Migration

Koalition sucht nach idealer Zuwanderungspolitik

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Freia Peters

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Der Streit um die ideale Zuwanderungspolitik spaltet Union und FDP. Innenminister de Mazière platzte nun der Kragen.

Eigentlich ist er für seinen ausgleichenden Ton bekannt, doch in der zunehmend schriller werdenden Integrationsdebatte platzte Thomas de Maizière (CDU) jetzt offensichtlich der Kragen. „Jeder plaudert so daher, ohne sich mit der Sach- und Rechtslage zu beschäftigen“, sagte der Innenminister und ging damit nicht etwa die Opposition an, sondern vielmehr die eigenen Kollegen aus der Koalition. Ein Punktesystem für Zuwanderer brauche Deutschland nicht. „Das bestehende Recht ist sehr zuwanderungsfreundlich, wenn man es klug nutzt.“

Genau das hatte aber unmittelbar zuvor de Maizières Parteikollegin, Bildungsministerin Annette Schavan, ins Spiel gebracht, ebenso wie Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP): ein Punktesystem für Zuwanderer wie in Kanada, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen.

Das Thema Zuwanderung spaltet die Koalition, die politischen Ziele der regierenden Parteien sind nicht nur verschieden – eher diametral entgegengesetzt. Die FDP attackierte nun den bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) für seine Forderung, einen Zuzugsstopp für Zuwanderer aus der Türkei zu verhängen. FDP-Generalsekretär Christian Lindner nannte das den „Versuch, die Lufthoheit über den Stammtischen von Thilo Sarrazin zurückzugewinnen“, Wirtschaftsminister Brüderle sprach gar von „Stimmungsmache“. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte Seehofers Aussagen zunächst relativieren wollen. Nun erklärte sie „Multikulti“ für „gescheitert“.

„Die Union ist dabei zu bestimmen, ob sie eine konservative Partei ist oder nicht“, sagt Serkan Törken, integrationspolitischer Sprecher der FDP Morgenpost Online. „Ich muss dem Innenminister widersprechen: Bestehende Gesetze beinhalten keine Steuerungsinstrumente für Zuwanderung. Wo etwa ist das Kriterium eines Universitätsabschlusses festgeschrieben? Wir müssen uns die Frage stellen: Wer nützt uns?“ Auch Törken nennt als Idealvorstellung ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild. Dort gibt es einen Katalog an Forderungen, die ein idealer Einwanderer mitbringen muss, von der Sprachqualifikation über den Schulabschluss und das Einkommen.

Die ideale Zuwanderungspolitik in den Augen des Innenministers sieht anders aus. Dieser kündigte nun an, stärker gegen Integrationsunwillige vorgehen zu wollen. Künftig sollen sich Kursanbieter, Sozial- und Ausländerbehörden besser über Schwänzer von Integrationskursen informieren. Bei der Vorstellung des bundesweiten Integrationsprogramms hatte Thomas de Maizière noch gesagt, Kursabbrecher müssten eher gestärkt als bestraft werden. Nun denkt er über schärfere Sanktionen nach.

Die CSU spricht von einer Million Integrationsverweigerern in Deutschland. Einen statistischen Beleg gibt es für diese Zahl nicht. Die Bundesregierung ist gerade erst dabei, Zahlen zusammenzutragen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), zuständig für die Koordinierung der Integrationskurse, hat noch einmal nachrecherchiert. Vom 1.1.2008 bis zum 31.3.2010 wurden rund 46.000 Hartz-IV-Empfänger durch die Bundesagentur für Arbeit zur Teilnahme an einem Integrationskurs verpflichtet. 20 Prozent von ihnen traten den Kurs erst gar nicht an, zehn Prozent brachen ihre Teilnahme im Verlauf des Kurses ab. In den Augen des Bundesamtes sind nicht alle von ihnen Integrationsverweigerer: „Die Gründe, eine Teilnahme zu verweigern, sind vielfältig“, sagt Rochsana Soraya, Sprecherin des BAMF. „Die Betreuung von Familienangehörigen, eine Schwangerschaft, eine Arbeitsaufnahme – und in manchen Fällen auch Integrationsverweigerung.“ Wie viele der rund 13.800 Kursverweigerer bestraft wurden, ist nicht erfasst.

Selbst der sanften Integrationsbeauftragten Maria Böhmer (CDU) ist dieses Vorgehen zu zahm. Jüngst beklagte sie eklatante Defizite bei der Umsetzung der Integrationskurse. Die theoretisch vorhandenen Sanktionsmechanismen (Kürzung des Arbeitslosengeldes, die Auferlegung der Kursgebühren, die Nichtverlängerung des Aufenthaltsstatus) würden zu wenig genutzt. Sowohl Jobcenter als auch Ausländerbehörden kontrollierten die Kursteilnahme viel zu wenig. Die Vorgehensweise beschreibt sie so: „Etliche Ausländerbehörden drücken den Neuzuwanderern ein Faltblatt in die Hand und weisen auf die verpflichtende Kursteilnahme hin. Wenn nichts passiert, wird das ein Jahr später, wenn die Aufenthaltsgenehmigung verlängert wird, noch einmal wiederholt – das ist es nicht gerade, was ich unter kümmern verstehe.“

Innen-, Wirtschafts-, Arbeits- und Bildungsministerium sollen nun in einer Arbeitsgruppe „Fachkräftemangel“ ein Konzept erarbeiten. Das Thema soll in der nächsten Kabinettssitzung erneut debattiert werden. Das Wirtschaftsministerium will zusätzlich zum Punktesystem auch eine Herabsetzung der Einkommensgrenze für einwanderungswillige Hochqualifizierte von derzeit 66.000 Euro brutto pro Jahr auf 40.000 bis 45.000 fordern. Ein Vorschlag, der mit dem Innenministerium schwer durchzusetzen sein dürfte.

Ein Konzept aber muss her: Deutschland gehört zu dem Land mit den am niedrigsten qualifizierten Zuwanderern von allen OECD-Ländern. Gut Ausgebildete gehen, schlecht oder gar nicht Ausgebildete kommen. „So trägt Migration in Deutschland letztendlich zur Dequalifizierung der Erwerbsbevölkerung bei“, sagt Migrationsforscher Klaus Bade. Auch er plädiert dafür, sich die Einwanderer mithilfe eines flexiblen Punktesystems möglichst genau auszusuchen. In Deutschland aber herrsche die Angst vor einer Invasion – dabei ist Bade überzeugt, mit einem klaren Forderungsprofil aus Sprache, Ausbildung, Alter angeglichen an die Engpassdiagnose auf dem Arbeitsmarkt würde die Zuwanderung nicht steigen, sondern lediglich ein erwünschteres Profil bekommen.

Werbung müsse im Ausland für Deutschland gemacht werden, wie es die Amerikaner tun, die an elitären Ausbildungsinstituten mit Greencards winken und wie Angler die „Big fishes“ herausziehen – ein Szenario, von dem Deutschland weiter entfernt scheint denn je.