Es sei „jetzt nicht die Stunde“, um über einen Nachfolger zu reden, hatte Angela Merkel am Dienstag gesagt , als sie Karl-Theodor zu Guttenberg verabschiedete. Der Tag war es dann aber schon: Noch am Abend telefonierte die Kanzlerin von Stuttgart aus, wo sie an einer Wahlkampfkundgebung teilgenommen hatte, mit Horst Seehofer. Dem Vernehmen nach bot sie dem bayerischen Ministerpräsident schon da das Innenministerium für seine CSU an.
Ein Angebot, das dieser kaum ablehnen konnte: Dieses Ressort gilt in der Binnenlogik des politischen Betriebs als wertvoller als das Verteidigungsressorts. In den Koalitionsverhandlungen vor eineinhalb Jahren hätte die CSU es bekommen können, aber nur, wenn sie sich mit einem weiteren Ressort beschieden hätte. Nun konnte sie Inneres bekommen und zwei weitere (Verbraucher und Verkehr) behalten. Seehofer schlug also ein.
Das Angebot ergibt auch aus Merkels Perspektive Sinn: Erstens findet sie, dass sich in den Reihen der CSU schlicht niemand gefunden hätte, der einen respektablen Verteidigungsminister abgeben würde. Zweitens hätte derjenige in erster Linie an Seehofer berichtet – und nicht an sie. Die Kombination aus Illoyalität und Unfähigkeit bei einem CSU-Minister ist ihr noch in frischer Erinnerung: Wirtschaftsminister Michael Glos machte nicht nur in der Finanzkrise eine äußerst unglückliche Figur, sondern popularisierte auch noch Merkels ungeliebten Spitznamen „Mutti“, bevor er ihr und Seehofer frustriert das Amt vor die Füße warf.
Im Verteidigungsministerium aber steht jetzt zu viel auf dem Spiel. Vor allem die Bundeswehrreform , die Guttenberg politisch durchgesetzt, aber noch nicht organisiert hat. Merkels Wehr-Experten im Kanzleramt teilen die Ansicht des Zurückgetretenen, er hinterlasse ein bestelltes Haus, nur sehr bedingt. Thomas de Maizière ist hingegen der Fachmann für Verwaltung in Management in der Regierung. Anders als Guttenberg geht er kleinteilig und präzise vor. Die zu erwartenden Proteste von Lokalpolitikern gegen unabwendbare Standortschließungen wird er einfacher abtropfen lassen können als der von Sympathiewerten lebende Guttenberg. Und die CSU dürfte sich besonders freuen, dass keiner der ihren in Bayern die Kasernen schließen muss.
Umso bemerkenswerter, dass Seehofer lange keinen auftreiben konnte, der wechseln wollte. Mit Händen und Füßen wehrten sich CSU-Größen gegen die Beförderung und schoben – so weit hat der Zeitgeist die konservativere Unionsschwester erfasst – allesamt familiäre Pflichten vor. Nachdem Verkehrsminister Peter Ramsauer (jüngstes Kind: zwölf Jahre) schon am Dienstagmittag einen Wechsel ins Verteidigungsressort präventiv ausgeschlossen hatte, lehnte auch Bayerns Innenminister Joachim Hermann (jüngstes Kind: 19 Jahre) mit dem gleichen Argument das Angebot ab, obwohl Seehofer ihn lange bearbeitet hatte.
Die zweitbeste Lösung aus seiner Sicht wäre Georg Fahrenschon gewesen. Der auch in Merkels Umfeld angesehene bayerische Finanzminister (dessen Kinder tatsächlich noch klein sind) verweigerte sich aber ebenfalls. Auch in diesem Fall bemühte Seehofer wieder „familiäre Gründe“. Fahrenschon hingegen sagte ehrlich: „Wir haben ab neun Uhr intensiv miteinander gerungen.“ Für den zurückhaltenden und immer loyalen Landesminister grenzt diese Formulierung schon an ein Misstrauensvotum. Fahrenschon, der ruhig versucht, die schlingernde Landesbank in ruhigeres Fahrwasser zu bringen, und gegen eine Neuverschuldung kämpft, argumentierte damit, dass er als Volkswirtschaftler nicht der richtige Mann im Innenministerium sei. Tatsächlich will er sich bald mit einem Landtagsmandat absichern, statt von Seehofers Gnaden in Berlin Politik zu machen.
