In einem alten Gebäude in Istanbuls Innenstadt büffeln junge Türken Deutsch. Keiner ist freiwillig hier, es ist der deutsche Staat, der sie auf die Schulbank zwingt. Seit zwei Jahren gilt eine neue Regel: Wer zum Ehegatten nach Deutschland ziehen will, muss außer dem Eheschein auch Deutschkenntnisse nachweisen.
Was völlig überflüssig wäre, wenn alle so wären wie eine der Kursteilnehmerinnen, die nach nur vier Wochen Unterricht jede meiner Fragen selbstbewusst beantwortet: „Ich bin hier, weil mein Mann in Deutschland lebt. Später will ich auch arbeiten. Ich bin Computeringenieur.“ Donnerwetter, so gut also sind die Kurse des Istanbuler Goethe-Instituts.
Freilich, die aufgeweckte junge Frau würde auch in Deutschland zur Bildungselite zählen, sie spricht perfekt Englisch, und auch ohne Deutschkurs hätte sie wohl kaum Schwierigkeiten, sich in Deutschland an Sprache und Lebensstil zu gewöhnen. Ömer Orhan aus demselben Kurs kann meine Fragen kaum verstehen oder beantworten. „Meine Frau Deutschland“, stückelt er endlich zusammen.
„Da haben sie die Klassenbeste und den Klassenletzten ausgesucht“, sagt die Lehrerin, ein Energiebündel namens Hülya Bilen. Eben noch hat sie mit den Schülern gesungen und getanzt, ein pädagogischer Kunstgriff, der die Männer im Raum eher verunsichert. Einer hat sich entsetzt und sehr schnell in Richtung WC verabschiedet, aber als er zurückkehrt, wird noch immer getanzt, und er muss gleich dran glauben.
So sehr sich die Pädagogen um Auflockerung bemühen, ein Spaß sind die Integrationskurse nicht. Es ist eine so große Hürde, dass sie für manche unüberwindbar ist und Fragen nach Gerechtigkeit aufwirft. Denn wer das Zertifikat will, der muss mehr als nur Deutsch lernen. Nur in wenigen Städten werden die Kurse angeboten, hauptsächlich vom Goethe-Institut in Istanbul und Ankara. Sie dauern drei Monate. Sie kosten relativ viel Geld, gemessen am Durchschnittseinkommen: rund 500 Euro. Natürlich gibt es keine Erfolgsgarantie. Und wenn man den Schein endlich hat, dann wird im Konsulat dennoch zu einem Gespräch gebeten, auf Deutsch, um zu sehen, ob der Antragsteller es tatsächlich kann. „Da sind uns schon manche zurückgeschickt worden“, sagt Kursleiter Süleyman Türk.
Separations- statt Integrationskurs
Mit anderen Worten, wer in der Provinz wohnt und arbeitet und nach Deutschland will zum Ehegatten, der muss Job und Einkommen aufgeben, unter großem finanziellen Aufwand nach Istanbul oder Ankara ziehen, scheitert vielleicht beim ersten Versuch, muss noch mal drei Monate dranhängen, und kann dann immer noch am Konsulat scheitern. Es ist eine so hohe Hürde, dass manche böse von einem Separations- statt Integrationskurs sprechen – dessen eigentliches Ziel sei es, den Zuzug für viele zu verhindern.
Sogar im Goethe-Institut selbst gab es heftige Debatten, ob die Kurse moralisch verantwortbar sind. „Manche wollten das nicht mittragen“, erinnert sich die Leiterin der Sprachabteilung, Erika Broschek. Aber nach und nach entdeckte man, dass die Kurse Sinn haben – die Teilnehmer selbst empfanden es so.
„Es ist eine große Investition, aber man kann es auch als Hochzeitsgeschenk der Familie sehen, als Investition in die Zukunft“, sagt Frau Broschek. Das Institut bemüht sich, die finanziellen und geografischen Schwierigkeiten zu verringern, Prüfer reisen in die Provinz und halten dort die Tests ab – vorbereiten kann man sich auch privat.
Die Kursleiter erzählen von den Überraschungen, die sie erleben; für manche Schüler ist der Kurs eine Chance, einer ungewünschten, vielleicht gar einer Zwangsehe zu entgehen. „Ein Mädchen wurde morgens immer vom Schwiegervater gebracht und abends abgeholt, aber eines Tages entschuldigte sie sich kurz und kam nie wieder.“ Ein Schüler, den die Lehrer als sehr gut beurteilten, gab leere Prüfungsbögen ab. „Wer hier schon einen Beruf und eine Zukunft hat, will nicht immer, was die Familie will“, sagt Süleyman Türk.
Billiger, niveauvoller, länger
Alles in allem empfinden die Schüler die Kenntnisse, die sie erwerben, als befreiend, und auch die „Bedenkzeit“, die die Kurse vor dem Umzug erzwingen, hilft manchem, sich über seine Wünsche klarer zu werden. An diesem Tag ist es so weit, 90 Prozent der Teilnehmer haben es geschafft und holen ihr Zertifikat ab. Süleyman Türk warnt jeden vor dem im Konsulat zu erwartenden Gespräch: „Macht uns keine Schande, übt vorher.“
Dilan Erken ist 18 Jahre alt, sie will nach Bremen zu ihrem Mann, der ist Schneider, sie ist Schneiderin. Das alles sagt sie auf Türkisch, weil es auf Deutsch noch nicht geht – den Test bestand sie mit 61 Prozent, 60 ist das geforderte Minimum. Selcuk Civan (71 Prozent) findet die Kurse teuer, aber gut, die Familie hat geholfen (auch bei der Brautsuche, es ist eine Cousine). „Ich Möbler“, kann er immerhin sagen, er ist Tischler. Ein anderer Absolvent (65 Prozent) findet das Kurssystem „schön und logisch“, und auf Türkisch erklärt er, was er dennoch ändern würde: billiger machen, aber dafür ein höheres Niveau mit längeren Kursen einfordern.