Young Euro Classic

Wenn Ravel mit drei Händen über die Tastatur flitzt

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Foto: Kai Bienert / obs

Start für das Young Euro Classic-Festival, zum ersten Mal in der Philharmonie. Den Anfang machte ein symbolträchtiger Abend, der an den Beginn des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren erinnern sollte.

Eine imposante Erscheinung, dieser Dennis Russell Davies: Kahlgeschorenes Haupt, massive Schultern, einschüchternder Stiernacken. Bedächtig mustert er das Publikum durch winzige Augengläser. Breitet dann seine jahrzehntelange musikalische Erfahrung wie einen feierlichen Mantel um das Orchestre Français des Jeunes.

Der amerikanische Dirigent hat die Ehre, das diesjährige Young Euro Classic-Festival zu eröffnen. Eine sommerliche Konzertreihe, die seit fünfzehn Jahren immer wieder Jugendorchester aus aller Welt nach Berlin holt. Bislang hatten sich die Musiker im Konzerthaus niedergelassen, nun ziehen sie wegen dortiger Renovierungsarbeiten erstmals in die Philharmonie.

Dennis Russell Davies leitet einen symbolträchtigen Abend, ein Konzert, das an den Beginn des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren erinnern soll. Kein Zufall, dass den Dirigenten ein Jugendorchester aus dem Land Frankreich umringt, dem einstigen Feind Deutschlands. Ebenfalls wohl kein Zufall, dass dieses Orchester von Dennis Russell Davies – einem Amerikaner – geführt wird. Vorwiegend breitbeinig und mit schwingenden Armen erweckt er Sibelius’ erste Sinfonie aus dem Jahre 1899 zu sonnenbeschienenem Leben.

Der häufig so spröde, unbequeme Finne fließt an diesem Abend in gemächlicher Schönheit dahin, das Energische und Unerbittliche weicht entspannter Spiellust. Erstaunlich, wie hochprofessionell einige solistische Auftritte wirken. So könnte der namenlose Klarinettist gleich zu Beginn der Sinfonie durchaus einem Weltklasse-Orchester entliehen worden sein. Sein weicher, in Unendlichkeit schwebender Ton erinnert stark an den Berliner Philharmoniker Wenzel Fuchs.

Fast unmenschliche Virtuosität gefordert

Nach der Pause steht dann Maurice Ravels genial ausgetüfteltes D-Dur-Klavierkonzert an. Sträflich selten ist es hierzulande zu hören. Die meisten Pianisten machen einen großen Angstbogen um die Partitur. Der Grund: Ravel hat es nur für die linke Hand komponiert. Er fordert ihr nahezu unmenschlich Virtuoses ab.

Wenn man es nicht mit eigenen Augen sehen würde, müsste man von mindestens drei Händen ausgehen, die Ravel über die Tastatur flitzen lässt. Dem 34-jährigen Franzosen Romain Descharmes gelingt das Kunststück der akustischen Täuschung hervorragend.

Mit vibrierendem Handgelenk, souveräner Gewichtstechnik und akkuratem Klangsinn. Zwei mächtig schäumende Kadenzen hat Ravel dem Interpreten zugedacht. Eine pianistische Zugabe danach erübrigt sich.

Wenn es so läuft wie vom Komponisten geplant, hat der Pianist in etwas mehr als einer Viertelstunde bereits alles gezeigt, was mit nur einer Hand möglich ist. Auch bei Descharmes ist dies der Fall. Glücklich schwitzend verlässt er das Podium.

Das Orchester applaudiert ihm herzlich bis euphorisch. Und lässt noch Beethovens Leonoren-Ouvertüre Nr. 3 in C-Dur folgen, ein Werk, das man normalerweise am Anfang eines Konzertabends erwartet hätte. Dennis Russell Davies zeigt genüsslich, wie viel Romantik bereits in diesem Beethoven von 1806 steckt. Und er führt vor Ohren, wie reizvoll elegant diese Musik im jungen französischen Gewand zur Geltung kommt.

( Felix Stephan )