Auf diesem Stück von Bestsellerautor Daniel Kehlmann scheint ein Theater-Fluch zu liegen. Und die fünfte Reihe spielt eine wichtige Rolle. In dieser Reihe geschah es, jeweils bei der Premiere von „Der Mentor“. Einmal in Frankfurt, einmal in Hamburg. Und in Wien fiel der Hauptdarsteller drei Tage vor der Uraufführung aus. Trotzdem sieht Kehlmann, der mit „Die Vermessung der Welt“ eines der erfolgreichsten Bücher der Nachkriegsgeschichte geschrieben, der Berliner Erstaufführung in der Komödie am Kurfürstendamm an diesem Sonntag gelassen entgegen. Er nutzt das Abendessen mit „Mentor“-Regisseur Folke Braband, Schauspieler Volker Lechtenbrink und ein paar Journalisten auch dazu, ein paar Dinge in ein anderes Licht zu rücken.
Kehlmann, leger im schwarzen T-Shirt, entscheidet sich spontan für ein Rumpsteak. Erliegt dann aber den Verlockungen von Beelitzer Spargel und Zander und betont sicherheitshalber gegenüber der Bedienung, dass er dann auf das Fleisch verzichten würde. Er saß in der fünften Reihe des Fritz-Rémond-Theaters in Frankfurt am Main, als sich ein Zwischenfall ereignete, der es bundesweit in die Zeitungen schaffte. Es hieß, dass der Autor bei der deutschen Erstaufführung seines Stücks die Premiere vorzeitig verlassen habe – und zwar geräuschvoll, ergo indem er die Tür zuwarf.
Alberne Eingriffe
Das möchte der 39-Jährige nicht so stehen lassen. Er ist ein gleichermaßen unterhaltsamer wie höflicher Mensch und man glaubt es ihm, wenn er sagt: „Ich würde niemals türeschlagend während einer Vorstellung rausgehen.“ War halt dumm, dass die Tür in dem Frankfurter Theater knarzte, wie Kehlmann erzählt. Er ist Medienprofi genug, um zu wissen, dass man ein „starkes Bild nicht durch Berichtigung aus der Welt schaffen kann“, sondern nur, indem „man ein noch stärkeres entgegensetzt“. Indem er also beispielsweise sagen würde, er habe das Theater anschließend angezündet.
Man muss an dieser Stelle erwähnen, dass Kehlmann vor einigen Jahren mit einer Rede bei den Salzburger Festspielen über die Auswüchse des Regietheaters Aufsehen erregte und eine Debatte über den Begriff der Werktreue auslöste. Er habe die Vorstellung in Frankfurt vorzeitig verlassen, weil er sich nicht am Ende verbeugen wollte für ein Werk, das nicht mehr seins sei. Das Stück sei „in Richtung Millowitsch-Bühne umgeschrieben“ worden, es wurde „in den Dialog eingegriffen auf eine Art, die ich albern fand“.
Unruhe in der fünften Reihe
Als „Der Mentor“ wenige Tage später in Hamburg herauskam, saß Daniel Kehlmann erneut in der fünften Reihe. Unruhe. Es ging jemand raus. Die Schauspieler auf der Bühne wussten von dem Frankfurter Vorfall, sie blickten entsetzt in den Zuschauerraum. Missfiel Kehlmann erneut die Vorstellung? Nein, er war zufrieden. Aber ein Besucher, nicht weit von Kehlmann entfernt sitzend, hatte einen Schwächeanfall erlitten.
In „Der Mentor“ geht es um einen aufstrebenden Jungdramatiker, der auf Einladung einer Kulturstiftung Anregungen für sein neues Werk von einem alten Kollegen bekommen soll, der immer noch vom Ruhm seines Erstlings zehrt. Die beiden Egomanen geraten in der Abgeschiedenheit einer ländlichen Villa schnell aneinander, es geht es um Eitelkeiten im Literaturbetrieb, gescheiterte Lebensentwürfe – und eine Frau.
Allein am Schreibtisch
Der 69-jährige Volker Lechtenbrink spielt die Rolle des Benjamin Rubin, der sich auch für die Frau des jungen Schriftstellers interessiert. Lechtenbrink sitzt ein wenig am Rande der Tafel – und kommt nicht so recht zum Zuge. Regisseur Folke Braband hält sich bewusst im Hintergrund, er wirkt ein bisschen so, als wolle er Kehlmann signalisieren, dass er sich als Diener des Textes sieht – und auch kein Problem damit hat, sich in Anwesenheit des Autors zurückzuhalten. So eine Art Ritterschlag hat er sowieso schon bekommen, Kehlmann lobt die Zusammenarbeit mit dem Regisseur, bezeichnet die Aufführung als „sehr werktreu“ und ergänzt, dass sein Text aber „nicht sakrosant ist“. Er möchte halt nur wissen, wenn ein Regisseur eingreifen will.
„Als Prosaautor ist man immer allein am Schreibtisch“, auch deshalb liebt Kehlmann die Ausflüge in die Welt des Films oder Theaters, das ihm familienbedingt sehr nahe ist. Sein Vater war Regisseur, seine Mutter ist Schauspielerin. Bei den Proben könne er etwas darüber lernen, was man verändern müsse, sozusagen der Praxis-Check. Auch deshalb habe er seine Theaterstücke, zwei gibt es bislang, noch nicht veröffentlicht.
Es darf gelacht werden
Er will sich auf jeden Fall weiter mit diesem Genre auseinandersetzen, auch wenn er sich damit „Ärger und Sorge einhandelt, denn eine Romanfigur ist mir noch nie drei Tage vor der Premiere ausgefallen“ – eine Anspielung auf die Wiener Uraufführung. Seinen „Mentor“ sieht er „ein bisschen als Experiment mit der Form, die man Boulevardtheater nennt“. Während Lechtenbrink sagt, dass „gerade in der Ernsthaftigkeit auch die Komik liegt“, betont Kehlmann, dass „schon gelacht werden sollte“.
Eigene Bühnenauftritte sind für Kehlmann kein Thema. Im Film allerdings hat er sich nicht zweimal bitten lassen – und musste sich prompt mit dem Vorwurf der Eitelkeit auseinandersetzen. In der Kinoadaption seines Romans „Ruhm“ hält der vielfach ausgezeichnete Autor eine Laudatio auf einen Schriftsteller, den Text dazu habe aber nicht er, sondern die Regisseurin geschrieben. Sein zweiter Kurzauftritt fand in „Die Vermessung der Welt“ statt. Es habe ihn gereizt, mal „Kleidung zu tragen aus einer Epoche, wo das Paradigma nicht Bequemlichkeit ist, sondern Würde war.“ Er trug einen zugeschnürten Gehrock aus dem 19. Jahrhundert. Es war sehr unbequem. Auch so eine Erfahrung, die er „nicht missen möchte“.