Filmfieber

Kosslick und Neumann sprechen über ihr „Berlinale-Fieber“

| Lesedauer: 27 Minuten
Florian Kain und Matthias Wulff

Foto: Reto Klar

Berlin und die Berlinale: Kulturstaatsminister Neumann und Festivalleiter Kosslick über kuriose Filme, Fördermillionen und eine Handtasche.

Der Countdown läuft. Ab Donnerstag blickt die internationale Filmwelt wieder nach Berlin: Bei der 63. Berlinale haben Stars wie Catherine Deneuve, Jane Fonda, Jude Law, Matt Damon, Martina Gedeck und Til Schweiger auf dem roten Teppich ihr Stelldichein.

Florian Kain und Matthias Wulff baten aus diesem Anlass Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) und Festivalchef Dieter Kosslick zum großen Doppelinterview. Sie wollten wissen: Was ist das Erfolgsgeheimnis des größten Publikumsfestivals der Welt? Welche Bedeutung hat die Berlinale für die Bundesregierung? Und: Streiten sich der zuständige Minister und der Festivalleiter manchmal hinter den Kulissen ums Programm?

Berliner Morgenpost: Herr Neumann, Hand aufs Herz: Sie sind doch viel mehr Kinostaatsminister als Kulturstaatsminister, oder?

Bernd Neumann: Ich bin beides. Und beides mit Begeisterung!

Aber vor allem bekannt als großer Kinofan. Was fasziniert Sie so am Film?

Neumann: Ja, ich bin ein bekennender Kinofan. Es gibt für mich kaum ein Medium, das so emotional ist wie der Film. Die Fotografie und das Theater in Ehren – aber die Gefühle, die Filme auslösen können, sind dann doch oft überwältigender. Mit dem Kino kam ich schon als Schüler in Berührung. Damals organisierte ich als Chef der Film-AG am Gymnasium Vorführungen – der erste Film, den wir zeigten, war der Klassiker „Wir sind alle Mörder“ von André Cayatte. Es gab ein großes Interesse daran, und so ging es immer weiter. Dem Kino blieb ich in allen Ämtern und Funktionen, die ich innehatte, verbunden. Regelmäßige Einladungen, in Wettbewerbsjurys mitzuwirken – auch beim Deutschen Filmpreis –, habe ich immer gerne wahrgenommen. Wenn Sie so wollen, konnte ich also tatsächlich mein Hobby mit zum Beruf machen, als ich zum Staatsminister für Kultur und Medien berufen wurde. Als ich 2005 mein Amt antrat, wurde deshalb in Künstlerkreisen bisweilen etwas abschätzig gelästert: „Ach, da kommt ja der Filmminister“, wenn ich irgendwo eine Rede hielt. Das ist jetzt über sieben Jahre her, und ich glaube, dass meine Arbeit inzwischen gezeigt hat, dass ich auch in den anderen Bereichen meines Amtes intensiv tätig und ganz erfolgreich war.

Erinnern Sie sich an Ihre ersten Kino-Erlebnisse?

Neumann: Zunächst waren das, offen gestanden, die typischen 50er-Jahre-Western. Als ich dann etwas erwachsener und anspruchsvoller wurde, hat mich der russische Schwarz-Weiß-Klassiker „Die Kraniche ziehen“ unglaublich beeindruckt. Das habe ich übrigens mit Hannelore Elsner gemeinsam, die in ihrer Autobiografie schreibt, dass dieser Film sie damals fünfmal hintereinander ins Kino zog. Mir ging es genauso.

Herr Kosslick, müssen Sie als Festivalchef im Kino Ihre Tränen unterdrücken?

