6,8 Millionen Ausländer leben in Deutschland, und das Gros von ihnen ist einer neuen Studie zufolge gut integriert. Doch die Türken tun sich schwer. Jeder fünfte Türke spricht Deutsch nur mangelhaft – oder gar nicht. Das hat Folgen für Schulbildung, soziale Stellung und Erwerbsfähigkeit.
Was ist eigentlich mit den Türken los? Unter den fünf größten in Deutschland lebenden Ausländergruppen tun sie sich mit der Integration in die deutsche Gesellschaft und den hiesigen Arbeitsmarkt am schwersten. Mit Polen, Griechen, Italienern und – mit einigen Abstrichen – auch mit den Migranten aus dem früheren Jugoslawien klappt hingegen das Zusammenleben mit den Deutschen in aller Regel reibungslos. Dies zeigt eine alle Lebensbereiche umfassende Studie, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Auftrag des Bundesinnenministeriums erarbeitet hat und die der „Welt am Sonntag“ vorliegt.
Letztlich zeichnet die repräsentative Untersuchung im Umfang von 290 Seiten ein erfreuliches Bild: Das Gros der hier lebenden rund 6,8 Millionen Ausländer hat sich deutlich besser an das Leben in Deutschland angepasst, als gemeinhin angenommen – das gilt auch für die Türken. So beherrschten die meisten Befragten die deutsche Sprache so gut, „dass sie das alltägliche Leben in Deutschland weitgehend problemlos bewältigten“, schreiben die Forscher.
Die Mehrheit habe regelmäßige Kontakte zu Deutschen und meist eine engere Bindung an die Bundesrepublik als an ihr Herkunftsland. Für die Analyse befragte das Institut 4576 Personen zwischen 15 und 79 Jahren, die eine Mindestaufenthaltsdauer von zwölf Monaten hatten.
Bildungsgefälle und kulturelle Kluften
Große Unterschiede weisen die Ausländergruppen allerdings bei der Bildung auf. So besitzen fast zwei Drittel der hier lebenden Polen eine mittlere oder gar hohe Schulbildung. Bei Italienern und Migranten aus dem früheren Jugoslawien liegt diese Quote nur bei rund 44 Prozent, und unter den Türken verfügen sogar lediglich 41 Prozent über eine solche Ausbildung. Gleichzeitig sind vor allem die Türkinnen unter den Analphabeten mit gut sieben Prozent stark überrepräsentiert.
Das Bildungsgefälle hat Auswirkungen auf die Chancen am Arbeitsmarkt. So leben mehr als 15 Prozent der Türken, aber nur 7,6 Prozent der Griechen von Hartz IV. Vergleichsweise viele Türken arbeitet nur als angelernte Arbeiter. Dagegen hat das Gros der beschäftigten Polen und Griechen einen qualifizierten Berufsabschluss.
Die Studie zeigt überdies deutliche kulturelle Unterschiede: So weisen Türkinnen den mit Abstand höchsten Anteil an Hausfrauen aus. Das traditionelle Rollenbild drückt sich auch darin aus, dass 70 Prozent von ihnen keinen Beruf erlernt haben. Üblicherweise heiraten sie jung, im Schnitt mit 23 Jahren (Wert für Deutschland insgesamt: 33 Jahre), und bekommen in der Regel mindestens zwei Kinder. In den vier anderen Migrantengruppen liegt das Heiratsalter der Frauen höher und die Kinderzahl niedriger und entspricht damit eher der deutschen Lebensweise.
Türken bleiben lieber unter sich
Auch die Neigung, unter sich zu bleiben, ist bei den Türken weitaus stärker ausgeprägt. Während Italiener und Jugoslawen bevorzugt in Wohngegenden ziehen, in denen überwiegend Deutsche leben, gilt dies für viele Türken nicht. Auch schauen weitaus mehr von ihnen türkisches Fernsehen und lesen aus ihrem Herkunftsland stammende Zeitungen. Die Forscher sehen hier einen Zusammenhang zu den mangelhaften Deutschkenntnissen, die jeder fünfte Türke beklagt, aber nur jeder 17 Italiener oder jeder zehnte Pole. Hinzu kommt: Die Hälfte der Türken pflegt keine häufigen Kontakte zur einheimischen Bevölkerung. Der Großteil der Italiener und Ex-Jugoslawien haben hingegen mehrheitlich freundschaftliche Bande zu Deutschen geknüpft.
