Sicherheit

Ayatollah Khomeinis radikale Erben in Iran

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Dietrich Alexander

Foto: AFP

Was geht vor in Iran? Die UN sprechen von „in sich schlüssigen und glaubhaften" Informationen zu möglichen Nuklearwaffen. Es gibt Indizien dafür, dass der oberste geistlichen Führer Ayatollah Ali Chamenei nicht mehr Herr der Lage ist. Die wahre Macht im Iran, so scheint es, haben die Revolutionsgarden.

Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) verschärft ihre Rhetorik. Nuanciert, aber für alle Insider alarmierend, ändert die UN-Behörde in ihrem neuesten Iran-Bericht die Tonlage. Der Bericht trägt die Handschrift des neuen Generaldirektors der Behörde, Yukiya Amano. Der Japaner hatte den Ägypter Mohammed al-Baradei im Dezember abgelöst und schreibt in seiner Analyse von „in sich schlüssigen und glaubhaften“ Informationen zu möglichen Aktivitäten, die im Zusammenhang mit Nuklearwaffen stehen könnten. „Insgesamt lässt dies Besorgnis aufkommen über die mögliche Existenz von früheren oder derzeitigen Aktivitäten, die mit der Entwicklung einer nuklearen Sprengladung für eine Rakete in Zusammenhang stehen und die geheim gehalten wurden.“

Nach der eher beschwichtigenden Politik der Behörde in den vergangenen Jahren lässt sich an diesen Worten ein möglicher Politikwechsel ablesen, der auch den Machthabern in Teheran nicht entgangen ist. Eilig fühlte sich der oberste geistliche Führer Ayatollah Ali Chamenei bemüßigt zu erklären, die Anschuldigungen des Westens seien „ohne Substanz, da uns unsere religiösen Überzeugungen verbieten, solche Waffen zu nutzen“. Man vertraue Atomwaffen nicht und strebe sie auch nicht an.

Das mag die ehrliche Überzeugung des Erbverwalters von Ayatollah Khomeini sein. Doch die entscheidende Frage ist, ob Chamenei eigentlich noch Herr im eigenen Hause ist. Die iranische Geistlichkeit ist gespalten in ihrem Verhältnis zu Chamenei, dessen religiöse Reputation begrenzt und etwa unter der eines Hodschatoleslam Rafsandschani oder Großayatollah Jusef Sanei rangiert. Und auf operativer Ebene durchdringen längst andere sämtliche politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schichten: die Revolutionsgarden, auch Pasdaran genannt.

Die paramilitärische Organisation zum Schutz des Regimes hat eine Truppenstärke von rund 125.000 Mann. Von Ruhollah Khomeini am 5. Mai 1979 aufgestellt, entwickelte sie sich zu einem wichtigen Akteur während des ersten Golfkriegs gegen Saddam Husseins Irak (1980 bis 1988). Im Kabinett von Präsident Mahmud Ahmadinedschad sind nicht weniger als 13 der 21 Minister ehemalige Kommandeure der Revolutionsgarden. Mehr als 100 der 290 Parlamentarier sind ehemalige Revolutionswächter wie auch fast alle der 30 Provinzgouverneure. Ahmadinedschad selbst ging aus der Organisation hervor, die die US-Regierung am 25. Oktober 2007 zur terroristischen Vereinigung erklärte. Der Präsident hat es seit Beginn seiner ersten Amtszeit 2005 geschickt verstanden, „seine“ Leute in Schlüsselpositionen zu setzen. Dabei spielte Qualifikation eine geringere Rolle als Loyalität.

Die Pasdaran, ideologisch zuverlässig und mit der radikalen Geistlichkeit im Bunde, sind einzig Chamenei Rechenschaft schuldig, verfügen aber im Gegensatz zum obersten geistlichen Führer über ganz reale Macht. Sie unterliegen als größte wirtschaftliche Kraft des Landes keiner Steuerpflicht und zahlen bei der Einfuhr – auch von verbotenen Waren wie Alkohol – keine Zollgebühren. Sämtliche staatlichen Großprojekte wie der Bau von Ölanlagen und Pipelines oder der Ausbau der Teheraner Untergrundbahn gehen an die Pasdaran. Sie kontrollieren See- und Flughäfen, über die nicht verzollte Waren ins Land kommen. Sie verfügen über Panzer, Flugzeuge, Hubschrauber und bewaffnete Schnellboote.

Zu ihren engsten Verbündeten gehört die Freiwilligenmiliz Bassidsch, deren Hunderttausende bewaffnete Schläger die oppositionellen Massenproteste nach der umstrittenen Wiederwahl Ahmadinedschads niederknüppelten. Mit dieser wirtschaftlichen und politischen Struktur bilden die Pasdaran einen Staat im Staate, der eine Eigendynamik jenseits aller klerikalen Herrschaftsansprüche entwickelt hat. Pasdaran-Kommandeur General Mohammed Ali Dschafari bezieht seine Legitimation aus seinem Auftrag, die Revolution zu verteidigen – ein weites Feld.

US-Außenministerin Hillary Clinton sprach in Katar vergangene Woche etwas polemisch, aber nicht ohne Berechtigung davon, dass der Iran auf dem Weg zu einer Militärdiktatur sei. Ali Schirasi, im Jahr 1940 bei Teheran geboren und nach dem Sturz von Schah Resa Pahlewi 1979 aus dem Iran geflohen, lebt heute als freier Schriftsteller in Deutschland. Morgenpost Online ONLINE sagte er: „Hillary Clinton hat recht.“ Die Reformbewegung von Mir Hussein Mussawi habe keinerlei Chance gegen diesen mächtigen Apparat. Und Ayatollah Ali Chamenei sei ein geduldeter Revolutionsführer, weil er die Kreise der wahren Machthaber nicht störe – die der Pasdaran.