Dieter Kosslick: Nein. Ich genieße ja den Luxus meines eigenen Berlinale-Kinos. In dem kann ich drauflosheulen, wie ich will, und niemand sieht’s. Zum Glück! Denn bei mir geht das immer relativ schnell los mit der Weinerei, sogar aus nichtigen Anlässen. Also zum Beispiel wenn sich Leute voneinander trennen oder zusammenkommen – was ja geschätzt in 98 Prozent aller Filme der Fall ist. Da ist es dann gut, wenn um mich herum nicht eine Tonne Popcorn und zehn Liter Cola auf zwanzig Tonnen Eis serviert werden. Wenn ein Film mich nicht ankickt, dann stimmt was nicht. Für die Berlinale wurden wieder mehr als 6000 Filme bei uns eingereicht. Ich kann das so genau sagen, weil wir ja in Deutschland sind, und deshalb selbstverständlich jeder einzelne mit einem Eingangsstempel versehen wird (lacht). Filme, die nicht emotionalisieren, hat man dann am nächsten Tag schon vergessen. Wir haben dieses Mal zum Beispiel sieben Filme aus osteuropäischen Ländern bis nach Kasachstan im Programm. Die entführen zum Teil in Welten, die man noch nie gesehen hat und eigentlich auch nie sehen will. Weil die Umstände, unter denen die Menschen dort leben, so fürchterlich sind.

Herr Neumann, geht Ihre Liebe zum Kino denn so weit, dass Sie sich auch ins Berlinale-Programm einmischen? Immerhin finanzieren Sie das Festival ja.

Neumann: Also nein, mit dem Programm habe ich überhaupt nichts zu tun. Das kann auch nicht meine Aufgabe sein, sondern es ist allein die des Berlinale-Chefs. Was ja auch den Vorteil hat, dass ich dann nicht für einzelne Wettbewerbsbeiträge in Mithaftung genommen werden kann, wenn sie auf Kritik stoßen. Auf solche Filme angesprochen, zucke ich dann nur mit den Schultern und verweise auf Dieter Kosslick (lacht).

Und trotzdem gilt: Ohne das Geld aus Ihrem Etat gäbe es die Berlinale gar nicht.

Neumann: Jedenfalls nicht so, wir wir sie kennen! Der Bund leistet Jahr für Jahr die Grundfinanzierung der Berlinale in Höhe von 6,5 Millionen Euro. Mit diesem Betrag kann die Berlinale auch in Zukunft rechnen. Als Dieter Kosslick im Mai 2001 ins Amt kam und der Gesamtetat inklusive Sponsorengelder noch elf Millionen Euro betrug, war das fraglos der mit Abstand größte Brocken. Seitdem hat sich dieses Verhältnis aber verändert, der Etat der Berlinale beläuft sich mittlerweile auf 21 Millionen Euro. Das heißt also, dass sich mittlerweile zwei Drittel der Kosten durch Sponsorenbeiträge, Eintrittspreise und Merchandising refinanzieren. Das macht das Festival unabhängiger vom Bund, und das finde ich gut. In aller Form will ich einmal betonen: Es ist allein Dieter Kosslick zu verdanken, dass die Attraktivität, Qualität und Bedeutung der Berlinale enorm gewachsen sind, dass auch die Chancen auf zusätzliche Mittel heute größer sind als je zuvor in der Geschichte des Festivals. Der Bund fördert darüber hinaus Sonderprojekte wie den sogenannten World Cinema Fund, mit dem die Entwicklung und Förderung des Kinos in filminfrastrukturell schwachen Regionen angekurbelt werden soll. Das ist nicht der originäre Auftrag der Berlinale, aber passt doch wunderbar zu ihr. Und ansonsten befindet sich die Berlinale, wie Sie wissen, ja unter dem Dach der Berliner Festspiele …

… wo Sie als Aufsichtsratsvorsitzender ebenfalls ein gehöriges Wort mitzureden haben …

Neumann: … was hinsichtlich der Programmgestaltung nun wirklich keine Auswirkungen hat. Herr Kosslick, bitte bestätigen Sie doch der Berliner Morgenpost, dass ich Ihnen nicht ins Programm reinrede!

Kosslick: Ich würde es zwar nur ungerne zugeben, wenn es so wäre – aber es ist wirklich nicht so. Hat auch noch nie einer probiert.

Wie viel Kulturstaatsminister steckt dann in der Berlinale?

