Thomas Arslan ist der einzige deutsche Regisseur im Wettbewerb. Sein Film „Gold“ mit Nina Hoss erzählt von deutschen Auswanderern in den USA.

Thomas Arslans Geschichte ist zwar fiktiv, doch wie der Deutsch-Türke vor der Premiere seines Films erzählte, recherchierte er fast ein Jahr lang zu dem einstigen Goldrausch am Klondike-Fluss und deutschen Auswanderern in den USA. Viele dieser Details nahm er mit in den Film auf.

Bei der Berlinale ist der im niedersächsischen Braunschweig geborene Arslan kein Unbekannter: Sein Drama „Dealer“ gewann 1999 den Preis der Internationalen Filmkritik und die Auszeichnung der Ökumenischen Jury. Zuletzt zeigte er dort 2010 in der Nebenreihe „Forum“ sein Werk „Im Schatten“.

Frage: Sie sind Deutsch-Türke und haben bereits mehrere Filme über das Leben von Jugendlichen und jungen Erwachsenen türkischer Herkunft in Deutschland gedreht. Mit „Gold“ wenden Sie sich nun nicht der Immigration nach Deutschland, sondern der Emigration von Deutschen ins Ausland zu. Warum?

Thomas Arslan: „Das war nicht mein erster Ausgangspunkt bei der Recherche, aber diesen Aspekt fand ich dann bald sehr interessant: eine Geschichte über deutsche Amerika-Auswanderer im 19. Jahrhundert zu erzählen. Ich fand es sehr spannend, Deutsche einmal nicht als Von-der-Migration-Betroffene, sondern als Migranten zu zeigen. Denn das waren keine Einzelfälle. In dem Zeitraum von etwa 1830 bis 1900 sind an die sechs Millionen Deutsche in die USA ausgewandert. Das war lange Zeit die größte Auswanderergruppe in die USA. Mich hat interessiert, so einmal einen anderen Blick auf die deutsche Geschichte zu werfen.“

In Deutschland wird viel über Immigranten und Migranten gesprochen, deutlich weniger dagegen über Deutsche, die selbst im Ausland auf einen Neustart gehofft haben. Ist dieser Teil der deutschen Geschichte Ihrer Ansicht nach bislang zu wenig beachtet worden, in der Kultur und der Gesellschaft?

„Es ist schon erstaunlich, wie wenig das präsent ist, weil es den Blick auf heute auch komplexer machen könnte. Es ist sicher nicht ganz zufällig, dass es nicht so zentral ist in der deutschen Geschichtsschreibung. Genau das fand ich aber auch spannend. Also die Tatsache, dass es mir ein bisschen wenig beachtet erschien. Es wird ja viel Politik damit gemacht, Deutschland als homogene Kultur verkaufen zu wollen. Wenn man sich aber die heutige Gegenwart anguckt, ist das in keiner Weise stimmig. Es ist aber auch nicht stimmig, wenn man sich die Geschichte anguckt. Sie ist durchzogen von Ein- und Auswanderungen, viele Linien ziehen ins Ausland und vom Ausland nach Deutschland.“

Auf den Goldrausch am kanadischen Klondike River sind Sie zufällig gestoßen, durch ein Buch mit Fotos und Tagebuchauszügen. Was hat Sie daran so fasziniert, einen Film darüber zu drehen?

„Den ersten Impuls kann ich nur schwer beschreiben, die Fotografien haben mich aber berührt. Dieser Goldrausch war sehr gut dokumentiert, weil es damals schon die handlichen Amateurkameras gab. Es gibt auch viele andere Zeugnisse wie Briefe und Tagebücher. Das hat mich gepackt. Auch den Antrieb dieser Menschen nachzuvollziehen, die in der Regel in armen Verhältnissen gelebt haben und alles auf eine Karte gesetzt haben, um ihrem Leben eine Wende zu geben. Das fand ich berührend und habe mich dann immer weiter in die Thematik eingearbeitet.“

Mit der Rolle von Nina Hoss – einer deutschstämmigen Goldsucherin – stellen Sie eine Frau und damit auch die Frage der Emanzipation zur damaligen Zeit in den Mittelpunkt. Warum haben Sie sich dazu entschieden?

