Babyklappen sollten nach Ansicht des Deutschen Ethikrates abgeschafft werden. In einer am Donnerstag veröffentlichten Stellungnahme zum „Problem der anonymen Kindesabgabe“ spricht sich die Mehrheit des von Bundesregierung und Bundestag eingesetzten Gremiums dafür aus, dass „die vorhandenen Babyklappen und bisherigen Angebote zur anonymen Geburt aufgegeben werden sollten“. Dann gäbe es an Kliniken keine Vorrichtungen mehr, in denen Neugeborene geheim abgelegt werden können. Auch wäre es nicht mehr möglich, dass Frauen unter Verheimlichung ihrer Identität in Krankenhäusern ein Kind gebären, dem seine Abstammung dann dauerhaft verborgen bleibt.
Allenfalls möglich solle eine „vertrauliche“ Geburt oder Kindesabgabe „mit vorübergehend anonymer Meldung“ sein. Dabei müsste sich die Mutter zu erkennen geben, doch würde ihr Name für maximal ein Jahr nur einer Beratungsstelle bekannt sein, nicht aber dem Standesamt. Damit will man Rücksicht auf Notlagen nehmen, in denen Frauen bei familiärem Widerstand oder bei psychischer Überforderung nicht zugeben können oder wollen, Mutter geworden zu sein.
Sechs Mitglieder des 26-köpfigen Ethikrates plädierten hingegen für die Beibehaltung anonymer Angebote. Zu ihnen zählen der frühere baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel und der Mediziner Eckhard Nagel. Empfehlungen des Deutschen Ethikrates, der als Nachfolger des Nationalen Ethikrates seit 2008 die Politik und die Öffentlichkeit bioethisch beraten soll, sind nicht bindend.
Laut Ethikrat gibt es in Deutschland rund 80 Babyklappen und etwa 130 Krankenhäuser, die anonyme Geburten anbieten. Geschätzt wird, dass seit 1999, als diese Möglichkeiten aufkamen, rund „300 bis 500 Kinder zu Findelkindern mit dauerhaft anonymer Herkunft wurden“, wie es in der Stellungnahme heißt. Neben genauen Zahlen fehlt auch eine Rechtsgrundlage für anonyme Geburten und Babyklappen, deren Anbieter, meist freie Träger, damit verhindern wollen, dass Frauen aus Angst vor dem Bekanntwerden der Geburt ihr Neugeborenes aussetzen oder gar töten.
Doch für diesen Effekt – Babyklappen verhindern Kindstötungen – gibt es laut Ethikrat keinen Beleg. Studien sprächen dagegen, dass solche Angebote „Frauen, die ihr Neugeborenes töten, erreichen“, heißt es in dem Text. Diese Frauen seien „aufgrund ihrer Psychodynamik“ gar nicht fähig, anonyme Angebote zu nutzen, sondern handelten „im Affekt, nachdem sie aufgrund der Verdrängung ihrer Schwangerschaft von der Geburt überrascht wurden und in Panik gerieten.“ So gebe es auch keine Daten über einen Rückgang der Kindstötungen seit Einrichtung der Babyklappen.
Fehlen aber Belege für die lebensrettende Wirkung der Anonymität, dann gibt es für die Ethikrat-Mehrheit auch keinen Anlass, einem Kind das Grundrecht zu nehmen, einst seine Abstammung zu erfahren – und der Mutter die Chance zu nehmen, sich später doch zum Kind zu bekennen, statt sich mit lebenslangen Vorwürfen zu plagen. Solche Gefahren darf man laut Ethikrat nicht bloß wegen der Vermutung riskieren, dass ohne Babyklappe das Kind womöglich gestorben wäre. Diese Vermutung beruhe „auf bloßer Spekulation“.
Indem der Ethikrat solche „Spekulation“ nicht gelten lässt, schlägt er einen neuen Ton in der Bioethik an, wo auch bei Sterbehilfe oder Humangenetik empirisch ungedeckte Sorgen Gesetze legitimieren sollen. Bemerkenswert ist auch, wie sehr der Ethikrat die Verantwortung für das Kind betont. „Das eigene Kind anzunehmen und sich zu ihm zu bekennen, ist die erste Pflicht der Eltern“, heißt es in dem Text, der an Babyklappen kritisiert, dass diese eine „Rechtsverletzung durch die in der Anonymität verschwindenden Eltern begünstigen, indem sie eine normal erscheinende Handlungsoption eröffnen“. Stattdessen solle man Eltern durch intensive Beratung und Hilfe die Möglichkeit geben, sich doch zum Kind zu bekennen – oder es so zur Adoption freizugeben, dass es später seine biologischen Eltern noch eruieren kann.
Dagegen erklärten am Donnerstag Anbieter von anonymen Verfahren, hieran festhalten zu wollen, etwa die EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann, deren Hannoversche Landeskirche ein „Babykörbchen“ betreibt, oder der Hamburger Verein Sternipark, laut dem der Ethikrat-Vorschlag „in Einzelfällen eine wirksame Hilfe, ja sogar Menschenleben“ gefährdet. Der Vorsitzende der Deutschen Kinderhilfe, Georg Ehrmann, warf dem Ethikrat vor, dieser habe „Praktiker nicht angehört“.
Das Bundesfamilienministerium begrüßte „wichtige Anstöße“ des Ethikrates, erklärte aber, schwangere Frauen in Not bräuchten „alle erdenkliche Hilfe und Unterstützung – auch wenn sie ihren Namen nicht preisgeben wollen.“ Zur Erhellung der Faktenlage habe man ein Forschungsvorhaben gestartet. Gespalten sind die Grünen. Laut ihrer Bundestagsabgeordneten Priska Hinz, Fraktionssprecherin für Biotechnologie, hat nun „die Politik mit den betroffenen Einrichtungen zu klären, wie die Babyklappen Schritt für Schritt aufgegeben und die Hilfe für Frauen verbessert werden können“. Hingegen erklärte die Frauenpolitikerin Monika Lazar, dass „für Mütter in einer schweren Konflikt- und Überforderungssituation die Möglichkeit einer anonymen Geburt auch weiterhin gewährt werden“ solle.