Strafen sollen vor der Verwestlichung stoppen: Jetzt lockt die Polizei Autofahrer mit einer Prostituierten-Puppe in die Falle.

Auf einer Autobahn östlich der iranischen Hauptstadt Teheran steht eine lebensecht wirkende Puppe, die in Frauenkleider gehüllt ist. Selbstverständlich in islamisch korrekter Kleidung – sprich den Körper mit einem Mantel und das Haar mit einem Schal bedeckt. Schließlich halten sich an dieses Verhüllungsgesetz sogar Frauen, die illegal der Prostitution nachgehen. Eine Art Straßenstrich gibt es im Iran trotz Verbots – nur dass die Damen dort zunächst züchtig auftreten, um sich zu schützen.

Wer allerdings in diesen Tagen auf die Frauenpuppe hereinfällt, indem er anhält, sie laut anhupt oder ihr auch nur ein Zeichen mit der Lichthupe gibt, der ist der Polizei ins Netz gegangen. Die bezichtigt den Autofahrer dann des Verdachts der illegalen Prostitution und beschlagnahmt sein Fahrzeug. Gegen Zahlung einer Geldstrafe kann er es erst Tage später wieder abholen.

Ähnlich geht es jungen Pärchen und Frauen, die nach Vorstellung konservativer Kleriker nicht züchtig genug verhüllt sind. Denn die Sittenwächter, die in den Jahren relativer sozialer Freiheit unter dem Ex-Staatspräsidenten Mohammed Chatami fast ganz aus dem Straßenbild verschwunden waren, schlagen nun wieder zu. Kurz nach dem Jahrestag der manipulierten Präsidentenwahlen machen erzkonservative Kleriker in Ghom und Teheran Druck aufs Regime, die islamische Sittlichkeit gezielt zu überwachen und Verstöße strikt zu bestrafen. Zuletzt hatte der Vorsitzende des Wächterrats, Ayatollah Ahmad Jannati, die Polizei dazu aufgefordert, strenger durchzugreifen – um die „moralische Sicherheit“ der Gesellschaft zu gewährleisten.

Tatsächlich sind Frauen in manchen Gegenden Teherans und anderen großen Städten und besonders auf der Urlaubsinsel Kish oft viel stärker geschminkt als in Europa. Sie machen sich nicht nur chic fürs Straßencafé oder die private Party am Abend. Auch zum Einkaufen und für den Hörsaal nehmen sie die Kosmetikwerbung westlicher Modemagazine oder Stars aus MTV oder Viva als Vorbild.

Ein Dozent an einer Uni in Teheran, der selbst nach westlichen Maßstäben lebt, sagt: „Mir ist das oft zu viel. Meine Studentinnen stehen oft vor sechs Uhr auf, damit sie um neun Uhr mit ihrem Make-up und Haarstyling fertig sind und es dann noch einigermaßen pünktlich in den Hörsaal schaffen. Fürs Lernen hingegen hatten sie oft angeblich gar keine Zeit.“ Die Frisur verschwindet zwar zum Teil unterm Kopftuch – aber dieses wird geschickt so übers Haar geschwungen, dass es eher wie ein modisches Accessoire wirkt denn wie eine islamische Verhüllung.

Je mehr Druck auf die junge, oft säkular denkende Bevölkerung – 70 Prozent sind unter 30 Jahre alt – ausgeübt wird, umso mehr protestiert sie auf ihre Art: Statt eines langen, alle Körperformen verhüllenden dunklen Mantels, wie es ein 24 Jahre altes Regelwerk fordert, tragen viele junge Frauen heute kurze, enge und farbenfrohe Mäntel. Und statt des Kopftuchs, das kein Haar freilassen darf, sind Seidenschals angesagt, die locker um das oft bis zur Mitte des Kopfes sichtbare, blond gefärbte und auffällig toupierte oder aufgesteckte Haar drapiert werden.

„Ich habe den Eindruck, dass es im Iran inzwischen weit mehr blonde Frauen gibt als in Deutschland“, sagt ein in Deutschland lebender Iraner, der seine Familie in Teheran besucht. Passend zum sonnengebräunten Gesicht wird die Sonnenbrille unter dem Schal aufgesteckt, sodass dieser noch ein Stück mehr freigibt.