Kosslick: Klar ist: Mit der außergewöhnlichen Programmvielfalt aus rund 400 Filmen in 1110 Vorführungen wäre es ohne das Engagement des Bundes vorbei. Ohne die 6,5 Millionen Euro aus dem Etat von Herrn Neumann gäbe es keine Legitimation, ein derart artistisches Programm zu machen, das sich gewaschen hat – Folterfilme eingeschlossen.

Neumann: Ich kann mich noch an ein Jahr erinnern, in dem es nicht ganz so gut zu laufen schien und Dieter Kosslick sich sorgte, ob die verabredeten Sponsorengelder wirklich eintreffen, ob er vielleicht lieber das Programm reduzieren sollte. Ich habe ihm dann Mut gemacht und gesagt: Nein, Sie werden es auch diesmal wieder schaffen, und falls doch alle Stricke reißen, dann werden wir eine andere Lösung finden. Denn schauen Sie: Die Berlinale ist – was die Zuschauerzahl betrifft – das größte Filmfestival der Welt. Dieses A-Festival ist ein Leuchtturm deutscher Kulturpolitik. Es gibt kein Kulturereignis in Deutschland und in Berlin, welches eine so breite Öffentlichkeit, eine so hohe Aufmerksamkeit erreicht. Es liegt im Interesse der Bundesrepublik, ein solches kulturelles Highlight auszurichten und auch zu pflegen.

Das Kuriose an der Berlinale ist allerdings, dass die Leute doch sowieso mit Begeisterung in die Folterfilme strömen, mit denen man sie den Rest des Jahres jagen könnte.

Kosslick: Das Erfolgsgeheimnis der Berlinale ist, dass wir die Zuschauer nicht für blöd halten. Wir liefern ihnen das, was sie vermissen. Also Filme in der Originalsprache, ohne Synchronisation, auch anspruchsvolle deutsche Filme und möglichst kontroverse Beiträge, über die man danach leidenschaftlich diskutieren kann. Angelina Jolies Regiedebüt, das Balkankriegs-Drama „In the Land of Blood and Honey“, war 2012 beispielsweise so ein Film und von der ersten bis zur letzten Vorführung restlos ausverkauft. Dieses Prinzip setzt sich auch beim Nachwuchs fort: Allein die Sektion „Generation“ zieht jedes Jahr 60.000 Kids und Jugendliche in die Kinos. Die wollen kein Eiapopeia und keine Gewalt – sondern realistische Filme, die ihnen zeigen, wie es anderen Kindern geht. Wir treffen da also einen Nerv. Und trotzdem bleibe ich bei meiner These: Das Festivalprogramm wäre ein anderes, wenn wir wegen fehlender Bundesgelder gezwungen wären, eine rein kommerzielle Unternehmung sein zu müssen. Grundsätzlich hat die Begeisterung für spezielle Filme sowieso immer schnell ein Ende, wenn man sie nicht in einen intellektuellen, politischen und kommunikativen Zusammenhang stellt.

Wurde Ihre Arbeit leichter, als der Filmfan Neumann sein Büro im Kanzleramt bezog?

Kosslick: Es war mit keinem seiner Vorgänger wirklich schwierig – alle mochten Kino. Aber mit Bernd Neumann geht es besonders gut. Seit er da ist, gibt es aber nicht nur für den Film mehr Geld, sondern auch für die Oper, für Stiftungen, für Museen. Und das mögen wir Kulturschaffenden natürlich alle.

Neumann: Mein Etat ist in den letzten Jahren im Gegensatz zu denen in allen anderen europäischen Läden deutlich gewachsen – auf inzwischen rund 1,3 Milliarden Euro im Haushaltsjahr 2013. Das waren – und darauf bin ich wirklich stolz – noch einmal 100 Millionen Euro mehr als im vorigen Jahr. Dieter Kosslick braucht ja gar kein zusätzliches Geld. Aber es hilft auch ihm, dass wir über den Deutschen Filmförderfonds immer häufiger die Produktion herausragender Filme unterstützen können – weil das wiederum für qualitativ bessere deutsche Beiträge bei der Berlinale sorgt, die man dann auch im Wettbewerb zeigen kann. Trotzdem braucht man dann aber einen Direktor vom Schlage eines Dieter Kosslick, der ein wirkliches Interesse daran hat, dem deutschen Film wieder eine Plattform zu geben. Ich meine, so sehr die Berlinale ein internationales Festival ist und bleiben soll, so sehr ist es dennoch wünschenswert, dass deutsche Produktionen dabei auch eine Hauptrolle spielen und mitunter Furore machen. So wie „Barbara“, dieser faszinierende Film von Christian Petzold, der 2012 mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde …

Kosslick: … und nun um die Welt geht!

