Der Ton war gemäßigt, der Inhalt aber nicht minder brisant. Eine Aussprache hatte die Bundestagsfraktion der Linken am Dienstag anberaumt. Der Inhalt: die aktuelle Führungskrise. Doch während Parteichef Klaus Ernst Fehler einräumte und Besserung gelobte, ließ die Co-Vorsitzende Gesine Lötzsch Kritik an sich abperlen. Man müsse endlich von der Kommunismus- zur Kapitalsmusdebatte gelangen, sagte sie lediglich – sehr zum Verdruss einiger Teilnehmer.
Doch das dürfte schwer werden. Die Berliner Zeitung „BZ“ machte bekannt, dass Klaus Singer, Lötzsch' Leiter des Bundestagsbüros, hauptamtlicher Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) war. Von 1978 bis 1981 gehörte er dem Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ an.
Das Wachregiment diente als Nachwuchsschmiede der Staatssicherheit. Es wurde überall dort eingesetzt, wo es „Sicherheitsrelevantes“ zu bewachen gab. Die Kontrollen am Ministerium und am Sperrgebiet Hohenschönhausen gehörte zu seinen Aufgaben (freilich nicht der Einsatz in Gefängnissen), die Bewachung von Wandlitz und anderen Funktionärsdomizilen, aber auch Einsätze bei Sportereignissen. Im Falle innenpolitischer Spannungen wäre das Wachregiment neben anderen Einheiten als Wachmannschaft zum Einsatz gekommen. Bei den jungen Leuten war das Wachregiment aber oft auch aus einem ganz anderen Grund beliebt: Wer sich hier verpflichtete, hatte einen sicheren Studienplatz. Angehörige des Wachregiments wurden automatisch hauptamtliche Mitarbeiter des MfS.
Laut Singers Akte, die Morgenpost Online vorliegt, kam der Vorschlag, ihn zum Wachregiment statt zum normalen Wehrdienst in der Nationalen Volksarmee einzuziehen, von hoher Stelle: Am 22. Dezember 1977 schlug ihn Fritz Renckwitz, Generalmajor der Abteilung Ministerium für Staatssicherheit beim Zentralkomitee der SED, Minister Erich Mielke vor. Singers Familie gehörte zum „roten Adel“, sein Vater Rudi war seit 1967 Mitglied des Zentralkomitees und Vorsitzender des Staatlichen Rundfunkkomitees der DDR, er dürfte hinter dem Vorschlag gesteckt haben.
Aus der Akte geht auch hervor, dass Klaus Singer mit gerade einmal 19 Jahren bereits Kandidat der SED und in allen wichtigen Organisationen der Partei war. Am 3. April 1978 wurde er eingezogen und zunächst ausgebildet. Offenbar mit Erfolg: Singer wurde mit dem „Bestenabzeichen der NVA“ ausgezeichnet und für den Chiffrierdienst vorgeschlagen. Singer habe in der „politischen Schulung“ durchweg „sehr gute Ergebnisse“ erzielt, heißt es in der Begründung.
Offenbar erwies er sich in dieser Tätigkeit aber als nicht sehr diszipliniert. In seiner Akte heißt es, er befolge zwar „gut“ Befehle, der Einfluss seines Verhaltens auf die Disziplin anderer Soldaten wird allerdings nur als „ausreichend“ bewertet. Als Singer beim Wachregiment ausschied, wurde er für nur drei Jahre als „Geheimnisträger“ eingestuft – ein Hinweis darauf, dass seine Tätigkeit beim Chiffrierdienst nicht allzu hochrangig war. Seine Akte wurde archiviert, was dafür spricht, dass Singer nicht – wie andere Mitglieder des Wachregiments – nach seinem Ausscheiden zum Inoffiziellen Mitarbeiter des MfS wurde.
Dennoch hat er es vorgezogen, zu den aktuellen Enthüllungen zu schweigen – wie auch Parteichefin Gesine Lötzsch. Für Lötzsch arbeitet Singer schon seit längerem.
Es ist nicht das erste Mal, dass Lötzsch mit dem Thema in Verbindung gebracht wird. Anfang 2010 wurde bekannt, dass ihr Mann jahrzehntelang Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit gewesen war. Lötzsch hatte zuvor mehrfach darauf verwiesen, dass ihr Mann Opfer des Regimes gewesen war. Tatsächlich war er 1957 wegen angeblicher Beihilfe zum Staatsverrrat zu mehrjähriger Haft verurteilt worden. Im Februar 2010 plädierte Lötzsch in einem Interview mit dem „Hamburger Abendblatt“ dafür, dass frühere Stasi-IM auch in Parlamenten und Ministerämtern vetreten sein dürften.
"Eine Form des Wehrdienstes"
Bei der Linken-Führung versucht man, den Fall Singer kleinzureden. Das Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ sei „eine Form des Wehrdienstes“ gewesen, sagte Fraktionschef Gregor Gysi "Morgenpost Online“: „Das hatte nichts mit Spitzelei zu tun.“
Historiker sehen das anders. „Natürlich waren die allermeisten Mitglieder des Wachregiments äußerst systemloyal“, sagt Klaus Schroeder, der als Leiter des Forschungsverbunds SED an der Freien Universität Berlin intensiv über die Strukturen der Staatsicherheit geforscht hat. Schroeder warnt allerdings von einer Pauschalisierung. „Ob jemand nur Objekte bewachte oder in das schmutzigen operative Geschäft der Staatssicherheit eingebunden war, war beim Wachregiment von Fall zu Fall verschieden.“ Bei der Beurteilung ehemaliger Mitglieder des Wachregiments gelte daher, dass man jeden Fall individuell betrachten müsse.
Am Donnerstag wird es im Bundestag auf Antrag der Unionsfraktion und der FDP eine aktuelle Stunde zur Kommunismus-Debatte geben. Diesmal will die Linke auf Nummer Sicher gehen: Nicht Gesine Lötzsch soll bei der Veranstaltung sprechen, sondern Parteivorstandsmitglied Ulrich Maurer. Der, so das Kalkül der Linken-Führung, ist über jeden Kommunismus-Verdacht erhaben: Maurer ist katholischer Schwabe und war von 1992 bis 2001 Vorsitzender der baden-württembergischen SPD-Landtagsfraktion.