Am Boden in seinem schmalen Büro liegt ein Frosch, alle Viere von sich gestreckt, platt wie eine Flunder. Ein Kunstwerk. Hat ihm sein Vorgänger Florian Schöttle überlassen. „Wollen Sie das haben?“, fragt Florian Schmidt. Seit knapp einem Jahr ist der 40-Jährige Berlins Atelierbeauftragter, mit Büro in einem Altbau in der Köthener Straße, gleich am Potsdamer Platz. Zusammen mit dem Kultursenat setzt er das Atelierprogramm durch. 2014 haben sich auf 96 ausgeschriebene Ateliers 792 Künstler beworben – einer der höchsten Werte in der Geschichte der Atelierförderung. Schmidt hat außerdem die „Initiative Stadt Neudenken“ mitbegründet, koordiniert den Runden Tisch zur Liegenschaftspolitik im Abgeordnetenhaus. Der studierte Soziologe pendelt zwischen Berlin und Barcelona, wo er mit seiner Partnerin „Urbanitas Berlin Barcelona“ betreibt, ein Büro für lokale Entwicklung und Kultur.
Berliner Morgenpost: Knapp ein Jahr sind Sie im Amt. Wie sieht Ihre Bilanz aus, klappt die Zusammenarbeit mit der Kultursenatsverwaltung?
Florian Schmidt: Kulturstaatssekretär Tim Renner kam zwei Monate später ins Amt als ich, jetzt ist Michael Müller neuer Kultursenator. Das sind zwei Veränderungen, die die Arbeit des Atelierbeauftragen beeinflussen. Herr Renner ist ein Glücksgriff, denn Räume zu schaffen für die freie Szene, das ist einer seiner Schwerpunkte. Von Anfang an hatten wir eine enge Zusammenarbeit. Ich habe einen direkten Draht in die Kulturverwaltung, wir sehen uns jeden Monat zur Abstimmung. Ich werde auch beansprucht, wenn man mich bittet, Projekte, wie zum Beispiel das Atelierhaus Prenzlauer Promenade, mit zu entwickeln.
Wie viele Ateliers stehen unter Ihrer Obhut?
Im Moment managet das Atelierbüro 875 Ateliers, 449 stehen im Atelieranmietprogramm, 426 laufen als Sonderprojekte oder im Rahmen der Städtebauförderung. Davon sind x Atelierwohnungen. Die Mieten für Ateliers sind stets unter Vier Euro pro Quadratmeter. Bei den Atelierwohnungen steigen die Mieten leider aufgrund der Förderrichtlinien, die das so vorsehen, und so können nicht alle an Künstler vermietet werden. Diesen fast 900 Ateliers stehen rund 7000 bei uns angemeldete Künstler gegenüber die ein bezahlbares Atelier suchen. Die Hälfte der Künstler kann sich ein Atelier leisten, das maximal 250 Euro im Monat kostet. Viele können aber auch nur 100-Euro-Ateliers mieten. Deshalb bieten wir Ateliers verschiedenster Größe an. Dramatisch ist in den letzen Jahren, das auf dem freien Markt Ateliers immer teuerer werden. Zahlreiche traditionelle Atelierhäuser sind direkt gekündigt worden. Allein für 2014 gehe ich von 350 verlorenen Ateliers aus.
Haben Sie einen Masterplan?
Mein Ziel ist einfach: 2000 neue Ateliers bis 2020, dann hätten wir rund 3000 geförderte Ateliers. Jeder dritte Künstler hätte so eine realistische Chance auf ein bezahlbares Atelier. Tatsächlich arbeiten wir gerade an einem Masterplan um zu erklären wie das umzusetzen ist. Zentral ist das verschiedene Modelle der Atelierförderung genutzt werden müssen. Das reicht vom klassischen Anmietprogramm, bei dem wir für 7 Euro anmieten und für 4 Euro an Künstler weitervermieten bis zum Neubau von Atelierhöfen. Im Anmietprogramm könnten kurzfristig 400 Ateliers geschaffen werden. Ganz wichtig ist auch die neue Liegenschaftspolitik zu nutzen. Atelierhauser können dabei im Landbesitz als auch an private verpachtet geschaffen werden. Ein besonderes Projekt ist der Neubau von Atelierhöfen. Wir werden dazu in kürze eine Studie vorstellen, die Michael Müller als Stadtentwicklungssenator mit uns durchgeführt hat. Ganz wichtig ist es ergänzend, ein „Bündnis für bezahlbaren Atelierraum“ in Lebens rufen, zusammen mit Wohnungsbaugesellschaften, der privaten Immobilienwirtschaft und den Bezirken.
Gibt es dafür mehr Geld?
Der Haushalt wird zur Zeit im Senat konzipiert, und im Herbst im Abgeordnetenhaus beraten. Erst kürzlich hat der Senat bekannt gegeben, dass er künstlerischen Produktionsorte schaffen will. Damit dürfe auch eine Aufstockung der Mittel für räumliche Infrastruktur der Freien Szene einher gehen. Wir sehen den Bedarf bei rund drei bis vier Millionen Euro für die Atelierförderung bildende Kunst pro Jahr und werden mit dem Masterplan darstellen wie diese Mittel eingesetzt werden könnten. Bislang liegt unser Budget bei 1,5 Millionen Euro. Allerdings könnten die Mittel, nachdem 2000 neue Ateliers geschaffen werden auch wieder etwas runter gefahren werden da sich viele Atelierhäuser nach Anfangsinvestitionen von selber tragen.