Herr Neumann, Sie fördern ja in der Tat inzwischen so ziemlich alles, was es gibt: den Verleih deutscher Filme, die Projektentwicklung von Kinderfilmen, Drehbücher für programmfüllende Spielfilme – und, und, und. Ist der deutsche Film inzwischen ein einziges Regierungsprogramm?

Neumann: Zunächst einmal kümmern wir uns ja um die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Kultur. Und ja, Sie haben recht – wir unterstützen eine Menge. Ohne Förderung geht es im Prinzip nicht. Das gilt für das Kino, das gilt aber zum Beispiel auch für das Theater oder für den Denkmalschutz. Auf der anderen Seite erwirtschaftet Kultur ja auch wieder Geld. Ohne Kultur wäre Berlin nur arm und nicht sexy. Das beste Beispiel dafür ist doch die Berlinale! Wenn durch die Ausgaben der Fachbesucher und die Touristen allein 2012 ein zusätzliches Brutto-Inlandsprodukt von 122 Millionen Euro erzielt und 370 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen wurden, wie eine Studie besagt, dann kann sich das sehen lassen. Andererseits ist Kultur aber auch ein Selbstzweck.

Kosslick: Schauen Sie doch einfach mal in den Subventionsführer, da ist auf 1100 Seiten nachzulesen, was in Deutschland alles subventioniert wird. Im Vergleich zur Energiewirtschaft bekommen wir einen Klacks. Oder im Vergleich zur Waffenproduktion, die noch staatlich subventioniert wird. Über was reden wir eigentlich?

Jetzt reden wir über Filme und nicht über Waffen. Und so, wie Sie beide argumentieren, ist es ja immer: Es gibt immer gute Gründe, irgendetwas zu subventionieren, die schöne Musik, der gute Film, das alte Schloss. In Wahrheit finanzieren das aber die Steuerzahler. Und Sie, Herr Staatsminister, rühmen sich für Ihren steigenden Etat, statt irgendwo einfach mal zu verzichten.

Neumann: Moment mal, wir vergeben keine Subventionen, sondern wir fördern im Sinne einer Investition. Eine so beeindruckende Vielfalt kultureller Angebote wie in Deutschland gibt es sonst kaum auf der Welt. Und der Staat sieht es als seine Pflicht an, diese zu erhalten. Wir möchten nicht, dass unsere Denkmäler, unsere Museen, unsere kulturellen Einrichtungen verkommen. Diese Mittel darf man nicht gleichsetzen mit massiven Subventionen wie etwa in der Landwirtschaft. Damit Sie es genau wissen: Wir haben sogar noch zu wenig Mittel.

Also frei nach dem Motto: Mehr Steuergeld für die Kultur? Klar, warum nicht, immer raus damit?

Neumann: Es gibt außer ein paar versprengten Ideologen niemanden, der die Kulturförderung infrage stellt. Schauen Sie nach Italien, was dort zum Beispiel nicht saniert werden kann oder nach Frankreich, wo ebenfalls erstmals massiv gekürzt wird. Es ist gut für Deutschland, dass das hier anders ist. Ich bin als Handlungsreisender in Sachen Kultur unterwegs und unterstütze auch Kollegen in den Bundesländern, wenn dort Einsparungen drohen. Ich werbe für die Förderung der Kultur in diesem Land.

Herr Kosslick, würden Sie sagen, es ist das Verdienst von Herrn Neumann, dass der deutsche Film wieder respektiert wird?