Es sind nicht zuletzt diese fundamentalen Unterschiede in den Lebensweisen, die verständlich machen, warum die Integration der Türken auch in der dritten Generation noch schwierig ist, während sich die Polen – die erst innerhalb der vergangenen zwei Jahrzehnte ins Land gekommen sind – so rasch einfügten.
Den Migrationsforscher Klaus Jürgen Bade verwundern die deutlichen Unterschiede gerade zwischen diesen beiden Ausländergruppen hinsichtlich der Erwerbstätigkeit kaum. „Polnische Einwanderer kommen nach Deutschland, um zu arbeiten“, erläutert Bade. Sie seien typische Arbeitswanderer, die auf das Erwerbsangebot angewiesen seien. „Wenn es schlechter wird, gehen sie wieder zurück in ihr Herkunftsland.“ Türken bezeichnet der Forscher typische Einwanderer, die in Deutschland sozialisiert sind und auch im Falle der drohenden Arbeitslosigkeit bleiben.
Wissenschaftler kritisieren Maßstäbe
Dennoch hält Bade es für einen Trugschluss, aus dieser Tatsache allein eine geringere Integration abzuleiten. „Die Türken sind in Deutschland weit besser integriert als angenommen, da häufig lediglich die Teilhabe am Arbeitsmarkt als Maßstab gilt.“ Viele türkische Frauen würden aber wegen der Erziehung der Kinder zu Hause bleiben und stünden deshalb dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung.
Das geringe Bildungsniveau der Türken erklärt der Wissenschaftler mit der unterschiedlichen sozialen Ausgangssituation: Viele Einwanderer stammen aus ländlichen Gegenden mit erheblichem Entwicklungsrückstand. Bildung sei daher nicht immer erste Priorität. Geringe Bildung führe natürlich auch zu erhöhter Arbeitslosigkeit, „da in unserer Wissensgesellschaft immer stärker auf eine gute Qualifikation der Bewerber geachtet wird“, hebt Bade hervor.
Ein weiterer Umstand erschwert die Integration: Die hier aufgewachsenen Männer heiraten vielfach junge Türkinnen aus der Heimat. In diesen Familien wird damit weiter in aller Regel türkisch gesprochen. Also verschwinden die Sprachprobleme nicht mit der Zeit, sondern werden stets an die Kinder weitergegeben.
Integrationspolitiker hoffen auf Frühförderung
Nordrhein-Westfalens Integrationsminister Armin Laschet sieht diese Entwicklung kritisch. „Hier werden die Versäumnisse der Vergangenheit deutlich“, sagt der CDU-Politiker. Um die Sprachkenntnisse zu verbessern, müsse bereits frühzeitig gefördert werden: „Wir müssen bei den Kindern ansetzen.“ Deshalb habe Nordrhein-Westfalen im Jahr 2007 den verpflichtenden Sprachtest für Vierjährige eingeführt. Allerdings benötigten auch junge Zuwanderer, die nicht mehr in die Schule gehen, eine individuelle Förderung: „In diesem Bereich muss viel nachgeholt werden. Wir müssen von den Jugendlichen dann aber auch erwarten können, dass sie sich grundsätzlich dazu bereit erklären und Deutsch lernen wollen.“
Für den türkischstämmigen Grünen-Chef Cem Özdemir bestätigt die Studie die bekannte Integrationsdefizite der Türken. Vor allem der enge Zusammenhang zwischen Bildung und Lebenschancen sei offensichtlich. Als positiv bewertet Özdemir zwar den erkennbaren Bildungsaufstieg zwischen den Generationen. Aber er moniert: „Der Anteil derer mit keinem oder nur niedrigem Bildungsabschluss ist allerdings nach wie vor viel zu hoch.“
Die Integrationsbeauftragte des Bundes, Maria Böhmer, sieht es grundsätzlich: „Nicht nur für die türkischen, sondern auch für alle Migranten in unserem Land gilt: Nur gute Deutschkenntnisse, ein Schulabschluss sowie eine fundierte Ausbildung eröffnen die Chancen für eine erfolgreiche Zukunft.“
Weil diese Voraussetzungen vielen fehlten, sei eine „nationale Kraftanstrengung“ für bessere Bildung erforderlich. Böhmer ruft die Bundesländer auf, ihre Zusagen aus dem Nationalen Integrationsplan einzuhalten. Es gelte vor allem, Schulen mit hohem Migrantenanteil stärker zu unterstützen. Besonders die Frauen mit geringen Sprachkenntnissen, forderte die Unionspolitikerin auf, Deutsch zu lernen.