Das Innenministerium wurde also weiter angeboten wie sauer Bier: Noch um elf Uhr morgens, in der Telefonschaltkonferenz des CSU-Präsidiums, hatte Seehofer keine Zusage. So bekniete er nun noch einmal Hans-Peter Friedrich, der am Vortag auch schon Nein gesagt hatte und lieber Landesgruppenchef geblieben wäre. Dieses Nein jedoch wackelte: Friedrich ließ sich erst bitten und dann trotz drei Kindern in die Pflicht nehmen und ersparte so Seehofer die Totalblamage. Als der Bayer die Personalie dann der Bundeskanzlerin meldete, reagierte diese geradezu „verzückt“, wird von beiden Seiten berichtet.
Verständlich. Denn auf Friedrich, der ihr vor Jahren in ihrer Funktion als Fraktionsvorsitzende als Justiziar zuarbeitete, wird Merkel sich verlassen können. Auf de Maizière sowieso. Während dieser quasi zu Merkels politischer Familie gehört, ist Friedrich zumindest ein Vernunft-Merkelianer. Er glaubt, dass die CSU nicht durch Rabaukentum, wie es der bayerische Gesundheitsminister Markus Söder pflegt, beim Wähler Punkte sammelt, sondern durch konstruktive Mitarbeit. Er wird keine Kontrapunkte zur Kanzlerin setzen.
Trotzdem geht Merkel aus dieser Kabinettsumbildung nicht gestärkt hervor. Zwar wächst ihre Kontrolle wieder einmal. Alleingänge, wie sie Guttenberg noch wagte – indem er den Krieg in Afghanistan auch so nannte oder die Abschaffung der Wehrpflicht in einem Husarenstreich auf die politische Agenda setzte –, stehen nun nicht wieder zu befürchten. Das Beamtenhafte, das de Maizière anhaftet, macht ihn ungeeignet als Projektionsfläche für Wünsche und Kritik. Was schiefgeht in seinem Ressort, wird künftig deshalb schneller mit seiner Chefin in Verbindung gebracht: mit Merkel also.
Bisher hatte die Kanzlerin vermieden, mit dem Thema Afghanistan mehr als unbedingt notwendig identifiziert zu werden. Ihre Besuche dort waren spärlich und unterinszeniert. Spätestens wenn der Abzug vom Hindukusch beginnt, wird sie den Deutschen jedoch erklären müssen, ob die Verluste den jahrelangen Einsatz wert waren – auch wenn sie weder ein befriedetes noch ein demokratisiertes Land hinterlassen.
Merkel wird künftig auch in anderer Weise noch stärker gefordert: Stand Guttenberg doch für einen anderen Politikstil. Für seine zahlreichen Bewunderer lebte er quasi vor, wie eine bürgerliche Regierung auch regieren könnte. Träume von einer späteren Kanzlerschaft Guttenbergs halfen das reale Schwarz-Gelb zu ertragen. Diese Entlastungsfunktion fällt nun weg.
Deshalb meinen gerade jüngere Abgeordnete in der Unionsfraktion, Angela Merkel sei mit ihrer gestrigen Rochade zu kurz gesprungen. Sie habe die letzte Chance versäumt, im Rahmen einer großen Kabinettsreform noch einmal in die Offensive zu kommen. Erneut wird sie in dieser Legislaturperiode nicht umbauen können. Ein anderes Schwarz-Gelb wird es also auf absehbare Zeit nicht geben.