Die Stasi ging perfekt organisiert gegen den erklärten SED-Feind Axel Springer vor. Eine neue Studie zeichnet jetzt nach, wie ein gefälschtes Gutachten dem Verleger eine psychische Störung andichten sollte. Mehr als zehn Jahre lang bekam die Stasi Top-Informationen über Springer – von dessen Sekretärin.
Der Plan war perfide: Mit einem gefälschten Gutachten wollte Markus Wolf, Chef der Auslandsspionage der DDR, in der Bundesrepublik den Eindruck erwecken, Axel Springer sei psychisch gestört. Im März 1977 gab er, einer handschriftlichen Notiz auf einer Stasiakte zufolge, seinen Experten für Desinformation den Auftrag, eine solche "Diagnose" zu verfassen.
Dem Chef des Verlagshauses, das die SED als Hauptfeind ausgemacht hatte (und zum dem auch Morgenpost Online gehört), sollten "depressive Störungen, Angstzustände, Verfolgungswahn und Ähnliches" attestiert werden. Er sei nicht mehr in der Lage, "aktiv bei der inhaltlichen Gestaltung seiner Publikationen mitzuwirken".
Grundlage dieses Angriffs auf die Person Springer waren Informationen einer Topagentin. Seit einigen Jahren und verstärkt seit Weihnachten 1976 lieferte die Quelle "Grunewald" Informationen über ihren Arbeitgeber. Marie R., wie sie hier aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen genannt wird, war eine der Sekretärinnen im Büro des Verlegers.
Sie erledigte seine Privat- und Geschäftskorrespondenz, hatte Zugang zu seinen Gesprächsnotizen und Adressverzeichnissen.
Nach Aktenlage wurde das gefälschte Gutachten offenbar nie in der Bundesrepublik in Umlauf gebracht. Dennoch waren die Informationen, die Marie R. nach Ost-Berlin lieferte, für die Stasi äußerst wertvoll: Im Laufe der Jahre gab sie ungezählte Briefe, interne Protokolle und weiteres Material in Kopie oder als Originaldurchschlag nach Ost-Berlin weiter.
Darunter waren Schreiben an Bundeskanzler Helmut Schmidt und den Kanzlerkandidaten der Union Franz Josef Strauß, an US-Präsident Jimmy Carter und den "Nazijäger" Simon Wiesenthal.
Marie R. bespitzelte zehn Jahre lang
Marie R. war wohl der wichtigste Spitzel, den die Stasi im Verlag installieren konnte. Mehr als zehn Jahre lang lieferte sie Informationen aus der obersten Etage des Verlagshauses. Der Fall steht im Mittelpunkt der ersten großen Studie über den Kampf von SED und Stasi gegen den Axel Springer Verlag, die morgen in Berlin vorgestellt wird ("Feind-Bild Springer. Ein Verlag und seine Gegner". Vandenhoeck & Ruprecht. 318 S., 19,90 Euro).
Die Historiker Jochen Staadt, Stefan Wolle und Tobias Vogt vom Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität Berlin untersuchten die erhaltenen Archivalien der Stasi, aber auch des Unternehmensarchivs mit Unterstützung des Verlages, zugleich inhaltlich völlig unabhängig.
Auf Grundlage der Studie drehte Tilman Jens im Auftrag des WDR die Dokumentation "Bespitzelt Springer!", die am Mittwochabend ausgestrahlt wird.
Staadt, Wolle und Voigt können den Verrat der Sekretärin detailliert dokumentieren; dennoch bestreitet Marie R. die Vorwürfe entschieden. Sie war selbst kurz vor dem Mauerbau aus der DDR in den Westen gegangen und arbeitete von 1967 an für den Verlag. Fünf Jahre später traf sie in West-Berlin ihren ehemaligen Vorgesetzten aus einem DDR-Betrieb wieder, den gut aussehenden und charmanten Gerd Dressler, der IM des MfS war.
Schnell kamen sie sich näher, und Dressler bat Marie R., ihm für seine "wissenschaftliche Arbeit" Papiere aus Springers Büro zu besorgen. Anfangs handelte es sich offenbar tatsächlich um eine "Abschöpfung" - jedenfalls heißt es in einer Stasiakte von Dezember 1974, Dressler halte eine Anwerbung der Sekretärin nicht für möglich.
Doch bald wurde mehr aus dem Kontakt. Im März 1977 verstärkte sich der Fluss vertraulicher Informationen aus der Quelle "Grunewald". Dressler brachte immer neue Unterlagen Springers mit nach Ost-Berlin. Am 6. Juni 1977 reisten der IM und die Sekretärin dann konspirativ in die DDR - über die Agentenschleuse im S-Bahnhof Friedrichstraße. Spätestens hier musste ihr klar werden, dass sie es nicht mit einem ganz normalen Ost-Berliner Bekannten zu tun hatte, sondern mit einem Stasiagenten.