Kosslick: Erinnern Sie sich noch an die Achtzigerjahre? Da läpperte es tatsächlich nur so vor sich hin, bis irgendwann diese „Ikea-Komödien“ auf der Bildfläche auftauchten, in der sämtliche Möbel gleich aussahen, weil mit öffentlichem Fördergeld ja sparsam umgegangen werden musste – aber die Zuschauer sich trotzdem totlachten, weil sie das Lebensgefühl dieser Zeit so gut einfingen. Richtig Schwung in die Sache kam dann, als die Länder ihre Filmförderprogramme ausbauten und – jawohl – auch der Bund im großen Stil in die Förderung einstieg. Da stand für mich fest, dass wir unbedingt mehr deutsche Produktionen im Wettbewerb haben müssen. Auch wenn das am Anfang natürlich riskant war, da ja nicht ich derjenige bin, der die Bären verteilt, sondern immer eine international besetzte Jury. Da war es wirklich ein Befreiungsschlag, als Fatih Akin 2004 den Goldenen Bären für „Gegen die Wand“ bekam. Und inzwischen? Ist es fast schon normal, dass ein deutscher Schauspieler wie Christoph Waltz mit dem Golden Globe ausgezeichnet wird.

Allerdings werden deutsche Filme auf anderen Festivals wie Cannes weiter ignoriert. Kann man dagegen etwas unternehmen?

Kosslick: Cannes – muss aber nicht (lacht). Im Ernst: Ich habe ja mal gesagt, ich werde die deutschen Filme so lange präsentieren, bis Thierry Frémaux, der Festivalleiter von Cannes, sie mir wegnimmt. Das klappt noch nicht so ganz. Aber ist doch egal. Hauptsache, diese Filme finden auf einem großen Festival statt und erreichen das Box Office, also den Kartenschalter.

Hatten Sie dieses Jahr mehr Schwierigkeiten, an gute Wettbewerbsfilme zu gelangen?

Kosslick: Immer mehr Premieren gehen wegen der Vorverlegung der Academy Awards auf Ende Februar ja nun an Weihnachten oder spätestens im Januar über die Bühne, damit die Produktionen sich noch für den Oscar qualifizieren können. Das beschert mir nachts manchmal Albträume. Da sitze ich in einem Käfig und zerre an den Gittern und komme nicht raus und kann trotzdem gar nichts dagegen machen. Denn natürlich hätte ich auch gern den neuen Tarantino im Programm gehabt! Geht aber nicht, weil „Django Unchained“ wegen der Oscars bereits vor Weihnachten in den USA und bei uns im Januar gestartet ist. Und das Verflixte ist, dass der Festivalkalender von Dubai bis Los Angeles komplett zugepflastert ist, weshalb es auch nichts bringen würde, die Berlinale früher beginnen zu lassen. Und nach uns ist dann wieder die Mipcom in Cannes dran – nach hinten verlegen ist also auch keine Alternative. Trotz dieser schwierigen Terminlage haben wir viele Stars und große Hollywood-Filme im Programm. Am 8. Februar feiern wir im Friedrichstadtpalast „Les Misérables“ in Anwesenheit der Hauptdarstellerin Anne Hathaway. Und zum Abschluss gibt es am zweiten Freitag die Weltpremiere von „The Croods“ – ein Dreamworks-Film, zu dem Nicolas Cage und Emma Stone kommen. Berlin bleibt ein Teppich, über den man gerne läuft. Das betrifft auch die Fachbesucher und hat damit zu tun, dass der European Film Market so floriert, seit er im Gropius-Bau ist und wir ihn neu positioniert haben. Ich hoffe dennoch, dass der Oscar wieder auf Ende März verschoben wird, denn die Amerikaner haben ja selber Probleme mit dem Datum.

Andererseits ist der Februar-Termin der Berlinale doch wirklich ein Abtörner, finden Sie nicht, Herr Neumann?

Neumann: Zugegeben, das Wetter ist in Cannes zweifellos besser. Andererseits hat der meist bitterkalte Berliner Februar ja auch seine Vorteile: Ich glaube nämlich, offen gestanden, dass auch die Temperaturen dazu beitragen, dass hier mehr als 300.000 Leute in die Kinosäle strömen. Die Hauptstadt lebt in seiner Wirkung auch von diesem jährlichen Ereignis zwischen Fashion-Week und Deutschem Filmpreis. Ich plädiere dafür, beim Februar-Termin zu bleiben.

