Der Film “Almanya“ nimmt sich mit viel Humor dem Thema Einwanderung an. In der Türkei hieß es, Deutsche seien dreckig und hätten kaum Gemüse.
Den Dortmunder Filmemacherinnen Yasemin (37) und Nesrin Samdereli (31) ist das Kunststück gelungen, gleich mit ihrem ersten Kinofilm zur Berlinale eingeladen worden zu sein. Dort wurde "Almanya. Willkommen in Deutschland" außer Konkurrenz gezeigt.
In ihrer Feelgood-Integrations-Komödie erzählen die Schwestern die Geschichte des 1000001. Gastarbeiters in Deutschland. 2002 drehten die beiden ihren ersten Fernsehfilm "Alles getürkt!", zudem wirkten sie als Autorinnen der preisgekrönten TV-Serie "Türkisch für Anfänger" mit.
Morgenpost Online: Warum haben Muslime so ein schwieriges Verhältnis zum Humor?
Nesrin Samdereli: Wir kommen aus einem liberalen Haushalt. Zudem sind wir alevitisch geprägt, was ja ohnehin reformierter ist. Deshalb ist unser Film auch frei von religiösen Themen. Was unsere Absicht war - schließlich ging es um das, was wir selbst erlebt haben.
Morgenpost Online: Ich glaube, die Frage muss man eher anders herum stellen...
Yasemin Samdereli: Sie meinen, dass die Deutschen ein noch viel komplizierteres Verhältnis zum Humor haben?
Morgenpost Online: Ich sage mal so: Die Wahrnehmung der Deutschen im Ausland – mein Freund ist übrigens Engländer – ist nicht davon geprägt, dass man sie für ihren brillanten Humor schätzt.
Nesrin: Na ja: Wir sind ja auch deutsch und wissen natürlich, dass es auch hier guten Humor gibt. Ich habe trotzdem das Gefühl, dass man das in Deutschland eher in so etwas wie Comedy-Shows kultiviert – während andere Länder den Humor mehr in ihrem Alltag verankert haben.
Morgenpost Online: Funktioniert Humor im Türkischen einfacher?
Nesrin: Man kann auf Türkisch schneller witzig sein.
Yasemin: Und schöner übertreiben.
Morgenpost Online: "Almanya" hat viele biografische Elemente. Wie bizarr hat Deutschland damals auf Ihre Eltern gewirkt?
Nesrin: Damals gab es noch nicht die heutigen Möglichkeiten der Informationsbeschaffung. Deshalb kursierten Gerüchte unter den Türken. Etwa: In Deutschland gibt's kein Gemüse, nur Kartoffeln. Oder: Die sind dreckig.
Morgenpost Online: Dreckig? Warum?
Yasemin: Die haben keine Hamams, keine Badehäuser.
Nesrin: Außerdem war es früher ja nicht immer üblich, dass es in deutschen Mietswohnungen ein richtiges Badezimmer gab. Meine Mama war auch von der fehlenden Körperenthaarungs-Kultur wie im Orient schockiert: Achselhaare bei einer Frau – das sieht ja aus wie bei einem Kerl! Und das ist unhygienisch!
Nesrin: Unsere Oma hat uns mal erzählt, wie türkische Frauen versuchten, aus einer deutschen Waschküche ein Hamam zu machen.
Morgenpost Online: Der Film entstand also aus Erzählungen der Eltern und Großeltern...
Yasemin: Ja. Und uns war dieser Aspekt sehr wichtig, dass jemand etwas erzählt bekommt und welche Bilder dabei im Kopf entstehen.
Morgenpost Online: Was können die Deutschen von den Deutsch-Türken lernen?
Nesrin: Wir wollten mit dem Film niemandem etwas beibringen. Wichtig war uns zu zeigen, wie das alles anfing, und was es gab neben dem, was man kennt und dann leider oft sehr negativ ist.
Yasemin: Für mich ist es wichtig, dass man diese Bilder abbaut. Wenn eine Frau ein Kopftuch trägt, heißt es nicht, dass diese Frau nicht auch selbstbewusst ist. Es ist möglich, eine liebenswerte Haltung zu einem Menschen aufbauen, von dem man zunächst denkt: Das ist ein komplett anderer Kulturkreis. Als wir den Film einem deutschen Publikum gezeigt haben, hat es mich sehr gefreut, dass er so angenommen wurde. Die haben die Menschen in der Geschichte gesehen und nicht "die Türken".
Morgenpost Online: Wie hat die türkische Gemeinde auf Ihren Film reagiert?
Nesrin: Bislang positiv. Die ironische Erzählhaltung, die auch die Deutschen auf die Schippe nimmt, kam gut an. Man ist froh, mal nicht als Opfer dargestellt zu werden.