Das alles fällt unter das Stichwort „bad Hedschab“ – „schlechte Verschleierung“ – und kann nach einem Gesetz von 1986 mit Geldstrafen von 1,5 bis 6 Millionen Tuman (rund 1200 bis 4800 Euro) plus Inflationsausgleich belegt werden. Wer nicht bezahlt, kann mit Peitschenhieben bestraft werden. Nackte Füße und Knöchel und nicht komplett bedeckte Arme sind ebenfalls tabu. Auch Männer kommen nicht ungeschoren davon: Ihnen sind offiziell T-Shirts und Kurzarmhemden ebenso verboten wie allzu modische westliche Frisuren – und das neuerdings angesagte Augenbrauenzupfen auch bei Männern ist ebenfalls strafbar.

Ganz so strikt handhabt es der Polizeichef von Teheran, Ismail Ahmadi-Moghaddam, noch nicht. Er hat aber eine Liste mit Beträgen für „Hedschab-Verstöße“ vorgelegt. Demnach kostet beispielsweise die Sonnebrille auf dem Kopf 18.000 Tuman (14 Euro). Wer mit einem kurzen Mantel erwischt wird, zahlt 28 Euro, wer helle Farben oder Rot wählt, ebenfalls. Nagellack kostet pro Finger vier Euro, ein sonnengebräuntes Gesicht aus dem Sommerurlaub schlägt mit 28 Euro zu Buche.

Strenger als in der Hauptstadt ist man in der heiligen Stadt Ghom und in Maschhad, wo sich wichtige schiitische Heiligtümer befinden. So wurden in Ghom und Umgebung in den vergangenen Tagen 62.000 junge Frauen verwarnt. In Maschhad verurteilte ein Richter kürzlich zwei Frauen zu hohen Geldstrafen für ihre „unsittliche Verhüllung“.

Auch an den Unis wird Ernst gemacht: An manchen wurden allen Studentinnen und Studenten gegen Unterschrift die Regularien für die Kleiderordnung und „sittsames Verhalten“ überreicht. Verboten sind neben den bereits erwähnten „Kleiderverstößen“ auch Schriftzüge auf T-Shirts, Parfüm, Schmuck, abgesehen vom Ehering, Kaugummikauen, lautes Reden und Erzählen von schlechten Witzen. Angedroht werden bei Verstößen keine Geldstrafen, sondern die zeitweise Aussperrung vom Unterricht.

Jungen Pärchen, die kontrolliert werden und nicht verheiratet sind, drohte Teherans Polizeichef an, sie künftig zwangszuverheiraten, um ihre Ehre nicht zu gefährden. In den vergangenen Wochen wurden als Verwarnung für nicht verheiratete Pärchen, die im Auto sitzend erwischt worden sind, erst einmal eine andere Art der Verwarnung praktiziert: Die Polizei stellte die Betroffenen öffentlich bloß, indem sie auf die Heckscheibe des Autos einen großen Aufkleber klebte, auf dem das „unmoralische Verhalten“ des Fahrers gebrandmarkt wurde. Die Autos wurden zuvor beschlagnahmt und erst nach Zahlung einer Strafe herausgerückt.

Ausgerechnet Präsident Mahmud Ahmadinedschad stellte sich in einem Interview im Staatsfernsehen jedoch gegen das verschärfte Vorgehen der Sittenwächter. „Ich bin strikt gegen solche Aktionen“, sagte er. Es sei „unmöglich, mit derartigen Aktivitäten Erfolg zu haben“. Seine Gegner interpretierten dies zugleich als „grünes Licht des Staatspräsidenten für unangemessene Kleidung“.

Die 24-jährige Studentin Fatima Deluari, die als Unterstützerin der Moral-Kampagne gilt, machte gegenüber dem Fernsehsender al-Arabiyya einen praktischen Vorschlag: „Der Staat muss den Verkauf von Schminkutensilien beschränken. Der Verkauf von Juwelen muss verboten werden. Unser islamisches System ähnelt einem Schiff. Wir können nicht einigen Passagieren erlauben, Löcher in dieses Schiff zu bohren.“

In den Einkaufspassagen, wo es eben diese Schminkutensilien en masse zu kaufen gibt, patrouillieren unterdessen in schwarze Tschadors verhüllte Frauen. Sie sprechen manche Frauen an, die einen „bad Hedschab“ haben. Eine dieser Wächterinnen sagt etwas resigniert: „Wir versuchen, die Frauen zu kontrollieren, aber wir sind ihnen nicht gewachsen.“ Denn wenn man sie heute verhaftet und bestraft, würden sie morgen erneut in gleicher Aufmachung auf die Straße kommen. Das Phänomen sei einfach schon zu weit verbreitet.