Filmfestspiele

Berlinale zeigt Film über Kindesmissbrauch in der Kirche

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Lasst die Kindlein zu mir kommen: Das verstehen manche Priester auf perverse Weise anders. Von einem dieser Fälle handelt „Grâce à Dieu“.

Lasst die Kindlein zu mir kommen: Das verstehen manche Priester auf perverse Weise anders. Von einem dieser Fälle handelt „Grâce à Dieu“.

Foto: Jean-Claude Moireau

François Ozon arbeitet einen aktuellen Prozess um Kindesmissbrauch in der Kirche in seinem Film „Grâce à Dieu“ auf.

Berlin. Gleich am zweiten Tag wird die Berlinale zum Tribunal. Und zeigt, wie aktuell sie sein kann. Denn François Ozons Wettbewerbsbeitrag „Grâce à Dieu“ (Gelobt sei Gott) deckt einen Missbrauchsfall in der katholischen Kirche auf, der von den Kirche lang vertuscht wurde, bis doch noch ein Prozess aufgerollt wurde. Das Gerichtsurteil soll am 8. März gesprochen werden. Und der Anwalt des angeklagten Priesters versucht seit geraumer Zeit, den Start des Films, der in Frankreich am 20. Februar ins Kino kommen soll, mit einer einstweiligen Verfügung zu verhindern, weil das einer Vorverurteilung seines Klienten gleichkäme.

Dabei geht es längst nicht mehr nur um den Priester Bernard Preynat, der sich an bis zu 70 Jungen in seiner Obhut vergangen haben soll, sondern auch um den Erzbischof von Lyon, Philippe Barbarin, der seit Kurzem mit anderen Beschuldigten ebenfalls vor Gericht steht – weil er die Vorkommnisse damals unter den Tisch fallen ließ. „Gelobt sei Gott“, so ist es dem Bischof einmal herausgerutscht, seien die Missbrauchsfälle verjährt. Ein neues Gesetz hat diese Verjährungsfrist verlängert, und da möchte man ebenfalls ein „Gott sei Dank“ aussprechen.

Ozon hat diesen aufsehenerregenden Fall nun nachinszeniert. Am Anfang steht ein Treffen von Alexandre Guérin (Melvil Poupau), einem der Opfer, der als Erwachsener seinem einstigen Peiniger Preynat (Bernard Verley) gegenübertritt. Aber von Preynat kommt keine Entschuldigung, nur Ausflüchte wie „Es waren andere Zeiten“. Auch Guérins eigene Eltern meinen, man müsste doch nach 30 Jahren einmal damit aufhören, an der Vergangenheit zu rühren.

Momente, die niemanden ungerührt lassen

Doch Guérin kann nicht hinnehmen, dass die Kirche diesem Priester auch weiterhin Kinder anvertraut. Er will Gerechtigkeit, dass der Priester bestraft und seines Amtes enthoben wird. Dafür schreibt er an die Kirche, den Bischof, den Papst. Sucht nach weiteren Opfern, deren Fälle noch nicht verjährt sind wie seiner. Lernt auf diese Weise mehr und mehr Leidensgenossen kennen, die wie er als Pfadfinder im Zeltlager missbraucht wurden. So wächst allmählich eine Initiative zusammen, die sich den kämpferischen Namen „Das gebrochene Schweigen“ gibt.

Ozon, ein echtes Berlinale-Kind, der hier mit „Tropfen für heiße Steine“ entdeckt wurde, ist ja eher für absurde Dramen und überdrehte Komödien wie „8 Frauen“ bekannt. So ernst wie mit diesem Film war er, war es ihm noch nie. Sehr behutsam und einfühlsam nähert er sich in seinem fast zweieinhalbstündigen Film dem Fall an. Jede mögliche Angst, auch ein Film könne das Reizthema nur sensationsheischend ausschlachten, räumt er von vornherein aus. Die Missbrauchsfälle werden immer nur in schmerzvoll kurzen Erinnerungsfetzen angerissen, überwiegend aber von Erwachsenen zu Protokoll gegeben, die dabei in Tränen ausbrechen, was eine viel größere Wirkung hat.

Anfangs wird sogar immer wieder aus den Akten und Briefwechseln zwischen Guérin und den Kirchenstellen aus dem Off wörtlich vorgelesen, die Bilder wirken da lange nur wie bloße Illus­tration. Dann aber wechselt der Film gleich zwei Mal die Perspektive, erzählt die Geschichte immer wieder aus dem Blickwinkel eines anderen Betroffenen und wie dieser mit seinem Trauma und seiner Scham umgeht, gerade auch im eigenen Familienumfeld.

Sprachlosigkeit über die Reaktion der Kirche auf den Skandal

Das sind Momente, die niemanden ungerührt lassen, wenn immer wieder die eigenen Eltern oder sogar Partner das Kindheitstrauma bagatellisieren und verdrängen. Das unterstreicht sehr eindringlich die Notwendigkeit, die Verlängerungsfrist von 20 Jahren auszuweiten, weil es oft ein halbes Leben braucht, um den Mut zu finden, damit in die Öffentlichkeit zu gehen.

Immer wieder macht es auch sprachlos, wie die Kirche nach Vergebung ringt, aber nur für sich selbst, und den unaussprechlichen Skandal herunterspielt. Aber in ihrem gemeinsamen Schmerz und ihrer Wut begegnen sich die Opfer, die irgendwann doch das Kartell des Schweigens und ihre innere Scham überwinden und mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit gehen. Auch wenn sie, das spart der Film keineswegs aus, dabei durchaus nicht immer derselben Meinung sind, wie sie vorgehen sollen.

Ein starker, aufwühlender Film. Dabei, verrät der Produzent Nicolas Altmayer am Freitag auf der Berlinale- Pressekonferenz, sei der zunächst unter falschem Titel gedreht worden, sei dabei auch „überhaupt nicht die Rede von diesen barbarischen Taten“ gewesen. Und Koproduzent Eric Altmayer ergänzt, wie schwierig es gewesen sei, „Grâce à Dieu“ zu finanzieren, weil alle potenziellen Geldgeber vor dem Tabuthema zurückschreckten. Vielleicht wollten sie sich aber auch einfach nicht mit der Kirche anlegen. Ozon übrigens glaubt nicht, dass sein Film gestoppt wird oder gar einen Einfluss auf das laufende Verfahren habe. „Alles, was ich erzähle“, so der Regisseur, „wurde in Frankreich in den Medien schon veröffentlicht.“

Termine Heute, 9.30 Uhr Zoo Palast 1, 14.45 Uhr Haus der Berliner Festspiele, 20 Uhr Friedrichstadt-Palast, 22.30 Uhr International; 10.2., 20 Uhr Union Kino.

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