Yasemin: Viele haben sich wiedererkannt. Nicht jeder Vater zieht los, um seine Tochter zu ermorden, weil sie ein anderes Leben lebt.
Morgenpost Online: Es hat sehr lange gedauert, bis "Almanya" fertig geworden ist. Warum?
Nesrin: Es scheiterte immer wieder an der Finanzierung. Als wir gerade angefangen hatten, kam "Solino". Da hieß es: Das Thema haben wir jetzt schon, das hat das Publikum gesehen. Darauf folgte "Kebab Connection", und da war der Markt gesättigt.
Morgenpost Online: Der Film war von Anfang an als Integrations-Feel-Good-Movie geplant?
Nesrin: Schon. Integration war damals nicht so der Punkt. Es ging darum, eine türkisch-deutsche Familiengeschichte zu erzählen.
Yasemin: Es war schwierig, die vier Millionen zusammenzubekommen. Viele Sender hatten ihre Budgets schon verplant. "Zu leicht und zu heiter" – das haben wir oft gehört. Es ist viel einfacher, die dramatischen Stoffe zu realisieren. Weil die Financiers dann meinen, sie würden einen entwicklungshelfermäßigen Auftrag erfüllen.
Morgenpost Online: Wie dankbar sind Sie Thilo Sarrazin für die kostenlose Werbung?
Nesrin: Ehrlich gesagt, gar nicht. Wenn man für etwas dankbar sein kann, dann für die Debatte, die gerade im Gange ist. Die ist mühsam, aber auch notwendig.
Yasemin: Wir haben das Glück, anders wahrgenommen zu werden. Über uns sagt man: Ihr seid integriert, ihr sprecht super Deutsch. Aber für die Frau mit dem Kopftuch auf der Straße hat Herr Sarrazin etwas ganz, ganz Schlimmes gemacht: Er hat sie sozusagen zur Jagd freigegeben. Er hat aber auch ein verschrobenes Bild von den Deutschen, das ist ja schon fast süß. Er wünscht sich den Deutschen, der Schiller und Goethe zitiert – ja, wie viele Leute gibt's denn auf der Straße, die das können?
Morgenpost Online: Ausgangspunkt des Films ist ein kleiner Junge, der in der Schule nicht weiß, ob er zum deutschen oder zum türkischen Fußball-Team gehört. Kennen Sie das auch?
Yasemin: Ja. Ich habe sehr lange gebraucht, bis mir klar wurde, was das bedeutet. Ich habe nicht gecheckt, dass ich eine Ausländerin bin. Das kam erst durch die ständig wiederholten Äußerungen, dass ich so gut Deutsch spreche. Irgendwann machte es klick. Die Türken heißen Türken, weil sie in der Türkei leben, die Deutschen deutsch, weil sie in Deutschland leben. Was aber war mit uns? Und dann war die Frage da: Wie kommt es, dass wir hier sind? Da gab es eine gewisse Erleichterung, eine Zeit lang hatte ich so ein Kuckuckskindgefühl, dass man sich irgendwo eingeschlichen hatte. Man hatte uns gerufen, es war alles offiziell, wir sind nicht mit Tarnwesten über die Grenze gerobbt.
Morgenpost Online: "Almanya" ist ein Familienfilm. Ist der Zusammenhalt innerhalb der Familie etwas, das die deutsch-türkische von der deutschen Familie unterscheidet?
Yasemin: Wir haben ein positives Bild von der Familie. Mir ist das aufgefallen, als meine Mutter, mein Bruder, wir und ein Onkel mal gemeinsam in New York waren. Ein Amerikaner sprach mich an, der das mitbekommen hatte. Er meinte: Wie schaffen Sie das? Ich bekomme es noch nicht einmal hin, dass meine Mutter und meine Frau an Weihnachten drei Stunden miteinander verbringen, ohne dass sie sich streiten. Was ist das Geheimnis? Es gibt keines, außer, dass wir Spaß miteinander haben.
Morgenpost Online: Wie ist das, als Schwestern Regie zu führen?
Nesrin: Bei uns hat das sehr früh angefangen. Da war Yasemin frisch an der Filmhochschule und ich noch an der Schule. Ich hab immer geschrieben und sie meinte: Wenn du dich anstrengst, mache ich einen Kurzfilm daraus.
Yasemin: Das war kein Konflikt, sondern ein Miteinander.
Morgenpost Online: Wo liegt der Schlüssel für eine gelungene Integration?
Nesrin: Den gibt es nicht. Es ist auf jeden Fall keine Einbahnstraße. Beide Seiten müssen aufeinander zugehen.
Yasemin: Ein liebevoller respektvoller Umgang ist wichtig. Und Humor. Wenn man miteinander lachen kann, hilft das.