jahre ernsthaft bemüht hat, unser Gemeinwesen zu gestalten und die Demokratie voranzubringen, hat ein Recht darauf, dass seine gesamte Lebensleistung gewürdigt wird.“ Ihren Schutzpatron lässt Kaiser noch damit zu Wort kommen, dass nicht ausgegrenzt werden dürfe, „wer offen zu seiner Vergangenheit steht“.

Der vermeintlich offene Umgang entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Märchen. Kaiser hat nach dem Zusammenbruch der DDR öffentlich nur das eingeräumt, was ohnehin schon bekannt geworden war. In den eigenen Reihen kam das zunächst überhaupt nicht gut an. Mitten im Bundestagswahlkampf 1994 warf ihr das damalige PDS-Vorstandsmitglied Karin Dörre vor, „die Partei über das wahre Ausmaß ihrer Stasi-Zuträgerei belogen“ zu haben. Kaiser müsse abtreten, sonst werde Mauschelei mit dem MfS „endgültig eine Empfehlung für Spitzenämter“ in der PDS, die bloß vorgebe, eine „Partei der Erneuerung“ zu sein.

Doch Kaiser dachte nicht an Rücktritt. Vielmehr ließ sie sich von dem Anwalt und CDU-Politiker Peter-Michael Diestel eine angeblich „sehr geringe Verstrickung“ mit dem MfS-Apparat bescheinigen. Erst als sie von fast allen ihren Fraktionskollegen im Bundestag zum Mandatsverzicht aufgefordert worden war und der Schriftsteller Stefan Heym zudem drohte, nicht neben einer Denunziantin Platz nehmen zu wollen, zog sie sich zurück. Später erklärte Kaiser ihren Genossen den perfekten Umgang mit der Geschichte: „Wir haben gelernt, dass es allemal besser ist, die Dinge zu benennen, als sie unter den Teppich zu kehren. Wir haben dabei Federn gelassen und uns trotzdem kein dickes Fell zugelegt.“ In einer windungsreichen Erklärung zu ihrem Fall spricht sie von einem „Fehler“ in jungen Jahren. Wie die meisten stasi-belasteten Linken entschuldigt sich Kaiser mit keiner Silbe bei den Opfern.

Während ihres Studiums in Leningrad hatte das SED-Mitglied reihenweise Kommilitonen denunziert, etwa wegen des Tragens von unsauberen Jeans oder weil sie Westsender einschalteten. Kaiser war eifrig, sie machte auch Angaben zu Nebengeschäften eines russischen Dozenten. Die Information gelangte zum sowjetischen Geheimdienst, mit unbekannten Folgen für den Wissenschaftler. Selbst die Entlobung mit ihrem damaligen Lebenspartner berichtete IM „Kathrin“ bereitwillig. Dabei äußerte sie die Vermutung, der Freund könne von ihrer Kooperation mit dem MfS wissen. Prompt ordnete dieses eine Überprüfung an.

Experimentierfeld Brandenburg

Als die Stasi den Bund mit „Kathrin“ schon lösen wollte, bekundete diese ihren Wunsch, weitermachen zu dürfen. Anfangs habe sie die Aufgabe stolz und „wie ein Jungpionier“ übernommen, nun wünsche sie „nicht auf ein totes Gleis gestellt“ zu werden. Fünf Jahre später archivierte der Geheimdienst endgültig den Vorgang.

Der Berliner Stasi-Landesbeauftragter Martin Gutzeit sagt: „Die Beteuerung der Linken, sie habe mit der Stasi gebrochen, drückt sich nicht in ihren Personalentscheidungen aus.“ Der Mitbegründer der Ost-SPD vermutet hinter dem Antritt der Stasi-Kandidaten eine gezielte Strategie: „Die Partei versteht sich auf die Kunst grober Tabubrüche. Sie will eine Spitzelkarriere als normalen Teil einer ostdeutschen Biografie salonfähig machen.“ Brandenburg scheint dafür das ideale Experimentierfeld zu sein.