Katerstimmung im Kanzleramt: Die Mitarbeiter in Merkels Büro haben mächtig einen gebechert. In dieser Ausnahmesituation kommt Dr. Alexander Dosbach, „Muttis“ Chefberater, auf eine aberwitzige Idee. Er verlässt den Elfenbeinturm Kanzleramt, um draußen die Wirklichkeit zu erkunden. So trifft der Polit-Profi auf Ur-Berliner im Schwäbisch-Kurs, auf Bundeswehrsoldaten in der Elternzeit und Räuber in der U-Bahn.
Eigentlich jedoch drehe sich „Die Kanzlerflüsterer“, das aktuelle Programm des Kabarett-Theaters Distel, um den „Inner Circle“ des Systems Merkel, erklärt Martin Maier-Bode, Autor und künstlerischer Leiter. „Einerseits die unmittelbaren Berater, andererseits ein erlesener Kreis von Wirtschafts- und Bankenmanagern, die einen ungestörten und fast freundschaftlichen Kontakt zur Kanzlerin pflegen.“ Der Bürger sei für diesen Kreis im Grunde ein unbekanntes Wesen. Der satirische Rundumschlag gestaltet sich, vor allem dank des großartigen, immer wieder in neue Rollen schlüpfenden Schauspieler-Trios (Timo Doleys, Edgar Harter, Caroline Lux) ausgesprochen unterhaltsam. Was meist fehlt, ist die politische Schärfe.
Merkel bleibt verschont
Bedenkt man, welche Stürme des Spotts einst Merkels Vorvorgänger Helmut Kohl entgegen bliesen, braucht die Kanzlerin momentan sich nicht warm anzuziehen – ein leichtes Mäntelchen genügt. In Deutschland ist Wahlkampf. Doch der Urnengang am 22. September spielt bisher im Kabarett kaum eine Rolle. Offenbar verspricht man sich unter Satirikern keine Veränderungen.
Arnulf Rating, der früher in der Vorwahlzeit mit Kabarett-Kollegen auf spezielle Gemeinschaftstouren ging, etwa „Wahlium“ oder den legendären „Reichspolterabend“, erwartet jedenfalls keine Wunder: „Es wird auch nach der Wahl weder ein gesichertes Endlager für Senioren noch für Atommüll geben.“
Musical zum Wahlkampf
Die Berliner Stammzellformation ruft in „Die Drei von der Stammzelle“, immerhin als Musical zum Wahlkampf angekündigt und am Wahlabend wieder im Kreuzberger BKA-Theater zu erleben, gleich eine neue Partei ins Leben. Die PDF, eine Partei ohne Programm, setzt auf Musik und Unterhaltung: Show-litik ersetzt Politik, Tanz die Substanz. Und auch bei den Stachelschweinen im Europa-Center gründen sie in „Gestochen scharf“ eine neue Partei: Der Kanzlerkandidat wird gegoogelt – es kommt immer Günter Jauch heraus. Parteienverdrossenheit, wohin man blickt.
Dass es keine echte Wechselstimmung gibt, niemand ein Kopf-an-Kopf-Rennen zweier rivalisierender Ansätze erwartet, beklagt auch Distel-Chef Maier-Bode: „Die Meisten schätzen wohl nicht ganz zu Unrecht, dass der Name der zukünftigen Kanzlerin so oder so schon bekannt ist.“ Die Distel feiert im Herbst 60-jähriges Jubiläum, darauf wird sie demnächst mit einer Plakat-Aktion hinweisen, die den Stil des Wahlkampfs aufgreift.
Kabarett-Ensembles, bei denen ja Schauspieler feste Texte darbieten, haben es im Vergleich zu Solisten schwer, auf tagespolitische Ereignisse zu reagieren. „Selbstverständlich werden unsere Programme regelmäßig auf den neuesten Stand gebracht“, so Charlotte Reeck, Geschäftsführerin der Stachelschweine. „Allerdings bieten sich nicht alle Szenen für ein ‚Update‘ an.“
Steinbrücks Fettnäpfchen
Erstaunlicherweise sind es jedoch die Ensembles, die sich vorrangig um den Wahlkampf kümmern. Solisten sind da zurückhaltender. „Es sollte auch nicht Aufgabe des Kabaretts sein, jeder Nachricht mit einer Pointe hinterher zu hecheln, solange man nichts zu sagen hat“, erklärt Frank Lüdecke. Der scharfzüngige Berliner, durch Fernsehformate wie „Satire Gipfel“ und „Mitternachtsspitzen“ einem breiten Publikum bekannt, würde gerne den Wahlkampf mehr aufgreifen. „Dieser zählt allerdings bislang zu den langweiligsten seiner Art und verdient auch nicht den Namen ,Kampf’“. Zu dieser Stimmungslage hat natürlich der Herausforderer nicht wenig beigetragen. Chefparodist Reiner Kröhnert meint: „Das kabarettistisch Dankbarste am Wahlkampf ist derzeit die Auswertung des Steinbrückschen Fettnapfparcours. Wie die SPD ihre zwingendsten Torchancen vergeigt, hat fast schon Slapstick-Charakter.“
Rückzug ins Private
Die meisten Kabarettisten erzählen ihre Geschichten nicht aus dem Bundestag, dem Kanzleramt oder den Parteizentralen, sondern aus dem privaten Alltag heraus. „Auch das Private ist Politik“, sagt Arnulf Rating, der gleichwohl eine gewisse Weichspülerei in seiner Zunft beobachtet. „Was Dieter Nuhr im ,Satire Gipfel’ macht, ist neo-liberales Kabarett, die Rechtfertigung des Bestehenden“. Dabei herrsche gar kein Mangel an harten Themen: „Zum Beispiel ist es ein Skandal, wie die Gesellschaft die Affäre um die NSU-Morde hinnimmt.“
Lethargie als Mittel zum Machterhalt? Frank Lüdecke meint, man dürfe von der CDU-Chefin zwei Dinge nicht erwarten: „Skandale und Inhalte. Insofern haben wir Kabarettisten ein ähnliches Problem wie die SPD. Eine Kritik, die Merkel Inhaltsleere vorwirft, wirkt auf die Dauer so uninspiriert wie die Kanzlerin selbst.“ Vielleicht deshalb entzündet sich der Spott weniger an ihren Programmen denn an Äußerlichkeiten. Wie bei Reiner Kröhnert. Der parodierte Merkel schon, als diese noch auf Ewig in der Opposition zu versauern schien. Aber dann kam alles anders: „Wenn wir Pech haben, überlebt sie uns alle...“

Foto: Jazz Archiv/Markus Lubitz / pa / Jazz Archiv