Seit auch in kleinen Einraumkneipen das absolute Rauchverbot gilt, fürchtet Sylvia Thimm um ihre Existenz. Die rebellische Kneipenwirtin aus Berlin kämpft vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Verbot. Ihre Klage wurde ausgewählt, um eine Grundsatzentscheidung zu treffen.
Wer verstehen will, warum Sylvia Thimm vor das Bundesverfassungsgericht gezogen ist, dem hilft ein Blick auf die kleine Anstecknadel an ihrer Jacke. Es ist das Wappen von Union Berlin, einem Fußballverein aus dem Osten der Stadt. Union ist der Klub der Underdogs, er steht im Schatten des großen Bundesligisten Hertha BSC und muss deshalb ständig um sein wirtschaftliches Überleben kämpfen.
Seit der Senat der Hauptstadt für kleine Gaststätten, die keinen Nebenraum haben, ein absolutes Rauchverbot erlassen hat, führt auch Sylvia Thimm einen Kampf um ihre Existenz. Der 45-Jährigen gehört die Musikkneipe „Doors“ im Stadtteil Prenzlauer Berg, die sie als typisch Berliner Eckkneipe beschreibt: „Meine Gäste wollen keine Cocktails oder linksdrehenden, aufgeschäumten Yogi-Tees. Die wollen Bier, Wodka oder Whisky – und dazu eine Zigarette.“ 70 Prozent ihrer Gäste sind Raucher, auf den 36 Quadratmetern aber ist kein Platz für den gesetzlich vorgeschriebenen, abgetrennten Blauen-Dunst-Bereich. Durch das Rauchverbot fürchtet die Wirtin deshalb den Verlust ihrer Stammkundschaft, sie fühlt sich gegenüber größeren Betrieben benachteiligt und sieht sich als „freie Unternehmerin“ vom Staat gegängelt. Den „Weg zum Sozialamt, um Hartz IV zu beantragen“ aber will sie nicht freiwillig gehen und hat deshalb Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe eingelegt.
Am Mittwoch verhandelte das oberste deutsche Gericht den Fall der rebellischen Wirtin. Dutzende Klagen gegen die ähnlich gelagerten Rauchverbote in anderen Bundesländern sind in den vergangenen Monaten beim Bundesverfassungsgericht eingegangen. Die Richter haben die Beschwerde Thimms zusammen mit zwei weiteren Fällen aus Baden-Württemberg ausgewählt, um eine Grundsatzentscheidung zu fällen. Noch im Juli werde der Senat ein Urteil verkünden, das für alle Bundesländer richtungsweisend ist und für Rechtsfrieden sorgen soll, sagte Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier.
Wie weit darf der Staat eingreifen?
In der dreistündigen Verhandlung ging es im Kern um die Frage, wie weit der Staat in die Grundrechte der Gastronomen auf freie Berufsausübung und Eigentumsgarantie eingreifen darf, um einen Gesundheitsschutz für Nichtraucher bei einem Kneipenbesuch zu gewährleisten. Ohne ein generelles Rauchverbot sei dieser Schutzzweck nicht zu erreichen, meinten die zuständigen Landesministerinnen aus Berlin und Baden-Württemberg, Katrin Lompscher (Die Linke) und Monika Stolz (CDU). Sie argumentierten, dass der Gesundheitsschutz von Nichtrauchern Vorrang vor den wirtschaftlichen Interessen der Kneipiers habe. Die von den Beschwerdeführern beklagten, massiven Umsatzeinbußen der Betriebe würden sich schon wieder „einspielen“. Es gebe keine Alternative zu den bestehenden Regelungen, jeder Gast müsse in jeder Gaststätte einen rauchfreien Raum finden können.
Unterstützung erfuhren die Politikerinnen vom Deutschen Krebsforschungszentrum. Dessen Vertreter legten dar, dass Tabakrauch über 70 krebserregende Substanzen enthalte und jährlich 3300 Menschen an den Folgen des Passivrauchens sterben. Andere Wissenschaftler zogen diese Zahl allerdings in Zweifel.
Die Rechtsanwälte der Kläger hielten dagegen, niemand stelle den hohen Stellenwert des Gesundheitsschutzes infrage. Um den zu erreichen, müsse der Staat aber mit Augenmaß vorgehen und dürfe seine Bürger nicht bevormunden. Nichtraucher hätten genügend Alternativen, in größere Lokale zu gehen, die rauchfreie Bereiche anbieten müssten. Es sei mithin ausreichend, wenn die Einraumkneipen ohne Möglichkeit zu abgetrennten Raucherräumen ihre Betriebe mit Schildern kennzeichneten. Jeder Besucher habe dann die freie Wahl, das verqualmte Lokal zu besuchen – oder nicht.
„Es geht um die Freiheit, und die ist nie ganz risikolos“, sagte der Verfassungsrechtler Rupert Scholz, der die Wirte aus Baden-Württemberg vertrat. Scholz warf dem Gesetzgeber auch mangelnde Gründlichkeit vor. Die Folgen der strikten Rauchverbote seien nicht ausreichend abgeschätzt worden, Umsatzrückgänge zwischen 20 bis 40 Prozent hätten gerade für die rund 60.000 bis 80.000 Einraumkneipen in Deutschland ruinöse Folgen.
Zum Beispiel für Sylvia Thimm, die den juristischen Schlagabtausch nervös verfolgt hatte. Ursprünglich wollte sie allein ihre Anwälte reden lassen. Am Ende aber nahm sie all ihren Mut zusammen und wandte sich direkt an die Berliner Senatorin Lompscher. „Der auch von mir gewählte Senat hat leider nicht erkannt, was wir in Berlin an unserer Kneipenszene haben. Sie machen das alles kaputt“, sagte sie mit Tränen in Augen.
Sie hoffe nun, dass Karlsruhe klüger entscheide. Bis dahin wird sie weiter den Anstecker mit dem Wappen ihres Vereins Union Berlin tragen, in dessen Hymne es heißt: „Hart sind die Zeiten und hart ist das Team. Darum siegen wir mit Eisern Union.“ Und Sylvia Thimm hofft ganz fest, dass „wir auch vor Gericht gewinnen“.