Derzeit sind viele Atelierstandorte bedroht wie das Atelierhaus Mengerzeile in Treptow oder das Atelierhaus Prenzlauer Promenade in Pankow. Die Ateliers werden knapper, die Preise steigen.
Berlin ist auf dem Radar der internationalen Kapitalmarktes zentral, Berlin gilt als unterbewertet, was die Flächennutzung betrifft, deshalb gilt es als sicheres Investment. Auch wenn man erst einmal nicht viel reinkriegt, um das Investment rentabel zu machen. So zieht Berlin wie Staubsauger Kapital an, auch aus dubiosen Quellen. Die schauen einfach nur auf die Lage Berlins, auf Deutschland, das treibt die Mieten künstlich in die Höhe. Das hat nichts mit der realen Zahlungsfähigkeit zu tun. Zum Glück hat die Stadt erkannt, dass sie gegensteuern muss und davon abgelassen das Atelierhaus in der Prenzlauer Promenade zu verkaufen. Andere Häuser haben da weniger Glück, da ihre Eigentümer Private sind, so das Atelierhaus Mengenzeile.
Gibt es überhaupt noch räumliche Nischen, die Stadt wird immer dichter?
In der Innenstadt ist es schwierig, aber es gibt einzelne große Flächen wie das denkmalgeschützte Dragoner-Areal am Finanzamt Kreuzberg, das sind rund 48.000 Quadratmeter. Dort sind ehemalige Reitställe, dazwischen existiert Bauland. Da könnte noch einiges entstehen. Dann gibt es noch das Behala-Areal an der Spree in Kreuzberg mit Speichern. Allerdings gibt es auch das so genannte „Nachverdichtungspotenzial“, das heißt kleinere Lücken werden geschlossen. Zum Beispiel in Kreuzberg, unserem Hauptstandort mit den meisten Ateliers, gibt es diese Potenzial nachweislich. Deshalb brauchen wir ein Bündnis mit dem Bezirk und mit in diesem ansässigen Wohnungsbaugesellschaften, damit Künstlerateliers bei der Bauleitplanung mitgedacht werden.
Und am Rande Berlins, wie sieht es da aus?
Etwas außerhalb des S-Bahn-Bereiches gib es enormes Potenzial, in den Gewerbegebieten, wo geringe Baudichte herrscht. Ich denke da an Atelierneubau in leichter Containerbauweise oder wie Parkhäuser oder Reitställe konstruiert. Diese modularer Bauweisen sind knapp kalkuliert und würden sich durch die Mieten tragen also keine Subventionen in Anspruch nehmen. Die Künstler könnten sie sich selbst „aneignen“, also anmalen oder auch sonst wie verändern und sie auch selbst betreiben, etwa mit einer Künstlergenossenschaft. Voraussetzung ist, dass man ihnen die Grundstücke für mindestens 15 Jahre recht günstig in Erbbaurecht überlässt. Das Ganze wäre eine kleine Revolution und für die Flächeneigentümer und ganz Berlin eine echter Imagegewinn. Wir arbeiten jetzt an Pilotprojekten, ich hoffe, im nächsten Jahr steht das erste Atelierhaus.
Aber in den äußeren S-Bahn-Bereich, da will doch keiner hin?
Doch, da wollen sogar manche Künstler hin, auch in die Gropius-Stadt zum Beispiel. Die Unwirtlichkeit der Vorstädte ist ein Mythos, der von denen verbreitet wird, die da noch nie waren. Das ist in etwa so wie bei Pegida, man kennt zwar keine Ausländer, ist aber dagegen. Die Leute, die dort wohnen, leben dort gerne. Die Generationen wachsen nach. Wir müssen in den Außenbezirken präsent werden, dort räumliche Infrastruktur zur Verfügung stellen, damit Quartiere lebendig werden. Es besteht die Gefahr bei den Wohnungsbaugesellschaften, die jetzt viele Grundstücke bekommen haben, dass die von der Stange bauen. Wir unterstützen sie mit Atelier- und Kunstprojekten, um die Lebensqualität der Wohnareale zu erhöhen. Etwas anderes ist es wenn Menschen ein Atelier in der Innenstadt brauchen weil sie aufgrund von Familie oder Alter nicht jeden tag zur Arbeit in die Vorstadt fahren können.
Und das bringt es für Berlin?
Es geht darum, in der Breite Freiraum zu geben, der bildende Kunst ausmacht. Dass man seinen eigenen Raum hat, sich inspirieren kann. Ein Künstler arbeitet selten für einen Auftraggeber oder ein Projekt.
Sie sind doch wohl eher ein Stadtentwickler oder?
Ich sehe mich als Aktivist, Politikberater und Projektentwickler. Mein Klientel sind die Künstler, allein denen bin ich verpflichtet. Ich bin die Schnittstelle zwischen Politik, Verwaltung, Immobilien, Wirtschaft, Kulturszene, man muss alles kennen und schauen wo Verbindungen sind.