„Mir ist wichtig, dass es eine Ensemble-Geschichte ist, wo es um eine Gruppe geht. Ich fand es aber auch interessanter, eine Frau im Zentrum zu haben, weil es für mich die größere Herausforderung darstellte. Außerdem war mir das in den Tagebüchern öfter aufgefallen, dass sich damals – was eigentlich gar nicht vorgesehen war – Frauen ganz alleine auf den Weg gemacht haben oder sich einer Gruppe angeschlossen haben, um ihr erstickendes Leben hinter sich zu lassen. Das war eine Möglichkeit, aus allem auszubrechen, was man vorher als erdrückend empfunden hat.“

Viele sehen den Film „Gold“ sicherlich als Western. Sehen Sie ihn auch als Genrefilm?

„Er hat auf jeden Fall Genreelemente, alleine schon durch eine der Figuren, den Carl Boehmer. Der ist zwar auch Auswandererkind, ist aber als einziger dieser Gruppe im amerikanischen Westen aufgewachsen. Er ist damit die Figur, die den alten amerikanischen Westen repräsentiert. Aber als reinen Western würde ich den Film nicht bezeichnen. Er spielt 1898, da sind bestimmte Themen schon längst zu Ende gebracht, wie die Grenzziehung und die Legendenbildung. Das ist da schon abgeschlossen und hallt nur noch ein bisschen in den Film mit hinein, kann aber zu dieser Zeit nicht mehr zentral sein.“

Reizt es Sie, sich innerhalb eines Genres zu bewegen?

„Ich hatte nicht die Idee, einen Western zu drehen, das war nicht der Ausgangsimpuls. Stattdessen hat mir die Geschichte ermöglicht, Genreelemente mit hineinzunehmen. Das ist also erst durch die Beschäftigung mit dem Thema entstanden. Ich finde es interessant, mit Genreelementen zu arbeiten, auch wenn immer auch darauf achte, dass nicht alles in einem Genre bleibt, sondern über das Genre hinaus in die Realität geht.“

Über den Klondike-Goldrausch gibt es mehrere Filme, darunter zum Beispiel das Werk „Goldrausch“ von Charles Chaplin. Haben Sie sich in Ihrer Vorbereitung Filme wie diesen angeschaut?

„Ja, sehr viele, darunter auch „Goldrausch“. Ich habe aber auch viele Western geschaut, wo es um Trecks ging, die sich von einem Ort zum anderen bewegt haben – denn damit hat mein Film ja am ehesten zu tun. Dazu gibt es viele Werke, das ist fast wie ein Subgenre des Western. Ich kannte diese Filme meist alle schon vorher, denn das ist ein Genre, das mich sehr beeindruckt. Ich habe sie mir dann aber noch einmal unter ganz bestimmten Gesichtspunkten angeschaut. Gerade bei dem Treck-Filmen war sehr interessant, wie der Raum erfasst und erzählt wird.“

Wie war es für Sie, wochenlang in der Natur und mit den Pferden zu drehen?

„Sehr einzigartig. Das war für mich völlig neu, aber auch eine entsprechende Herausforderung. Mit so vielen Pferden zu arbeiten, beinhaltet immer eine Art dokumentarische Komponente, die man nicht so beherrschen kann. Da mussten wir uns erst einmal herantasten.“

Welche Herausforderungen gab es dabei außerdem?

Arslan: „Es gibt ja Dialogszenen auf dem Pferd und Szenen, wo die Schauspieler in einer halbwegs choreografierten Formation halten oder reiten müssen. Das ist relativ schwierig, weil es ja eine gewisse Form haben soll, wenn man das filmen möchte. Die Schauspieler mussten auch viel physische Arbeit leisten, was auf gewisse Weise auch gut war. Denn so war gar nicht so viel innerliche Versenkung in die Rolle notwendig, sondern das waren für sie – und für mich auch – physisch sehr anstrengende Dreharbeiten: den ganzen Tag auf dem Pferd sitzen und an Orten zu drehen, die teilweise sehr schwer zu erreichen waren. Das war eine ziemliche körperliche Anstrengung; passte aber auch zu der Geschichte.“

Sie sind das erste Mal im Wettbewerb der Berlinale. Als Sie das erfahren haben, was hat da überwogen: Freude oder Angst, den Film in so einer großen Konkurrenz zu zeigen?

„Das freut mich natürlich, denn es verschafft dem Film eine gewisse Aufmerksamkeit. Es ist, glaube ich, müßig sich da jetzt allzu viele Gedanken zu machen, was da sonst noch läuft und wie das beurteilt wird. Das habe ich nicht in der Hand – und deswegen freue ich mich jetzt erst einmal!“