Stört es Sie als CDU-Mann manchmal, dass die Berlinale tendenziell auf links gebürstet ist?

Neumann: Ich finde es gut, dass der Festivalleiter Wert darauf legt, mit politischen Themen auch Anstoß zu erregen. Außerdem ändern sich ja auch Zeiten, und sogar die CDU ändert sich (lacht). Die Achtundsechziger-Zeiten sind passé. Was Konservative damals aufgeregt hat, lockt doch heute keinen mehr hinterm Ofen hervor. Gerade die Menschenrechte als traditioneller Berlinale-Schwerpunkt sollten sowieso Anliegen jedes Demokraten sein, sie sind keine Frage von links oder rechts. Und die einseitige Polarisierung, über die ich mich vielleicht erregen könnte, findet ja gar nicht statt.

Obwohl Sie ja als Konservativer gelten.

Neumann: Vielleicht wegen mancher politischen Diskussionen, die wir als Christdemokraten früher in den Aufsichts- und Rundfunkräten geführt haben, auch über die Programme! Wir haben uns früher wirklich aufgeregt über Redakteure, die mit jedem Beitrag die Welt in ihrem Sinne verändern wollten, weil wir genau das nicht wollten! Und die Straße, die zu Radio Bremen führte, nannten wir dann Anfang der Siebzigerjahre die Straße nach Hanoi (lacht). Das war die Phase der Ideologisierung auf beiden Seiten, aber die gibt es nicht mehr. Manche sagen: Schade, das war spannender. Ich sage: Gott sei Dank, weil dadurch Sachgesichtspunkte dahin rücken, wo sie hingehören: in den Mittelpunkt.

Herr Kosslick, erschwert das Ihre Arbeit, wenn sich keiner mehr empören will?

Kosslick: Wir bleiben weiter politisch. Ich habe das Berlinale-Bett diesbezüglich ja nicht neu gebaut, als ich kam. Ich habe zwar die Matratze, das Federbett und den Bezug gewechselt – natürlich alles in Öko-Qualität – aber ansonsten eine Tradition fortgeführt, die bereits 1951 im Kalten Krieg begründet wurde. Die Berlinale war das Festival, das vor dem Mauerbau über den Eisernen Vorhang hinweg in den Ostteil der Stadt ausstrahlen sollte.

Ging es damals nicht erst mal nur um Glamour?

Kosslick: Der Glamour war Teil einer riesigen Propagandaschlacht im Kampf der Systeme. Das ist Geschichte. Der Politikbegriff hat sich seitdem erweitert. So kann man sich in diesem Jahr anschauen, welche gesellschaftlichen Kollateralschäden der Banken-Crash in Ex-Jugoslawien, in Bulgarien und sogar in Afrika angerichtet hat. Und dann hoffe ich natürlich, dass der Bundestag geschlossen vorbeikommt, wenn wir „Promised Land“ zeigen – da geht es um Fracking, die umstrittenste Form der Erdgasförderung, die es weltweit gibt.

Darf denn auch gelacht werden?

Kosslick: Aber klar, auch im Wettbewerb. Und wir zeigen in der Retrospektive Werke von Billy Wilder und Ernst Lubitsch und die Komödie „Viktor und Viktoria“ von Reinhold Schünzel, einem später zu Unrecht in Vergessenheit geratenen jüdischen Regisseur. Es war einer der beliebtesten Musikkomödien der Hitler-Zeit und trotz seines jüdischen Glaubens stand Schünzel lange Zeit unter der besonderen Protektion Hitlers. Aber 1937 ist Schünzel nach Hollywood emigriert, weil er dann doch zunehmend Schwierigkeiten bekam. Da hat er es dann leider nie geschafft, richtig Fuß zu fassen, und wurde von einigen anderen Emigranten wegen seiner im nationalsozialistischen Deutschland realisierten Filme angegriffen. Nach dem Krieg ging er zurück nach Deutschland und starb in Hamburg.