Gefälschte Personalpapiere
Das MfS stattete Dressler für seine Einsätze üppig mit der in der DDR knappen West-Mark aus. 1976 bekam er 1870 DM Spesen für seine Kontakte mit Marie R., 1979 sogar 6950 DM. Danach sanken die quittierten Ausgaben, etwa auf 3700 DM im Jahr 1984. Hinzu kamen allerdings teure Geschenke für die Sekretärin: Nach Aktenlage erhielt Marie R. ein Armband im Wert von 750 West-Mark, ein weiteres Schmuckstück für 950 DM, eine teure Kristalllampe, ein Service Meißener Porzellan, gekauft im West-Berliner KaDeWe, und einen antiken Schreibtisch für 1200 DM.
Sogar gefälschte Personalpapiere bekam Marie R., ausgestellt vom MfS auf ihren eigenen Namen, um die konspirativen Einreisen in die DDR zu vertuschen. Wie die Sekretärin dennoch darauf bestehen kann, ein unwissendes Opfer des IM Gerd Dressler gewesen zu sein, bleibt ihr Geheimnis. Ein Verfahren gegen sie wurde 1991 gegen Zahlung von 8000 DM eingestellt.
Ein ähnlicher Erfolg gelang der Stasi offenbar kein zweites Mal beim Axel Springer Verlag - obwohl das Haus mehr als 30 Jahre lang im Mittelpunkt sowohl der offenen, propagandistischen wie der konspirativen, geheimdienstlichen "Westarbeit" von SED und MfS stand. Zwar hörten die Spezialisten der Stasihauptabteilung III routinemäßig die Telefonate zwischen dem Berliner Verlagshaus und den Redaktionen in Bonn und Hamburg ab, erfuhren auch Details etwa über interne Streitigkeiten, konnten aber keine Belege für die immer vermuteten "Agentennetze" der Redaktionen in der DDR finden. Kein Wunder: Es gab sie nicht.
Auch mit den Überwachungs- und Zersetzungsmaßnahmen gegen renommierte Journalisten, etwa den Politikredakteur Dieter Dose oder den Leiter des Berliner "Welt"-Büros Hans-Rüdiger Karutz hatte die Stasi keinen Erfolg. Gegen beide wurden immer wieder Einreiseverbote verhängt, andere, als privat deklarierte Fahrten dagegen genehmigt. Beide spähte das MfS auch in West-Berlin aus, doch ohne den erhofften Erfolg: Von ihrer kritischen Haltung gegenüber der SED gingen sie nicht ab.
Anti-Springer-Kampagne der DDR
Während die im engeren Sinne geheimdienstlichen Aktionen der Stasi gegen den Axel Springer Verlag, abgesehen vom Fall Marie R., bemerkenswert erfolglos blieben, sah es bei der propagandistischen Aktivität besser aus. Seit Ende der 50er-Jahre polemisierten SED und Stasi mit NS-Vorwürfen gegen Springer und seine Mitarbeiter, und ab Mitte der 60er-Jahre traf die Hetze aus Ost-Berlin, konspirativ unterstützt, auch im Westen auf offenere Ohren.
Die drei Autoren stellen zum ersten Mal systematisch dar, wie die DDR vorging. Die Anti-Springer-Kampagne der DDR und die oft inhaltlich fast deckungsgleiche Polemik des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) entwickelten sich parallel. Zwar erbrachten die Recherchen von Staadt, Wolle und Voigt keinen Beweis für die Steuerung der SDS-Attacken durch Ost-Berlin; doch zeigt der Fall des von zwei Stasi-IM geleiteten West-Berliner Kampfblattes "Berliner Extra-Dienst", dass es unmöglich ist, den Einfluss der SED auf die Studentenbewegung einfach auszublenden.
Wie bereits in ihrer Untersuchung zum Kampf des MfS gegen die ARD zeigen Staadt, Wolle und Voigt, wie vielfältig solche "Westarbeit" doch war. Zwar konnte das MfS die SED-Diktatur damit nicht retten. Aber eine Fußnote der Geschichte war diese Unterwanderungs-, Propaganda- und Desinformationsarbeit nicht. Sie ist, wie der Fall Springer zeigt, wesentlicher Teil der Geschichte der Bundesrepublik zwischen 1945 und 1989.
* "Bespitzelt Springer!", ARD, 28. Oktober um 23.15 Uhr