Berlinale-Eröffnungsfilm

„The Kindness of Strangers“: Humanismus mit Kaviar

| Lesedauer: 4 Minuten
Manager Marc (Tahar Rahim) bietet Clara (Zoe Kazan), der Mutter auf der Flucht, ein Versteck in seinem Restaurant.

Manager Marc (Tahar Rahim) bietet Clara (Zoe Kazan), der Mutter auf der Flucht, ein Versteck in seinem Restaurant.

Foto: Per Arnesen

Lone Scherfigs Eröffnungsfilm „The Kindness of Strangers“ ist leider nur zuckriges Gutmenschenkino.

Berlin. Die Kritik, die Dieter Kosslick in den letzten Jahren immer vehementer entgegenschlug und im Sommer 2017 in dem berüchtigten Offenen Brief gegen ihn gipfelte, sie zielt vor allem auf seine Filmauswahl. Er habe keinen Filmgeschmack, solche Vorwürfe sind immer wieder zu hören, er könne keine guten von gut gemeinten Filmen unterscheiden. Daher war es besonders spannend, welchen Film Kosslick nun zur Eröffnung seiner allerletzten Berlinale auswählen würde: ob er aus den Vorwürfen gelernt hat, ob er den Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen kann.

Die Quintessenz des klassischen Kosslick-Kinos

Stattdessen ist der diesjährige Eröffnungsfilm die Quintessenz dessen, was man als klassischen Kosslick-Film bezeichnen könnte: politisch korrektes Gutmenschenkino mit humanistischer Botschaft, die keiner im Ernst bekritteln kann, mit renommierten Namen vor und hinter der Kamera, das alles (und sogar noch Kosslicks Steckenpferd Kulinarisches Kino) findet sich in Lone Scherfigs „The Kindness of Strangers“. Ein Film mit durchaus gesellschaftskritischen Tönen, einer Prise Hoffnung und starkem Plädoyer für mehr menschliches Miteinander. Aber leider auch ein sehr süßliches Melodram, das seiner sozialkritischen Komponente damit nicht eben gerecht wird.

New York kann so kalt sein. Das kriegen gleich mehrere Protagonisten in dieser kanadisch-dänischen Koproduktion zu spüren: Die junge Mutter Clara (Zoe Kazan, Enkelin der Hollywood-Legende Elia Kazan), die mit ihren Kindern vor ihrem gewalttätigen Mann, einem Polizisten, in die große Stadt flieht, dort aber keinen Halt findet. Der junge Jeff (Caleb Landry Jones), der jeden Job vermasselt und schließlich auf der eiskalten Straße landet. Oder Marc (Tahar Rahim), der für seinen drogensüchtigen Bruder ins Gefängnis ging und so dessen Tod nicht verhindern konnte. Es gibt auch noch Alice (Andrea Riseborough), eine Krankenschwester, die wie eine gute Fee aus dem Märchen ist und noch einen Zweitjob in der Kirche hat und immer nur anderen hilft, aber ihre Einsamkeit damit nicht kompensieren kann. Lauter gestrandete, gestrauchelte Seelen.

Aber da gibt es noch ein etwas abgewracktes russisches Restaurant, in dem alle zusammenkommen und das sinnig-symbolisch „New York Winter Palace“ heißt: Alice ist hier Dauergast, Marc wird hier Manager und Clara betreibt vor Ort Mundraub und schläft nachts heimlich unterm Tisch. Und dieses Fake-Restaurant, in dem die Angestellten mit russischem Akzent sprechen, obwohl sie gebürtige Amerikaner sind, ist dann sowas wie die utopische Zelle, in der die Menschen Verantwortung und Gefühle füreinander entwickeln. Humanismus mit Kaviar, welch ein Mix. Und beides aus der Dose.

Den richtigen Eröffnungsfilm für ein Festival zu finden, ist eine der schwersten Disziplinen für eine Chefspitze. Es muss ein Film sein, der Lust machen soll auf die kommenden Tage, der Stars auf den Teppich bringt und Kunst auf die Leinwand. Kosslick ist das mal mehr, mal weniger gelungen. Es gab Hits, die alle selig machten, wie „Chicago“ oder „Grand Budapest Hotel“, es gab auch Abstürze wie „Nobody Wants The Night“ (mit der diesjährigen Jury-Präsidentin Juliette Binoche).

„The Kindness of Strangers“ befindet sich so zwischendrin. Kein Totalausfall, aber auch kein großer Wurf. Lone Scherfig schafft durchaus die Balance, stimmungsvolle Momente zu kre­-ieren und dann auch wieder ironisch zu brechen. Aber von Anfang an ist das Ganze doch zu versöhnlich auf Happy End getrimmt. Wie schade.

Termine: 8.2., 15 und 19 Uhr, Friedrichstadt-Palast; 10.2., 14 Uhr, Union Kino