Herr Neumann, worauf freuen Sie sich besonders bei der 63. Berlinale?

Neumann: Natürlich auf die beiden deutschen Wettbewerbsbeiträge, also „Gold“ von Thomas Arslan und „Layla Fourie“ von Pia Marais, beide mit höchst interessanten Themen, und beide vom Deutschen Filmförderfonds unterstützt, die will ich nicht verpassen. Insgesamt sind es mindestens sieben Filme, die ich mir anschauen möchte.

Auch in einem eigenen Vorführraum wie Herr Kosslick?

Neumann: Nein, ich bin nicht so privilegiert, ich sitze ganz normal im Publikum …

Kosslick: … na ja, im letzten Jahr hatten wir Sie neben Meryl Streep platziert …

Neumann: … ja, Herr Kosslick weiß genau, wie er mich motivieren kann. Und als Frau Streep dann irgendwann auf die Bühne musste und mich bat, ihre Handtasche zu halten, bis sie wiederkommt, war das doch ein echter Vertrauensbeweis. (lacht)

Geben Sie der Kanzlerin Empfehlungen, welche Filme sie sich während der Berlinale anschauen sollte?

Neumann: Gelegentlich schon. 2011 beispielsweise habe ich für „Pina“ geworben. Das war dann auch ihr erster Film, den sie sich in 3-D angeschaut hat …

Kosslick: … das war der Abend mit dem höchsten Protokoll in der Geschichte der Bundesrepublik: Bundeskanzlerin, Bundespräsident und der Kulturstaatsminister. Und alle drei mit dieser Brille …

Schadet es der Berlinale, dass der neue Hauptstadtflughafen in absehbarer Zeit nicht eröffnet wird?

Kosslick: Keine Häme. Die Sache ist ernst genug. Also mit Humor: Viele internationale Stars haben doch inzwischen schon Wohnungen in Berlin, weil sie Angst haben, dass sie hier nicht mehr reinfliegen können (lacht). Wir haben es auch verkraftet, als Tempelhof geschlossen wurde, wo wir früher immer unsere Stars so schön mit Blumenstrauß empfangen konnten. Jetzt sparen wir zumindest Fahrtkosten, das sind immerhin 35.000 Euro. Aus schwäbischer Sicht ist die Fahrt vom Flughafen Tegel zur Berlinale einfach das größere Schnäppchen.

Herr Kosslick, Sie leiten die Berlinale jetzt seit zwölf Jahren. Macht Ihnen der Job noch Spaß?

Kosslick: Grundsätzlich sollte man mal festhalten, dass das einer der besten Jobs der Welt ist, wenn ich das mal so bescheiden sagen darf. Wenn Berlinale ist, wird die Stadt wirklich angeglüht. Das ist schon toll, Gäste aus aller Welt mit ihren Filmen zu empfangen und das Beste der Stadt zu repräsentieren, nämlich ihre Toleranz. Nicht umsonst hatten wir auf unseren Plakaten „Accept diversity“, „Towards Toleranz“ gedruckt …

… angesichts der Schwaben-Diskussion bekommt so ein Aufruf eine völlig neue Note.

Kosslick: Vielleicht kommt ja auch der Ministerpräsident von Baden-Württemberg zur Berlinale, um uns Schwaben als eine der größten Minderheiten in Berlin jetzt moralisch zu unterstützen (lacht). Und das alles nur wegen eines Weckles. Aber da trug die Stadt mal wieder einen Sieg davon: Zum Frühstück gibt es jetzt „Schripple“.

Die Berlinale bedeutet für Sie sicher auch den totalen Party-Stress, oder?

Neumann: Bei uns beiden landen tatsächlich stapelweise Einladungen, aber ich bin da gegenüber Dieter Kosslick im Vorteil. Während er als Festivalleiter bei jeder Veranstaltung sein muss – und deshalb manchmal auch bei zwei Partys gleichzeitig anwesend ist (lacht) –, kann ich es mir erlauben, dann auch mal eine Einladung auszuschlagen.