Dieter Kosslick gilt gemeinhin als Feinschmecker. Das kulinarische Niveau des Wettbewerbs allerdings ist erschütternd. Das hat Gründe.

Sie sitzen am Frühstückstisch? Es gibt Brötchen, Marmelade, Butter, Käse, ein schönes Ei? Herrlich. Sie haben’s gut. Sie spielen ja auch in keinem Film mit. Jedenfalls in keinem, den ich bisher gesehen habe. Diese Berlinale mag man bisher cineastisch finden, wie man will, kulinarisch ist sie eine einzige Katastrophe. So ganz und insgesamt. Drinnen im Kino wie draußen.

Nehmen wir nur mal die beiden deutschsprachigen Wettbewerbsbeiträge. Der eine – Thomas Arslans „Gold“– spielt in den kanadischen Wäldern. Und die Schar Deutsche, die da dem Gold von Klondike entgegenreitet, sitzt nach getanem Überleben des Abends am Lagerfeuer und schaufelt pulverisierte Kartoffeln, kristallisierte Zwiebeln und pochierte Eier in sich hinein.

Nina Hoss mampft Merkwürdiges aus der Dose

Tage später sitzt Nina Hoss auf einem Baumstamm und löffelt aus einer Dose. Der andere – Ulrich Seidls „Paradies: Hoffnung“ – spielt gleich ganz in einem Diätcamp für schwerunterernährbare Jugendliche.

Die Polen bewerfen sich mit Essen, die Russen mögen Frosties, und Amerikaner, die es nach Bukarest verschlägt, sitzen auf der Straße und schlingen Kebab.

Welche Kraftnahrung – außer Grünem Tee – sich Wong Kar-weis schwerschlagende Kung-fu-Kämpfer zuführen, entzieht sich leider meiner Kenntnis. Das ist ökotrophologisch die Bilanz des ersten Berlinale-Fünftels.

Kosslick eröffnet die Fastenzeit

Dieter Kosslick gibt sich sonst gern als Feinschmecker. Warum setzt er uns so einen Fraß vor? Und er hat – falls wer religiöse Gründe vermutet für die offensichtliche Enthaltsamkeit, so eine Art cineastischen Ramadan – lange genug in Köln gearbeitet, dass er wissen müsste, wann die Fastenzeit anfängt. Zwei Tage nach Rosenmontag, sprich: erst am Mittwoch. Jetzt könnten wir noch ordentlich mit den Augen völlen.

Dürfen wir aber nicht. Dafür kann es nur zwei Gründe geben. Zum einen soll Kosslicks Lieblingsghettos bleiben, was dieses Lieblingsghettos ist: Alles was über Zubereitung und Verspeisung eines Schnitzels hinaus geht, gehört in die Reihe Kulinarisches Kino. Basta.

Zum zweiten möchte Kosslick, dafür kennt er die Ernährungssituation am Potsdamer Platz gut genug, vermeiden, dass sein Palast von hungrigen Horden gestürmt wird.

Das große Aufstoßen statt dem großen Fressen

Satt wird man nämlich in der eigentlichen Kantine der Berlinale, dem Untergeschoss der Potsdamer Platz Arkaden. Aber ungern. Schlangen stehen um Krustenbraten und Riesenbockwürste an.

Besonders beliebt ist Wandelessen, gehend mit Stäbchen in der Nudelbox stochernd. Oder am Brunnenrand sitzen und Burger essen (passend zu „Gold“ gibt es die Burger Western Beef und Western Chicken) oder Backfisch. Die mampfenden Menschen sehen nicht glücklich aus. Ein großes Aufstoßen kündet sich an. Essen Sie los! Sonst kommt noch einer von der Berlinale und frisst Ihnen alles weg. Ich zum Beispiel.